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Christoph hielt den Atem an.

»Kann die Reihenfolge wichtig sein?«, fragte der alte Abraham, der in einem sehr kostbar geschnitzten Sessel saß.

»Der Arzt hat gesagt, dass er nicht glaube, dass es wichtig sei. Die Zahlen könnten etwas mit der Herstellung zu tun haben. Er meint, dass die Zahlen Mengen bezeichnen, so wie er es von seinen Rezepturen her kenne. Er nimmt also drei verschiedene Stoffe an, die miteinander nach Maßgabe der Zahlen vermengt werden müssen.«

»Und was ergibt sich dann?«

»Er meint, es habe mit Feuer zu tun. Es gebe ein besonders schnelles und helles Feuer, wenn man diesen Stoff anzünde. Aber er wisse nicht, was man mischen müsse.«

Christoph wurde es heiß – Balthas! »Der Ziehvater von Philo hat auch gesagt, dass es um Feuer geht. Aber mehr wusste er auch nicht, auch Philo nicht.«

»Warum sollte man deshalb Menschen verfolgen, verleumden und umbringen, wenn es ein Arzt weiß und sogar ein Gaukler?«, sagte Elieser.

»Das ergibt keinen Sinn.«

»Wir wissen ja noch nichts«, sagte Abraham, »wir wissen nur, dass wegen dieser Zahlen ein Mensch umgebracht wurde und ein anderer verfolgt wird. Daraus ergibt sich der Sinn, nicht aus dem, was der Arzt und Balthas gesagt haben. Diesen Sinn müssen wir finden.«

»Es geht um Geld oder um Macht. Das ist der Sinn!«, sagte Löb entschieden.

»Oder um beides«, warf Hannah ein.

»Das hat mein Vater auch gesagt.«

»Es lässt sich schwer ein anderer Grund denken«, überlegte Elieser.

»Außer ein religiöser: Wenn die Kirche hinter allem stünde – « Nachum schaute Christoph an. »Die Kirche nimmt es mit dem Leben der Menschen nicht immer genau, wenn es um den Glauben geht.«

Die alte Esther blickte auch auf Christoph: »In diesem Fall – «

»In diesem Fall«, redete Löb weiter, »ist es nicht die Kirche. Die würde es öffentlich machen. Sie hat es nicht nötig, ihre Anklagen heimlich zu erheben. Sie muss keine Gewichte heimlich vertauschen.«

»Sie muss nicht und sie will nicht«, bestätigte Abraham mit Nachdruck, »die Kirche stellt fest, was sie für falsch hält, und verurteilt einen Ketzer öffentlich. Einmal, um die rechte Lehre zu bekräftigen, zum andern, um jeden abzuschrecken, der Zweifel haben sollte.«

»Du hast gesagt, dass es sich um Kaufleute handeln müsse«, fuhr Löb zu Christoph gewandt fort.

»Mein Vater hat es gesagt. Er hat sogar die Namen gewusst. Er wusste nicht, worum es ging. Aber er wusste die Namen der Männer, die ihn verfolgt haben. Er sprach von drei, fünf Kaufleuten. Er meinte, es seien drei aus Straßburg und zwei aus Stuttgart. Er wusste aber noch nicht, wie er einen Beweis finden sollte.«

»Ich habe mir überlegt, welche Gruppen es in Straßburg gibt. Du musst wissen, dass es in den letzten Jahren zu harten Kämpfen um die Macht in der Stadt gekommen ist zwischen den Kaufleuten und den Handwerkern. Seitdem sitzen auch die Handwerker mit im Rat und damit im Zentrum der Macht. Es heißt, die Kaufleute wollten sich rächen. Die einflussreichste Gruppe im Rat sind drei Kaufleute, die oft zusammenstecken: Herr Dopfschütz, Herr Eisenhut und Herr Kröpfgans.«

Christoph musste wegen des letzten Namens lachen, obwohl er kaum Luft bekam vor Spannung.

»Aber diese Gruppe scheidet für mich sofort aus: Herr Dopfschütz ist der große Beschützer der Juden in Straßburg. Übrigens ist er ein Geschäftsfreund von mir. Ich kenne ihn gut. Seine Frau ist vor etwa vier Jahren gestorben. Er hat sich nicht mehr verheiratet. Er hat das Geschäft erst spät von seinem Vater übernommen, der ihn wohl sehr unterdrückt hat. Anfangs hatte er große Schwierigkeiten und stand mehrmals kurz vor dem Bankrott. Dann gelangen ihm ein paar geschickt eingefädelte Geschäfte und er wurde immer erfolgreicher. Er ist ehrgeizig, schlau und diplomatisch, auch hängt er seinen Mantel manchmal etwas nach dem Wind – wer tut das nicht? Aber ein Mörder ist er nicht. Ich bringe zurzeit in seinem Auftrag eine riesige Geldsumme zusammen, worüber er offen spricht. Ich habe keine Bedenken. Er ist mir immer für die Rückzahlung gut.«

»Und wozu braucht er das Geld?«

»Kein Kaufmann wird darüber sprechen. Er wird Ware dafür kaufen.«

»Und die anderen beiden?«

»Herr Eisenhut ist etwas trocken. Er ist spindeldürr, völlig phantasielos und gilt als geizig. Er ist ebenfalls sehr reich. Ein Mord passt überhaupt nicht zu ihm.«

»Und Herr Kropfgans?«

»Der Reichste. Ein fetter, etwas weichlicher und schwammiger Mensch, ohne eigene Ideen, der sich gerne an andere anhängt. Er ist unverheiratet und lebte bis vor einem Jahr noch bei seiner Mutter, obwohl er bald fünfzig sein muss. Die Mutter hatte wohl bis zu ihrem Tod im Geschäft die Fäden in der Hand. Ich glaube, im Grunde ist er zu gutmütig und zu feige, um ein guter Kaufmann zu sein. Seinen sehr großen Reichtum hat er von seinem Vater geerbt. Auch ihn kann man sich unmöglich als Mörder vorstellen. Ebenso wenig Herrn Schwarber und Herrn Twinger, ein Verwandter des Herrn Schwarber, beide sind auf der Seite der Juden. Herr Schwarber hat sehr großen Einfluss. Ein aufrechter, angenehmer Mensch mit schmalem Gesicht, nicht sehr groß. Alles keine Mörder.«

»Und andere?«

»Den Bäckermeister Wangenbaum könnte ich mir eher als Mörder vorstellen, ein breitschultriger, roher, intriganter Mensch. Sein Vater war noch ein kleiner Bäckermeister. Der Sohn hat es dann mit Intrigen in der Zunft bis zum Ratsherrn gebracht und ist heute der größte Bäcker in Straßburg. Aber ich glaube, er ist nicht mehr oft in der Backstube: Er hetzt in allen Gassen gegen die Juden. Er ist fast der Schlimmste, auf einen Toten kommt es dem nicht an.«

Christoph erinnerte sich an den Bäcker mit dem mehligen Gesicht, der vom Brunnenvergiften gesprochen hatte.

»Es gibt zwei, drei Kaufleute, mit denen er unter einer Decke steckt. Da ist vor allem der Herr Mühlendamm, eigentlich ein Konkurrent von ihm, auch ein Bäcker. Sie haben sich bekämpft bis aufs Messer. Aber seit einiger Zeit sind sie im Rat ein Herz und eine Seele – Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Ein dritter heißt Lobsack, ein Gerber, soviel ich weiß, von dem man wenig hört. Er ist immer derselben Meinung wie Herr Wangenbaum.« Löb seufzte. »Es gibt noch einige Gruppen im Rat, die nicht ganz so viel zu sagen haben, aber hier müssen wir ansetzen. Für Herrn Schwarber und Herrn Dopfschütz lege ich die Hand ins Feuer.«

Dieses Gefühl der Ohnmacht stieg wieder auf, das Christoph in einen hilflosen Zorn versetzte. Aber er konnte nur im Hause herumlungern, wie er das bei sich nannte. Freilich, er half Löb im Kontor, er konnte Schriftstücke abschreiben oder ordnen. Er konnte selbstverständlich nicht wirklich in die Geschäfte hineinsehen, wie er das bei seinem Vater soeben begonnen hatte. Er wusste gut, dass seine Arbeit nichts wert war. Er war geduldet, er war geborgen und er fügte sich manchmal in diese Geborgenheit wie in eine Decke, in die man sich einhüllt, aber meist fühlte er sich unzufrieden und abhängig.

Nur nachts konnte Christoph das Haus verlassen. Löb sah es nicht gerne, wenn ihn Philo abends abholte und die beiden durch die nächtliche Stadt streiften. Nachum wäre gerne mitgegangen, erhielt aber keine Erlaubnis.

Abraham hatte durchgesetzt, dass Christoph gehen durfte. Er sollte wenigstens das Gefühl haben, dass er etwas dazu beitrug, seine Lage zu verbessern. »Es gibt Dinge, die sind wichtiger als Sicherheit.«

Christoph begriff erstaunt, dass er nur hier sein konnte, weil Abraham so dachte.

Die Stadt, das war ein Riesenkörper mit einem Gewirr von schmalen Gassen, über denen die schwarze Masse des Münsters hockte. Manchmal war die obere Zone des Münsters grell beleuchtet vom Mond, während unten die Nacht saß und Ratten über die Stufen huschten. Die schweren Portale waren auch nachts nicht verschlossen, und so schlichen sie sich ab und zu in den riesigen Raum, in dem sich die Säulen in die Dunkelheit hinauf verloren, von unten flackernd vom Licht unzähliger Kerzen beschienen. Auf den Altären schimmerten die goldenen Reliquienschreine. Im vorderen Querschiff gab es eine Säule, an der steinerne Propheten standen und Erzengel zum Jüngsten Gericht bliesen.