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Jetzt kam die wichtigste Frage, Philos Stimme zitterte ein wenig: »Wie sah denn der aus, der dich nicht verprügelt hat?«

Vor der Türe waren Schritte zu hören. Nur jetzt nicht! Jetzt darf keiner hereinkommen, betete Philo, die Schritte gingen vorüber.

»Der war dick, gut angezogen, aber es war kein Herr, das konnte man sehen.«

Philo klopfte das Herz im Hals: »Ist dir sonst etwas an ihm aufgefallen? Wie groß war er?«

»Nicht groß. Aber dick, das Schwein. Er hatte so komische Knopfaugen. Bruno wird ihn verhauen, dass es kracht.«

Der Frosch!

Aber jetzt ergab die falsche Beschreibung erst recht keinen Sinn: Gerade der Frosch musste doch das allergrößte Interesse haben, dass Christoph gefunden wurde. Nun galt er bereits als tot.

Der Himmel hatte eine bedrohliche Farbe angenommen, das Grummeln und Rumoren in den Wolken kam näher. Eine gewaltige schwarze Wand sah Philo vom Schiffleutstaden aus, sie hatte ganz oben, fast genau über seinem Kopf, einen grellen, blendend weißen Rand. Böen stoben ihm den Staub in die Augen. Erste dicke Tropfen fielen, als er über die Neue Brücke ging. Die Gassen hinauf zum Münster waren plötzlich wie leer gefegt. Es war beinahe Nacht geworden. Er hockte sich auf einen Pflock unter dem hölzernen Vordach eines Krämerladens, als das Gewitter mit fürchterlicher Wucht losbrach, Gießbäche trommelten auf das Vordach herunter. Die Blitze zuckten grell, der Donner schmetterte irgendwo über den Dächern und rollte in allen Richtungen über die Stadt. Es roch nach Staub und Regen. Windböen jagten Regenschwaden die Gassen hinunter. Vom Münster herab hörte man die Wetterglocke läuten.

Philo zuckte zusammen, als neben ihm jemand anfing zu reden. Er hatte nicht bemerkt, dass in einer seitlichen Nische noch jemand unter dem Vordach war.

»Wenn es nur nicht einschlägt.«

»Du wirst schon nicht vom Blitz erschlagen werden.« Philo wollte nachdenken und nicht gestört werden.

»Man kann auch anders umkommen. Weißt du schon, dass sie gestern in aller Herrgottsfrühe einen Toten gefunden haben – erstochen. Das ist jetzt schon der zweite Ermordete in vier Wochen. Das nimmt kein Ende. Und ich weiß auch, wer das macht und wer das Opfer ist.«

Philo war plötzlich hellwach: »Ich weiß gar nichts. Schon wieder einer ermordet? Das gibt’s doch nicht.«

»Wie kannst du das nicht wissen! Die ganze Stadt weiß es! Alle sagen es. Die Juden sind es.«

Bläuliches Licht und ein schmetternder Krach.

»Bist du sicher?«

»Das hat eingeschlagen.« Der andere, ein mageres Männlein, der Kleidung nach ein Tagelöhner, vielleicht unten im Hafen, war heftig zusammengezuckt: »Wenn es nur nicht brennt.«

Der Regen donnerte weiter auf das Vordach, die Luft war kühl und füllte sich mit feinem Wasserstaub. Ein brauner Bach, der allerlei Unrat mit sich riss, schoss die Gasse hinunter zur Ill.

»Die Juden, sagst du?«

»Alle sagen es.«

»Und wer ist ermordet worden?«

»Ein armer Christenjunge. Ich weiß sogar, wie er aussah. Er hatte schwarze Haare und blaue Augen. Das gibt es nicht oft. Sie ermorden Christenkinder, um damit zu zaubern.«

»War es ein Kind?«

»Sicher war es ein Kind.«

»Wie alt?«

»Ich weiß nicht, vielleicht vier.«

»Wie kann man damit zaubern?«

»Sie zaubern mit dem Blut, das sie ihnen abzapfen. Damit machen sie die Pest – «

Der Regen hatte aufgehört. Philo ging weiter. Es war sinnlos, hier zu reden. Die Leute glaubten das, was sie glauben wollten.

Die Sonne stach schon wieder. Das Gewitter hatte keine wirkliche Abkühlung gebracht. Die Luft war so schwer, dass man kaum atmen konnte. Immer noch schoss das Wasser gelb und gurgelnd die Gassen hinab. Über den Boden trieben weißliche Schwaden. Schwärme von Ungeziefer überfielen ihn. Dicke Bremsen setzten sich auf jede bloße Stelle des Körpers, auf die Hände, das Gesicht, die Handgelenke, die Fußknöchel. Man klatschte sie tot, dass sie blutige Spuren hinterließen, da kamen schon neue, die träge sitzen blieben und ihren Stachel in das Fleisch bohrten.

Auch das Denken fiel schwer in dieser feuchten Hitze.

Zwei Tote in Straßburg. Beide standen im Zusammenhang mit Christoph. Drei Morde, denn auch Christophs Vater gehörte dazu.

»Vater, bitte, wir kommen nicht weiter.«

»Liebes Kind, ich habe zu tun. Ich muss noch so viele Schriftstücke aufsetzen.«

»Ist es so wichtig?«

»Alles, was man tut, ist wichtig.«

»Aber manches ist wichtiger als das andere. Bitte, es geht um Christoph.«

Löb drückte Esther an sich: »Ja, und da ist alles wichtig, ich weiß, Esther. Wir werden auch darüber einmal reden müssen.«

»Sie sitzen alle bei Christoph in der Kammer. Christoph, Nachum und Philo, er hat viel zu berichten.«

»Also gut, dann hol sie herunter.«

Philo schloss seinen Bericht und zog seine Bälle heraus: »Der Frosch steckt dahinter. Er verbreitet, dass das Mordopfer aussieht wie du, Christoph. Zuerst dachte ich deshalb, der Stelzenklaus sei der Mörder. Das hätte viel mehr Sinn. Aber er kann es nicht sein – wir müssen nicht weiter darüber nachdenken.«

Löb schwieg lange: »Ist der Frosch deshalb ein Mörder? Wir wissen wenig, sicher ist nur, dass der Frosch, wie ihr ihn nennt, mit dem Mord zu tun hat. Aber damit wissen wir weder, was er tatsächlich damit zu tun hat, noch welche Absichten er verfolgt. Die falsche Beschreibung, die er verbreitet, scheint Christoph zu schützen, und das kann ja nicht sein. Lasst uns zusammenfassen und ordnen, was wir bereits wissen, keine Vermutungen, nur Tatsachen. Und ich glaube, das kann niemand besser als Philo.«

Philo runzelte die Stirn: »Das Erste ist der Mord vor über vier Wochen: Nachts wird in der Nähe unserer Bretterhütte ein von hinten erstochener Bettler in die Ill geworfen. Ein alter, glatzköpfiger, meist besoffener Bettler.«

Christoph nickte.

»Über ihn haben wir erfahren, dass er am Abend wie ein Kind vor Weihnachten gewesen sei, bevor der Müller am Morgen seine Leiche gefunden hat. Er hat weit unten an der Ill seinen Schlafplatz gehabt, ist aber in unserer unmittelbaren Nähe gefunden und sicher auch umgebracht worden.«

»Richtig.«

»Vor zwei Tagen war der zweite Mord. Das Opfer ist ebenfalls ein Bettler mit grauen Haaren, nicht ganz so alt, lang, dürr, etwas krumm, aber kräftig, mit einer weißen Narbe im Gesicht. Er ist ebenfalls von hinten erstochen worden. Wir kennen ihn, nicht wahr, Christoph, letztlich sind wir wegen ihm aus unserer Bretterburg ausgezogen und Christoph ist zu euch gekommen. In der Öffentlichkeit wird aber die Beschreibung Christophs für das zweite Opfer verbreitet. Und daran wiederum hat der Frosch ein Interesse, denn er hat dem alten Fischer, der den Toten gefunden hat, Geld dafür gegeben und ihn noch zusätzlich verprügeln lassen. Für mich ist dies das größte Rätsel. Ich glaube, das ist alles.«

»Dass sie in der ganzen Stadt verbreiten, die Straßburger Juden hätten den Mord begangen, ist das für dich nicht wichtig?«, fragte Nachum und warf den Kopf zurück.

»Doch, sehr wichtig, aber ob es uns viel helfen kann, die Sache aufzudecken?«

»Was wichtig oder unwichtig ist, können wir jetzt noch kaum erkennen.« Löb hatte auf einer Schiefertafel mit Kreide Notizen gemacht, hielt sie auf Armeslänge vor sich und betrachtete sie kritisch.

»Es war bestimmt zweimal derselbe Täter, er ersticht seine Opfer von hinten mit dem Dolch!«, sagte Nachum.

»Jeder kann einen Dolch auftreiben.« Christoph sah den Frosch mit dem Dolch in der Hand nächtlich vor der Strohschütte stehen.

»Es ist aber schon eine Überlegung wert, Christoph«, sagte Philo.

»Noch etwas ist wichtig«, sagte Esther, »ich glaube, wir dürfen das Blutgeld nicht vergessen, das auf Christoph ausgesetzt ist.«

»Sehr wichtig«, sagte Löb.

»Dadurch bin ich ja zuerst auf den Stelzenklaus gekommen! Aber er war es nicht, das steht fest.« Philo schüttelte den Kopf.