Er lag hilflos eingeklemmt.
Er wich dem plumpen Gewicht, das sich da hereindrängte, aus, so gut es ging, und stieß den Schläfer auf der anderen Seite an. Gleichzeitig zog er beide Beine an den Leib. Vielleicht konnte er den Frosch wegstoßen.
Da wurde es neben ihm laut: »Was für ein unverschämter Kerl drückt sich denn da noch herein?«
Der Frosch lag mit seinem ganzen Gewicht auf ihm, Christoph war völlig eingeklemmt. Er spürte, wie eine Hand nach ihm tastete. Er fühlte, wie er steif wurde, wie das Herz raste. Das Gewicht auf ihm verlagerte sich nach links. Er hielt den Atem an – der Stich – der Stich –
Plötzlich konnte er sich wieder rühren, er stieß mit den Beinen nach vorne, traf aber nichts. Dann fühlte er schnell zur Seite nach den Haaren des Schläfers rechts von ihm und zog daran aus Leibeskräften.
Ein Gebrüll war die Antwort. Christoph wurde zur Seite gestoßen und der andere schrie nun ebenfalls. Es wurde laut im Raum. Stimmen riefen durcheinander.
Christoph tastete nach seinen Schuhen. Nichts wie weg!
Da wurde es hell. Der Wirt stand unter der Türe und leuchtete mit einem Kienspan: »Muss man die Scharwache rufen?«
Sofort war der Frosch aufgestanden und entschuldigte sich höflich, es sei alles seine Schuld, er habe in der Dunkelheit seinen Platz nicht gefunden, weil er sein Talglicht zu früh gelöscht habe. Seine Stimme klang seifig. Christoph steckte verstohlen seine Schuhe zu sich unter die Decke.
Der Frosch hielt den Dolch in der Hand!
Der Wirt wies ihm einen Platz am anderen Ende des Raumes.
Dann war wieder Nacht.
So weit war alles gut. Noch einen Angriff konnte der Frosch in dieser Nacht nicht wagen. Aber Christoph musste vor dem Frosch aus der Herberge sein, am besten noch in der Dunkelheit.
Warten, warten! Todmüde liegen mit klopfendem Herzen und angehaltenem Atem. Undurchdringliche Schwärze vor den Augen. Je länger er wartete, desto sicherer war der Frosch eingeschlafen. Wie viel Zeit war vergangen? Lag er schon lange wach? Er versuchte zu zählen, aber dabei fielen ihm die Augen zu. Einer redete im Schlaf, aber man verstand kein Wort, es klang, als hätte er Wolle im Mund. Schnarchen ringsum, Schnaufen, Aufstöhnen der Träumer. Üble Luft. Draußen plätscherte der Regen immer gleich.
War es nicht besser zu bleiben – in der Wärme und im Trockenen? Morgen früh wäre er ja nicht allein mit dem Frosch. Was konnte ihm geschehen unter den vielen Menschen der Herberge? Aber der Frosch würde ihm folgen! Er sah ihn, er ließ ihn nicht aus den Augen. Stand Christoph jetzt auf und ging, konnte er den Frosch vielleicht abschütteln. Das Schlimmste war, wenn er jetzt aufstand, und der andere war wach –
Langsam, langsam schälte er sich aus der Decke, die Schuhe hatte er schon angezogen – der Mann links von ihm wälzte sich herum. Schlief der Frosch? Oder lauerte er irgendwo, wach wie er, und würde ihm nachschleichen und ihn mit seinem Dolch unten im Hof anfallen?
Behutsam das linke Bein herausziehen, jetzt das rechte. Beide Beine anziehen. Vorsichtig aufrichten, niemand anstoßen, niemand aufwecken. Jemand redete im Schlaf und schluckte dann sehr schnell mehrfach hintereinander. Dort drüben drehte sich einer um, was eigentlich verboten war und auch sofort halblaut das übliche Geschimpfe auslöste. Um Himmels willen niemand berühren!
Schnell jetzt hinaus auf den Gang zwischen den Strohschütten.
Der knarrende Bretterboden! Wenn der Frosch keinen festen Schlaf hatte! Er hätte die Schuhe auf der Galerie oder auf der Stiege anziehen sollen.
In welcher Richtung war die Stiege? Ja, dort drüben das helle Viereck.
Er konnte die Holzständer der Galerie nur schemenhaft wahrnehmen, die Fackeln waren längst erloschen. Der Regen und das von den Dächern rinnende Wasser schienen alle Geräusche zu verdecken. Christoph tastete sich die Stiege hinunter und durch den glitschigen Hof. Es war viel kälter als am Abend. Oder fror er, weil er Angst hatte?
Das große Hoftor war verschlossen. Aber die Türen zu den Ställen waren offen. Wie warm es hier war! Er bezwang die Versuchung, hier im Stroh zu schlafen, und ging durch die Vordertüre des Stalls aufatmend in die Nacht hinaus.
So nah, so nah! Er hatte schon den Dolch aus dem Gürtel gezogen. Der Junge war weg am Morgen, fortgeschlichen, und mit ihm das Kopfgeld. Nur weil er schließlich doch eingeschlafen war. Aber das war kein Wunder nach der Lauferei der letzten Tage. Jetzt würde die leidige Sucherei wieder angehen. Wer konnte damit rechnen, dass der plötzlich in einer Herberge auftauchte?
Und die Schuhe! Die besten Schuhe von allen, die in der Schlafkammer aufgereiht standen! Davon verstand er etwas. Und sie hätten ihm gepasst! Er hatte einen Blick für gute Kleidung. Würde mir zukommen! Bessere Kleider, feines Leder, Samt, Seide, schöne Farben! Ich verstehe mehr davon als so ein reicher Fettkloß, der sie sich von seinem Diener anziehen lässt.
Das Leben war ungerecht!
Die ganze Nacht hindurch war Christoph gewandert. Zuerst hatte er gezittert und sich beinahe übergeben.
Der Regen hatte aufgehört. Die Sonne schien, aber es war kalt.
Wo sollte er hin? Der Rhein war nicht passierbar, auf seiner Spur war der Verfolger.
Er zog die nasse Pferdedecke fester um sich: Ein Wind kam in der Ebene auf. Der Schwarzwald stand hinter ihm wie eine dunkle Mauer. Ganz oben waren lang gestreckte weiße Flecken. Um ihn waren niederes Gestrüpp und weite Senken, die alle unter Wasser standen. An den Rändern lagen noch Streifen von schmutzigem Schnee. Hinter dem Wall aus Bäumen, der den Blick nach Westen versperrte, musste der Rhein sein mit seinen vielen Armen, von denen es hieß, dass es jetzt ein einziger sei.
Hü! und hott!, hört er hinter sich. Mehrere große Planwagen schwankten auf ihn zu, als er sich umdrehte. Zwei Soldaten, fürstliches Geleit, ritten voraus. Er betrachtete die Planwagen mit Kennerblicken. Das mussten sehr reiche Kaufleute sein, die mit so aufwändigem Gespann und Geleit reisten. Die Jahreszeit war ungewöhnlich. Bis Ostern waren es noch einige Wochen und Kaufleute begannen so große Unternehmungen eigentlich zu den Messezeiten.
Es geht mich nichts an. Christoph trat traurig zur Seite.
Im Hof einer Herberge vor Kehl sah er die Wagen wieder. Die Gespanne wurden abgeschirrt, Knechte führten die Pferde in die Ställe. Die Reiter standen dabei, man hörte ihr Gelächter. Kinder, Neugierige und Bettler standen und hatten die Münder offen. Aus der Herberge trat ein vornehmer Herr, offenbar einer der Kaufleute. Seine Kleidung war kostbar, aber nicht auffällig. Er war noch nicht sehr alt, kaum dreißig. Sofort war er von den Bettlern umringt, man hörte sie jammern und bitten.
Christoph gab es einen Ruck. Eigentlich müsste ich mich zu den Bettlern stellen. Der Herr hatte ein Ledersäckchen in der Hand und gab jedem Bettler offenbar eine kleine Münze. Christoph fiel auf, wie sorgsam er darauf achtete, dass alle dasselbe erhielten. Drei Bettler, die sich zum zweiten Mal anstellen wollten, wies er zurück. Einem, der offenbar betrunken war, gab er kein Geld, sondern wies einen der Knechte an, ihm Brot zu geben.
Dann fiel sein Blick auf Christoph: »He du, warum kommst du nicht her?« Seine Sprache klang etwas gebrochen.
Christoph wurde es heiß. »Ich bin kein Bettler«, sagte er und wunderte sich über sich selbst. War es der vertraute Anblick des Kaufmannszuges und die Erinnerung an den Vater? – Er spürte, wie er rot wurde.
Der Herr hielt seinen Blick auf ihn gerichtet: »Du hast Hunger, das sehe ich. Aber wenn du zu gut zum Betteln bist – «
»Herr«, sagte Christoph und seine Stimme zitterte und die Tränen stiegen ihm auf, ohne dass er es merkte. »Ich brauche Hilfe!« Die Stimme überschlug sich. »Ich brauche Hilfe, dringend!«
Als sich die Bettler verlaufen hatten, stand der Herr groß und aufrecht vor ihm und betrachtete ihn langsam von Kopf bis Fuß. »Du siehst verhungert aus wie ein Bettler, deine Kleidung ist die eines Betteljungen, aber du trägst Stiefel wie ein Herr! Was ist los mit dir?«