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»Ich habe ihn nicht gesehen, als er noch gelebt hat.«

»Ja, aber der Tote – was hatte er denn zum Beispiel für Haare? Wie alt war er?«

»Meinst du, ich hätte ihn fragen können, wie alt er ist? – Du fragst blödes Zeug. Wozu willst du das überhaupt wissen?«

»Warum will ich das wissen! Weil man wissen muss, wer der Ermordete ist, wenn man den Mörder finden will.«

Ein anderer Junge redete dazwischen: »Das weiß doch jeder, wie er ausgesehen hat: Schwarze buschige Haare und blaue Augen hat er gehabt. Es war ein Junge. Ziemlich groß.«

»Hast du ihn gesehen?«

»Nein, aber jeder kann dir das sagen, er war ein Mörder und ein Preis war auf seinen Kopf ausgesetzt.«

»Dann bekommt also einer jetzt das Blutgeld?«, sagte Philo.

Oder er hat es schon bekommen, dachte er, der Stelzenklaus würde das nicht an die große Glocke hängen.

Jetzt mischte sich ein Mann ein, ein ernster Fischer mit einem weißen Bart: »Es war kein Junge, er hatte auch keine schwarzen Haare, sondern graue. Es war ein alter Mann, groß, dürr, mit einer weißen Narbe im Gesicht.«

Der krumme Bettler, der uns verfolgt hat!, dachte Philo überrascht. Es passte – der Stelzenklaus!

»Bist du sicher, hast du ihn gesehen?«

»Gesehen habe ich ihn nicht, aber der Fischerhans hat es gesagt, und der hat es vom Fischeranton, der ihn gefunden hat. Er war dürr und sehr lang. Sie haben ihn herausgezogen und umgedreht, da haben sie den Einstich gesehen. Der Lump hat ihn von hinten erstochen.«

»Wo ist denn der Fischeranton, kann man mit ihm reden?«

»Ja, der ist nicht da. Den haben die Soldaten mitgenommen. Er muss auf der Pfalz aussagen, wie er ihn gefunden hat.«

Pfalz nannten die Straßburger ihr Rathaus. »Und du bist sicher, dass es kein Junge, sondern ein Mann mit grauen Haaren war?«

»Ein alter versoffener Bettler, um den ist es nicht schade. Und Blutgeld gibt es für den auch keines.«

Er musste mit dem Fischeranton reden. Der hatte den Toten ja wirklich gesehen. Er hatte zuerst auch die richtige Beschreibung von ihm gegeben, als er einem anderen Fischer berichtet hatte. Aber dann kam die falsche Beschreibung in Umlauf – offenbar konnte der Stelzenklaus auch die Fischer unter Druck setzen!

Aber dennoch: Da Christoph tatsächlich lebte, war die Beschreibung, wie sie verbreitet wurde, der beste Schutz für ihn!

Der Sonntag kam mit Dunst und Nebel in der Frühe und dann stach die Sonne durch weiße Schleier noch drückender als am Vortag.

Philo wurde ein Bettler: Vielleicht verrät sich der Stelzenklaus!

Vor dem Münsterportal war Lärm: »Zwei Tote, und was haben wir davon? Sie bringen den um, der uns reich machen konnte, und das ohne uns!«

Aus dem Münster hörte man Gesang.

Der Stelzenklaus saß an seinem gewohnten Platz mit mürrischem Gesicht. Wenn er der Mörder war und das Geld bekommen hatte, war er jedenfalls ein guter Schauspieler! Aber wer sollte es sonst getan haben?

»Er war da, schon vor vielen, vielen Wochen. Sogar hier auf der Münstertreppe, er hat gebettelt. Aber damals wusste ich von keinem Blutgeld. Schade!«

Philo, der hier jeden Bettler kannte, wusste, dass es stimmte, was die dicke Trine sagte.

»Und ich sage, sie haben ihn erwischt und jetzt wollen sie das Blutgeld nicht bezahlen, deshalb haben sie ihn ermordet und in die Ill geschmissen.«

Eine seltsame Meinung, fand Philo.

»Unsinn, es war gar nicht der Gesuchte. Es war ein ganz anderer. Ich habe gehört, wie es ein Fischer gesagt hat. Es war ein alter Mann und kein Junge. Leider habe ich nicht mehr gehört, wie er weiter aussah. Der Gesuchte ist schon lange tot, niemand hat ihn gesehen, so gut kann man sich gar nicht verstecken. Also – «

Das sagte ein Bettler nahe beim Stelzenklaus ganz unbekümmert und so laut, dass es dieser hören musste. Und der sah überrascht und eher ungläubig aus.

Philo war enttäuscht: Der Stelzenklaus war es nicht!

Der erhob sich jetzt, er stützte sich mühsam auf zwei Krücken. Er hatte keinen Zahn im Mund und sein Bart war fleckig und gelblich. Er sprach mit dröhnender Bassstimme, die man trotz des Straßenlärms und des Lärms der Bettler bestimmt einige Gassen weiter hörte: »Das waren die Juden!«

Philo stockte der Atem. Es wurde still.

»Ich weiß es!«

»Hör mal, warst du dabei?«

Der riesenhafte Bettler war jetzt ganz aufgerichtet vor dem Münsterportal. Sicher war es nur Philo, der bemerkte, dass der Gelähmte ganz frei, ohne Krücken stand. Er hatte die Arme erhoben, die Krücken lehnten an seinem gewaltigen Bauch und schienen ihn wie einen Baum zu stützen.

»Es waren die Juden! Sie haben unseren Herrn Jesus ans Kreuz geschlagen. Sie arbeiten nicht wie wir, sie treiben Wucher. Wer hat schon einen Juden als Bauern gesehen oder als Handwerker? Niemand. Sie können es nicht. Es ist ihnen nicht gegeben. Gott hat sie damit bestraft.«

Er spuckte aus.

»Sie haben den Jungen umgebracht, sie haben das Geld kassiert. Und sie haben noch einen weiteren Mord begangen, damit es nicht herauskommt. Und das Blut der ermordeten Christen haben sie gesoffen, wie sie es immer machen.«

Das war dumm, fand Philo, dumm und gefährlich, wie jede Dummheit gefährlich ist! Man hätte lachen können, so dumm war es. Du ärgerst dich über das entgangene Geld, Stelzenklaus, und die Juden sollen es büßen! Man sollte dir deine Stelzen in das fette Gesicht schlagen.

Die Sonne hatte den Nebel längst aufgelöst, die Gassen, die zur Ill hinunterführten, lagen im Sonnenlicht. Aber sie stach immer unerträglicher. Es wird wohl ein Gewitter geben, dachte Philo. Er musste endlich mit dem Mann reden, der den Toten an dem Fischerpfahl gefunden hatte.

Aber als er am Fischerstaden nach dem Haus des Fischeranton fragte, bekam er keine richtigen Antworten. Was ihn der Fischeranton angehe? Was er von ihm wolle? Der sei nicht zu sprechen, für niemand.

Die Häuser hier unten am Auslauf der Ill aus der Stadt waren niedrig, aus Holz und Lehm und mit Stroh gedeckt. Eines sah aus wie das andere. Die Sonne war grell, Stechmücken flogen Angriffe auf Philos Augen. Das Ufer war bedeckt von Fischabfällen, in denen immer wieder eine Ratte huschte, und es stank hier fast schlimmer als im Viertel der Gerber. In einem Busch vollführten Spatzen einen Höllenlärm. Es war unangenehm, hier zu stehen und nicht zu wissen, wie es weitergehen sollte.

Die weißen Schleier am Himmel hatten sich wie ein Geschwür zusammengezogen, langsam stieg eine dunkle Wand gegen die Sonne auf.

Weshalb wurde der Tote beschrieben wie Christoph? Und von wem?

»He du, was hast du hier zu suchen?« Eine Frau hatte die Arme in die Seite gestemmt.

»Ich suche das Haus des Fischeranton. Ich muss ihm etwas bestellen. Es ist sehr eilig und sehr wichtig. Wo wohnt er denn?«

Er zermarterte sich das Gehirn, was er Wichtiges mitteilen könne, als er von der Frau zu dem Haus geführt wurde.

»Was ist denn? Ist es wieder von der Stadt? Oder ist es von den Halunken, die ihn verprügelt haben?« Ihre Stimme war drohend geworden.

Philo hielt mit einem Ruck an: »Verprügelt haben?«

»Weißt du das nicht – jeder weiß es!«

»Wer hat ihn denn verprügelt?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wann war es? – Wo war es?«

»Er ist gestern von den Stadtsoldaten mitgenommen worden. So. Und als er wieder nach Hause ging, da oben bei den halb fertigen Schiffen, da ist ein dichtes Gestrüpp, da haben sie ihn verprügelt. Sein rechtes Auge sieht schlimm aus. Hoffentlich bleibt da nichts. Oder war es das linke? Hier sind wir. Ich glaube, es war doch das rechte.«

»Es ist besser, ich sage es ihm allein«, sagte Philo schnell und schob einfach den Holzriegel auf. Was sage ich ihm eigentlich?

Hinter der Türe, die mit einem unangenehmen Knarren aufging, hing etwas wie ein Sack. Philo musste die Augen erst an das trübe Licht gewöhnen.