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Und Regine ergänzte: »Das Alleinsein, so schwer es auch fällt, ist für dich jetzt das beste Versteck.«

Seit Tagen regnete es. Der Regen trommelte auf die alte Pferdedecke, die sich Christoph über sein kurz geschorenes Haar gezogen hatte. Es war schon über eine Woche her, seit er die Gaukler hatte verlassen müssen.

Die Haare hatte ihm Regine noch geschoren: »Sonst haben sie dich gleich mit deinem auffälligen schwarzen Haarbusch auf dem Kopf und deinen blauen Augen.«

Kaum hatte er die Gaukler verlassen, als Tauwetter einsetzte. Und jetzt dieser Regen! Braune Bäche schossen die Hänge hinunter, überall gurgelte und gluckste das Wasser. Der Rhein stieg und stieg und stand schon brusthoch in den Auwäldern. Gut, dass Hetz damals Christophs Schuhe übersehen hatte. Sie hielten dicht und warm. Und unter dem speckigen Lederhut, den er aufhatte, und dem Lederumhang, der zwar schon schwer war vor Nässe, konnte er es aushalten.

Würde er die Gaukler wieder sehen? Sie hatten fest versprochen im Frühjahr nach Straßburg zu kommen, um ihm zu helfen.

Es schien wirklich unmöglich, was er vorhatte: Ein Junge von fünfzehn Jahren sollte die angesehensten Kaufleute der mächtigen Stadt Straßburg eines Verbrechens überführen, und er wusste nicht, wer diese Kaufleute waren unter den Hunderten, die es in Straßburg geben musste. Ja, er kannte nicht einmal das Verbrechen selbst.

Um ihn dehnten sich die endlosen Ackerflächen, die das Wasser nicht mehr aufnahmen.

Der Rhein sei unpassierbar, hatte er schon gestern in der Herberge gehört.

Ja, er hatte Geld und konnte in Herbergen übernachten. Das sei für ihn erst einmal das Beste, hatte der alte Balthas gesagt und ihm alles Geld gegeben, das sie hatten!

»Sie suchen nach einem Betteljungen, also werden sie dich nicht in Herbergen vermuten.«

»Wir werden schon wieder Geld bekommen. Wir sparen eine Unmenge Essen jeden Tag«, hatte Philo gesagt, und Balthas hatte ihn am Ohr gezogen.

Das Geld wurde bereits knapp, er würde bald betteln müssen. Aber das Hochwasser ließ niemand passieren.

»Halte dich an die Bettler in Straßburg«, hatte Regine gesagt, »es sind oft recht umgängliche Leute. Schau, dass du noch ein wenig Geld hast, wenn du nach Straßburg kommst, dann kannst du leichter an sie herankommen.«

Und nun ging das Geld aus und er kam nicht über den Rhein.

Der Mann war klein, dicklich, mit Knopfaugen und einem zerschlissenen Lederrock. Es war sinnlos, in die Herbergen zu gehen, um einen Betteljungen ausfindig zu machen. Aber es war jedenfalls trocken und er hatte genug von diesem ständigen Regen. Wie viele Meilen war er nicht abgelaufen, erst in Schnee, Kälte und Wind, dann bei diesem Matsch und diesem Regen, der nicht aufhören wollte. Wenigstens war es nicht mehr so kalt wie damals, als sie im Schwarzwald die Schluchten durchkämmt hatten. Zwei Personen sollten sie finden – einen Mann, der halb tot sein musste nach der Folter, und einen Jungen mit auffälligem dickem schwarzem Haarbusch und blauen Augen darunter. Der Alte sollte in der Zwischenzeit verreckt sein.

Diese Kaufleute hatten ihn in Straßburg aus dem Turm geholt: Wegelagerei! Es war ein Glücksfall gewesen, dass sie ihn brauchten, sonst hätten ihn schon längst die Krähen gefressen am Galgen oder auf dem Rad. Stattdessen konnte er viel Geld verdienen und vielleicht sogar einen kleinen Handel aufmachen und ehrlich leben, er hatte ja nichts lernen können.

Er musste diesen Christoph Schimmelfeldt finden.

Es wurde früh dunkel. Einige Fackeln qualmten im Regen. Ein milchiges, rötliches Licht füllte den engen Hof der Herberge mit seinen umlaufenden Holzgalerien. In Bächen und dicken Rinnsalen schoss das Wasser von den Dächern herab. Klappern drang aus der Wirtsstube, daneben stampften und schnaubten in den Stallungen die Pferde. Es roch nach Rauch, Essen und Mist. Die steilen Stiegen, die vom Hof aus zu der Galerie führten, lagen in undurchdringlicher Schwärze. Von dieser Galerie aus gingen Türen in die Kammern, in denen die Gäste schliefen.

Oft über zwanzig Gäste lagen immer zu viert oder zu fünft unter einer groben Pferdedecke auf langen Strohschütten. Meist behielt man über Nacht die Kleider an, nur die Schuhe wurden in Griffweite vor den Strohschütten auf Brettern aufgereiht.

Christophs Mahlzeit in der Wirtsstube war bescheiden wie das schwarz verkrustete Holzgeschirr, das ihm der Wirt vorsetzte.

Er war spät angekommen, es war schon fast dunkel, als er vom Innenhof aus zu der Schlafkammer hinaufstieg, die ihm der Wirt bezeichnet hatte. Auf der Stiege stieß er auf einen dicken kleineren Mann, den er nur umrissartig wahrnahm und der ihm schwer schnaufend entgegenkam.

Im selben Augenblick spürte Christoph im Gesicht den Schein von einer der Fackeln unten im Hof. Er achtete nicht sonderlich darauf; er war müde, aber es fiel ihm auf, dass der Mann stehen blieb und ihm nachschaute.

In der Kammer war schon lautes Schnarchen und der muffige Geruch nach Schlaf. Er suchte in dem Raum, in den kaum etwas Licht vom Hof drang, seine Lücke zwischen den Schläfern. Das ging nur mit Tasten, wobei er mehrmals böses Knurren auslöste. Endlich hatte er seinen Platz gefunden, den ihm der Wirt beschrieben hatte, und versuchte noch etwas von der Decke zu bekommen, denn von den offenen Fensterlöchern her zog es schlimm herein, dennoch war der Geruch der vielen Schläfer fast unerträglich. Die beiden Männer rechts und links von ihm schliefen offenbar fest, denn es war nur ein Brummen zu hören, als er sich zwischen sie zwängte.

Er schreckte schon bald wieder hoch – ein weiterer Gast suchte mit einem Talglicht seinen Platz zum Schlafen. Das war offenbar nicht leicht. Christoph nahm im Halbschlaf war, wie er überall herumtappte auf dem unangenehm quietschenden Bretterboden und wie er den Leuten ins Gesicht leuchtete.

Ins Gesicht leuchtete!

Mit einem Schlag war Christoph hellwach. Der Mann auf der Stiege, der ihn so genau gemustert hatte – war er wieder heraufgekommen? Hatte er den Wirt unten nach ihm gefragt? Christoph vergrub das Gesicht, so gut es ging, unter der Decke und stellte sich schlafend.

»Hat der Kerl endlich seinen Platz gefunden!«, hörte man eine tiefe Stimme knurren. »Sonst helf ich ihm in den Schlaf, dass er nicht mehr so schnell aufsteht!«

Die Haare, er wird mich an den Haaren erkennen!

Die Haare konnte er nicht auch noch zudecken, sonst wäre er erstickt. Sie waren ja vor nicht langer Zeit geschoren worden. Wie lang waren sie seither gewachsen?

Verstohlen blinzelte er unter der Decke hervor. Der Lichtschein wanderte im Raum herum, Schatten glitten an den Wänden auf und ab. Es war keine Frage: Der Mann suchte etwas. Da kam das Licht auf ihn zu – er grub sich tief in die Decke ein, wobei er den Schläfer neben sich aufdeckte. Der brummte und zog mit einem Ruck die Decke wieder fort. Auch der Mann auf der anderen Seite zog an der Decke. Der Schein des Lichtes auf den Augenlidern war so hell, dass Christoph unwillkürlich blinzelte: Vor seinen Augen schwebte groß ein rundes Gesicht mit breitem Mund und fast unnatürlich hervorquellenden Augen, die etwas nach den Seiten gerichtet zu sein schienen.

Der Mann murmelte etwas, dann verschwand das Gesicht. Christoph konnte schemenhaft die kurzbeinige massive Gestalt vor der Strohschütte stehen sehen. Er schien etwas zu überlegen. Christoph rührte kein Glied und wagte nicht zu atmen, obwohl ihm das Herz bis zum Hals schlug.

An seinem Gürtel hing ein Dolch!

Da! Der Mann beugte sich herab. Er zog seine Stiefel aus und stellte sie in die Reihe. Er brauchte endlos lange dazu – was musterte er die Schuhe so genau? – Dann löschte er das Licht – die plötzliche Dunkelheit war entsetzlich – und kroch, wie Christoph deutlich hören und spüren konnte, auf allen vieren zu ihm hin und versuchte sich zwischen ihn und den linken Schläfer hineinzuzwängen, obwohl hier kein Fingerbreit Platz war. Wollte der ihn im Schlaf erstechen? Oder jetzt gleich?