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Schließlich hielt er es nicht mehr aus: »Es kann so nicht mehr weitergehen mit uns, Esther«, sagte er im Garten zu ihr und hielt ihre Hand mit beiden Händen fest.

»Du bist ein Dummkopf«, sagte sie, »was soll denn nicht mehr weitergehen mit uns?«

»Ich kann das nicht. Diese Heimlichtuerei. Ich kann deinen Vater nicht hintergehen – ich verdanke deiner Familie mein Leben, da kann ich doch nicht hinter seinem Rücken heimlich ein Verhältnis mit der Tochter anfangen.«

Ihr Gesicht war noch nie so schön wie in diesem Augenblick. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und schaute ihn von unten an. Ihre Haare fielen über seinen Arm, sie streichelte seine Hand, ihre Stimme war sanft: »Das ist schön, dass du so denkst, und du hättest Recht, wenn wir nicht zusammengehören würden.«

Seine Stimme klang gepresst: »Aber dein Vater – «

Sie richtete sich auf, schaute ihm in die Augen und behielt dabei seine Hand in ihrer: »Wir müssen es ihm natürlich sagen, was denkst denn du?« Sie sprach ganz unbefangen. »Du musst natürlich Jude werden. Du gehörst dann ganz zu uns. Wir werden deine Bar Mizwa feiern. Das gibt ein Fest! Und dann heiraten wir.« Sie drückte sich an ihn.

»Bar Mizwa?«

»Das Fest, mit dem junge Männer in die Gemeinde aufgenommen werden. Sie zeigen, was sie gelernt haben: lesen und schreiben. Sie lesen aus der Thorarolle, sie lernen unsere alte Schrift und die der Christen. Bei uns können alle lesen. Nachum feierte es vor einem Jahr. Du bist so gescheit, du kannst das schnell.«

Sie schlang beide Arme um seinen Hals, presste ihren Körper an seinen und küsste ihn, als würde dieser Kuss nie mehr aufhören.

Er drückte sie fest an sich und schloss die Augen.

Zwei Wochen später fand Philo Regine. Sie stand als Bettlerin im Regen bei der Schindbrücke und musterte jeden scharf, der vorüberging.

Philo fiel ihr um den Hals: »Endlich! Ich bin so froh, dass du da bist, aber wo ist Balthas?«

Sie berichtete, dass Balthas krank in Offenburg geblieben sei. Es sei nichts Schlimmes. »Er ist in guter Pflege und er kann sie bezahlen. Wir haben sehr viel Geld verdient in diesem Sommer.«

»Warum seid ihr nicht nach Straßburg gekommen?«

Weil auf Schloss Staufen im Breisgau der junge Graf, ein Neffe des Bischofs von Straßburg, eine große Hochzeit gefeiert habe, berichtete Regine, und sie alle drei als Gaukler eingeladen gewesen seien. Nur Philo sei leider nicht dabei gewesen. Sie erzählte, wie sie alleine ein großes Programm geboten hätten, wie Wein und Honig geflossen sei, wie dieses Programm das beste gewesen sei, das sie jemals geboten hätten mit Zaubern, Jonglieren, Seiltanzen, Feuerschlucken.

»Nur du hast gefehlt. Viel Geld haben wir bekommen, wir schwimmen im Geld. Geld vom Grafen, Geld von den Verwandten des Grafen, Geld von den Gästen, Geld von dem Volk, das zugesehen hat. Unsummen hat diese Hochzeit verschlungen. Ein ganz neuer Flügel ist an die Burg angebaut worden. Aus dem Brunnen im Schlosshof ist weißer und roter Wein aus den Röhren geflossen. Jeder konnte trinken, so viel er wollte. Hühner, Gänse, Lämmer, Schweine, ganze Ochsen haben sich an Spießen über wahren Höllenfeuern gedreht.«

»Da hätte ich schon gerne mitgemacht. Und ohne mich war doch kein wirklich guter Jongleur dabei und kein Seiltänzer, der seinen Namen verdient.«

Philo erzählte von den Morden, während sie stadteinwärts gingen.

»Zwei Tote, und Christoph bei den Juden untergekommen!« Regine blieb stehen. Der Regen rann ihr aus den grauen Haaren in das Gesicht.

»Bei den Juden«, fuhr sie ernst fort, »wie sicher ist er da? Überall wird auf die Juden geschimpft. Sie seien schuld an allem Unglück, das hörst du von Basel bis Mainz am ganzen Rhein. Zumindest wird es so erzählt, ich habe es mit eigenen Ohren gehört.«

»Es ist hier dasselbe«, sagte Philo und kickte einen Stein in die Ill, »die einfachen Leute verdächtigen die Juden, sie würden die Brunnen vergiften und Christenkinder entführen. Aber Löb sagt, die Reichen hätten Schulden bei ihnen, die sie nicht zurückzahlen wollten.«

»Ja, nicht wahr! Es heißt, der Bischof von Straßburg habe das Geld für die Hochzeit und den Neubau von Colmarer Juden aufgenommen. Da muss er natürlich Zinsen bezahlen.«

»Ich hatte noch nie mit einem Juden geredet. Jetzt kenne ich die Juden, bei denen Christoph sich verstecken darf. Es sind großzügige, freundliche Leute und wenn sie Schweinefleisch essen, am Samstag arbeiten und am Sonntag in die Kirche gehen würden und ihnen nicht verboten wäre Handwerker oder Bauer zu sein, wäre überhaupt kein Unterschied zu den anderen Bürgern. Nur dass sie reinlicher sind, weil sie sich öfter waschen. Aber die Leute in der Stadt sind verrückt und werden jeden Tag noch verrückter. Sie feiern Feste, als wäre es das letzte Mal, und machen unglaubliche Dinge. Neulich habe ich mit Christoph nachts ein Haus gesehen, da brannten von unten bis oben in allen Räumen die teuersten Kerzen, und das ganze Haus war leer – kein Mensch weit und breit. Ich hatte wegen der Morde völlig vergessen zu fragen, wer dort wohnt.«

Regine schüttelte den Kopf: »Es ist, als wolle jedermann sein Geld fast mit Gewalt loswerden – bei dieser Hochzeit in Staufen wurden Säcke von Geld verschwendet!«

»Die Angst vor der Pest?«

»Man kann jetzt mit dem größten Schwindel Geld machen, wenn man nur sagt, es sei gegen die Pest. Ich habe vor ein paar Tagen einen Kerl gesehen, der hat mit gefälschter Mandragora gehandelt. Ein Betrüger – sie haben ihm ihr ganzes Geld dafür gegeben.«

Philo blieb stehen: »Mandragora? Was ist denn das?«

»Kennst du die Alraune nicht?«

»Alraune habe ich schon gehört.«

»Mandragora – Alraune, das ist dasselbe.« Regine plapperte munter, manchmal blieb sie stehen und schaute Philo an, dann drückte sie wieder seinen Arm. »Die Wurzel gilt als Wundermittel gegen alle Krankheiten und wird deshalb fast mit Gold aufgewogen. Aber die Wurzeln, die dieser Wundermann für ein Vermögen auf dem Markt in Offenburg verkauft hat, die waren nicht echt! Ein gelehrter Arzt des Grafen von der Ortenau hat die Leute gewarnt, aber sie haben dennoch gekauft und gekauft. Wo gehen wir eigentlich hin?«

»Ins Judenviertel. Christoph freut sich, wenn er dich sieht, und den Juden haben wir schon so viel von euch erzählt.«

»Du hast unsere Nachrichten nicht bekommen? Wir haben immer wieder versucht euch nach Staufen zu locken.«

»Nein, keine einzige, und so viel Geld wie ihr habe ich nicht verdient. Es gab keine großen Feste in Straßburg und ich war auch nicht Gaukler, sondern fast immer Bettler.«

Regine fragte: »Hilft die Alraune gegen die Pest? Ich meine, die echte.«

»Ich kenne die Wurzel gut. Ich glaube, sie wird sehr überschätzt. Es gibt so viele Geschichten über sie, dass man fast alles glaubt, was über ihre Wirkungen gesagt wir?«, schmunzelte Löb.

»Geschichten?« Esther rückte neugierig näher.

»Nun, schon ihre Gewinnung ist sehr seltsam: Man gewinnt sie unter dem Galgen, weil sie nur dort wächst, wo ein Mensch aufgehängt worden ist. Es ist aber sehr gefährlich, sie herauszuziehen.«

»Warum?«, fragte Christoph. »Es kann doch nicht gefährlich sein, eine Wurzel aus dem Boden zu reißen.«

»Sie schreit!«

»Wer schreit?« Esther brachte den Mund nicht zu.

»Die Wurzel schreit, sie schreit lauter als ein Tier, wenn man an ihr zieht.«

»Eine Wurzel, die schreit, wenn man sie herauszieht? Wirklich schreit?« Esther, Christoph, Nachum und Philo redeten durcheinander.

»Sie schreit vor Weh, kein Mensch hält das aus.«