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Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne.

»Die Bäume blühen länger als hier in Straßburg, das Gras ist fetter und grüner und die Kühe geben zehnmal mehr Milch als hier. In den Wiesen wachsen Blumen, die so groß sind, dass man in ihrem Schatten gehen kann, und sie verblühen nie. Wenn eine Blüte doch welkt, so blüht daneben sogleich eine neue auf. Um eine Traube zu tragen, wie sie dort wachsen, braucht man zwei Männer. Die Früchte der Bäume sind süß, süßer als Honig. Alle haben genug, so gibt es keinen Streit. Es ist wie im Traum. Und das Wichtigste: Einmal in hundert Jahren wächst auf einem Baum, den niemand weiß, eine Frucht aus purem Gold.«

»Und wer sie findet, ist hundert Jahre König im Land des Goldenen Regens und wird nie sterben«, lächelte Christoph.

»Er kann sie aber nicht allein finden.«

»Ein Mädchen muss ihm dabei helfen, das wird seine Königin, sie wird auch nie sterben.«

Esther legte ihren Kopf an Christophs Schulter und lachte zu ihm auf.

»Sonst sieht er die Frucht nicht.«

»Und hält sie für einen Apfel oder eine Birne – «

»Oder eine Pflaume.«

»Ja, und er würde einfach weitergehen.«

Esther schwieg und hielt Christoph an beiden Händen: »Meine Mutter ist schon lange tot.«

»Meine auch. Ich war elf. Ich war viel allein – «

Esther legte den Arm um Christoph und schaute ihm gerade in die Augen: »Jetzt bist du nicht mehr allein. Du bist mein weißer Elefant und niemand darf dir etwas tun.«

Esther und Nachum gingen mit Christoph durch das Judenviertel. Zuerst hatten sie ihm am Türpfosten ihres Hauses und an anderen Türpfosten eine schmale Metallkapsel gezeigt, die darin eingefügt war.

»Man nennt es Mesusa, darin ist ein Pergamentstreifen für das Haus und seine Bewohner eingelassen.«

»Also auch für dich«, fügte Esther hinzu.

»Es ist in hebräischer Sprache und in hebräischer Schrift«, sagte Nachum.

Esther ergänzte: »Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.«

Sie sahen die Synagoge mit dem Anbau für die Frauen, die von den Männern getrennt waren.

»Bei uns ist das genauso«, sagte Christoph, »eine Seite in der Kirche ist für die Männer, die andere für die Frauen.«

»Früher waren die Synagogen die höchsten Gebäude in der Stadt, heute müssen das die Kirchen sein.« Nachum verzog den Mund.

Warum sollen es nicht die Kirchen sein? Wir sind doch mehr, dachte Christoph.

Aber er war beeindruckt, wie sauber hier alles war. Viele Häuser waren aus Stein und alle waren mit Ziegeln gedeckt.

Sie zeigten ihm in der Synagoge den kunstvollen Thoraschrein.

»Dahinter ist die Thorarolle. Sie ist so heilig, dass ihre Schrift nicht mehr mit der Hand berührt werden darf, sobald sie fertig geschrieben ist. Sie ist mit zwei schönen Kronen verschlossen. Du solltest einmal sehen, wie kunstvoll die sind?«, sagte Esther.

»Ein jüdischer Goldschmied hat sie gemacht«, sagte Nachum bitter, »vor über zweihundert Jahren. Heute darf kein Jude mehr ein Handwerk ausüben oder Bauer sein – der Papst hat es verboten.«

Das hatte Christoph nicht gewusst.

Sie zeigten ihm die Schule: »Sie heißt Cheder. Jeder Jude kann lesen und schreiben. Bei euch können das nur die Mönche«, sagte Nachum stolz, »schon als kleines Kind wird man vom Vater hineingetragen.«

Esther lachte: »Er hat erzählt, wie du dabei gebrüllt hast. Weißt du«, sagte sie zu Christoph, »man bekommt eine Schiefertafel, die mit Honig bestrichen ist, zum Ablecken. Aber die konnte ihn auch nicht beruhigen.«

Nachum knurrte etwas Unverständliches.

Es gab ein Gemeindebackhaus für die ungesäuerten Brote, die man am Passahfest aß: »Gleichzeitig mit dem Osterfest der Christen.«

Christoph wunderte sich, dass am Brunnen mitten im Viertel der Juden eine Wache stand.

»Damit keine kleinen Kinder hineinfallen«, erklärte Esther.

Und Nachum ergänzte: »Damit kein Dreck hineingeschmissen wird wie bei euch!«

Drei Bäder gab es. Zwei Warmbäder, eines für Männer, das er schon kannte und in dem er schon mehrmals gewesen war, und eines für Frauen, und dazu die Mikwe, die tief in die Erde gegraben ist. »Wo tief unter den Häusern und Menschen das klarste Wasser fließt, das Gott den Menschen schenkt«, erklärte Esther.

»Warum verschiedene Bäder? Man wird doch in einem sauber?«

»Sauber und rein ist eben nicht dasselbe«, warf Nachum verächtlich hin, »ihr Christen geht zweimal, viermal, manche auch viel öfter im Jahr in das Badehaus, wo ihr in einem Bottich sitzt und das Wasser verdreckt, in dem ihr sauber werden wollt. Dann seid ihr vielleicht gewaschen, aber nicht einmal sauber.« Er hatte die Mundwinkel nach unten gezogen.

Esther hatte ihrem Bruder die Hand auf den Arm gelegt: »In der Mikwe wird man nicht sauber, dort tief unten im Kristall des Erdgrundes wird man rein.«

»Sauber? Rein?« Christoph war verwirrt.

»Sauber ist man vor den Menschen«, sagte Esther, »und rein ist man vor Gott.«

MORD

»Bist du sichert Kann man sich darauf verlassen?« Der Herr stampfte durch den Raum. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und kritzelte mit einem Stück Kreide auf einem Brett herum, das an der Wand befestigt war.

Der kleine dickliche Mann vor ihm mit den runden Augen war sich seiner Sache sicher: »Er war es. Die Beschreibung stimmt genau: Schwarze buschige Haare, die er allerdings in der Zwischenzeit geschoren hat, was ich bestätigen kann. Dazu blaue Augen, was nicht häufig ist. Und: Er hat sich nicht wie ein Bettler benommen. Es war auffällig. Auch das kann ich bestätigen.«

»Du hast ihn schon einmal laufen lassen!«

»Ja, aber jetzt haben wir ihn.«

»Und? – Haben wir ihn, haben wir ihn! Was ist mit ihm geschehen. Hat er ihn – «

»Ja, mein Gewährsmann hat ihn erstochen und in die Ill gestoßen, nachts.«

»Der Stelzenklaus?«

»Nein, ein anderer, er ist zu mir gekommen – einige Bettler kennen mich.«

»Und wo?«

»Er wurde bei den gedeckten Brücken an einem Fischerpfahl angeschwemmt.«

»Und wer bürgt mir für die Wahrheit?«

»Ich, wenn der Herr meine Stimme – «

»Richtig! Du bürgst, in jedem Sinne des Wortes. Das kann ich dir sagen! Wenn ich erfahre, dass der Kerl noch lebt… Und merk dir:

Ich erwische dich überall. So weit kannst du gar nicht laufen, dass ich dich nicht erwische! Hast du das verstanden?«

»Ja, Herr. Aber es ist so. Ich weiß es wirklich. Vor ein paar Wochen lag auch ein toter Bettler in der Ill.«

»Gut.«

»Und, wenn ich den Herrn bitten dürfte, das Geld! Es war Lohn ausgemacht. Ich habe ja auf des Herrn Befehl Geld ausgesetzt. Mein Gewährsmann will es von mir. Und ich habe auch Auslagen gehabt. Wenn ich also bitten dürfte – «

»Wie viel?«

»Sechs Gulden, wenn ich den Herrn erinnern darf, sechs Gulden, zwei für mich, drei für den Gewährsmann, einen für den Stelzenklaus, dass er schweigt.«

»Zu viel!«

»Es war so vereinbart – «

»Vereinbart! Gesindel.« Der Kaufherr wischte mit einem Ruck das Gekritzel von der Tafel.

»Herr, wenn ich bitten darf, ich muss den Gewährsmann bezahlen und ich hatte Auslagen.«

»Gut, drei Gulden. Das ist mehr als genug für solches Pack, wie ihr es seid.«

Ergriff in seine Geldtasche, die an seinem kostbaren Gürtel befestigt war, holte drei Gulden heraus und warf sie dem Mann vor die Füße: »Zwei für ihn und einen für dich. Das reicht! Dem Stelzenklaus drohst du. Und jetzt pack dich. Ich habe scharfe Hunde im Hof.«

Ein Fischer hatte ihn gefunden. Früh am Morgen hing er angetrieben zwischen Netzen an einem Pfahl in der Ill.