Выбрать главу

»Du hast es sehr genau beschrieben«, bestätigte der alte Abraham, »die Angst vor der Pest ist so tödlich wie die Pest selbst.«

Christoph verstand das nicht ganz: »Kann man wieder gesund werden?« Er presste die Hände zusammen.

»Die meisten sterben«, sagte Abraham ruhig, »von hundert Pestkranken sterben wohl siebzig bis über achtzig, so hat es mir ein jüdischer Arzt gesagt. Und er hat selbst die Pest bekommen und ist am Leben geblieben. Es gibt also Hoffnung.«

»Wenn man die Beulen aufschneidet«, sagt Christoph leise.

Abraham legte ihm die Hand auf die Schulter: »Es haben auch Kranke überlebt, denen die Beulen nicht aufgeschnitten worden sind. Sie brechen dann von selbst auf.«

»Und die meisten sterben?«

»Man wird schwächer, Fieber schüttelt einen, die Beulen vermehren sich, an allen Gelenken schwellen sie an, dick und schwarzblau. Die Schmerzen wachsen ins Unerträgliche. Man glüht vor Fieber und fällt in einen schweren Erschöpfungsschlaf, wenn man Glück hat. Manche bleiben qualvoll schlaflos, wälzen sich vor Schmerzen und merken, wie sie immer schwächer werden. Und dann hört das Herz auf zu schlagen.«

»Schrecklich!« Christoph bekreuzigte sich.

»Es gibt einen schlimmeren Verlauf, zum Glück selten. Die Pest beginnt dann in der Brust. Du hast Schmerzen beim Atmen, die ganze Brust tut dir weh und du fängst an zu husten, ein trockener Husten unter Höllenqualen, bei dem du meinst, dass du erstickst. Dann kommen dicke Klumpen von geronnenem Blut aus deinem Mund. Das Atmen fällt dir immer schwerer. Es ist, als liege ein großer Stein in deiner Brust. Das Fieber steigt sehr schnell, es kann einzelne Beulen geben und nach drei Tagen bist du tot, manche sterben sogar schon nach wenigen Stunden.«

»Und gibt es da Hoffnung?«

»Ich kenne niemand, der diese Pest in der Lunge überlebt hat.«

»Und woher kommt die Pest?«

»Von uns Juden!« Nachum war unbemerkt eingetreten und schrie es fast: »Sie sagen immer und immer, sie kommt von uns Juden.« Er weinte fast. »Wisst ihr, dass sie jetzt Prozesse gemacht haben in der Schweiz am Genfer See? Wisst ihr, dass die Juden gestanden haben unter der Folter? Wisst ihr, dass sie jetzt meinen alles beweisen zu können? Wisst ihr, dass sie die angeblichen Beweise nach Bern geschickt haben, damit sie dort auch die Juden umbringen? Wisst ihr, dass sie die Beweise von Bern nach Basel und Freiburg und Straßburg geschickt haben, dass sie unterwegs sind? Es ist wie in Aragon! Sie werden uns alle umbringen! Wir müssen auswandern, wir müssen auswandern!«

Man sah, wie er die Tränen verschluckte, wie es in seinem Gesicht arbeitete, wie sein Blick auf Christoph fiel.

Löb trat ein und hatte das Letzte noch gehört: »Zuerst, was weißt du? Woher weißt du es? Wer hat es dir gesagt?«

Nachum sprudelte los: »Sie sagen es, die ganze Stadt sagt – «

»Was ist das für ein Beweis, von dem sie reden?«

»Gift, sie haben in einem Haus eines Juden bei Lausanne Gift gefunden. Es ist wie in Aragon. Wir haben die Brunnen vergiftet. Sie haben die Juden so lange gefoltert, bis sie gestanden haben. Wir wollen die Christen ausrotten, um die ganze Welt zu beherrschen, deshalb werfen wir die Pest in die Brunnen!« Seine Stimme zitterte.

»Ich habe das alles auch gehört«, warf Löb ein. »Im Rat der Stadt wird es verhandelt. Herr Dopfschütz hat es mir gesagt: Sie haben aus Bern die Prozessakten hierher geschickt, Beweise für die Behauptungen des Herrn Wangenbaum. Es heißt, Ratsherren aus Bern seien auf dem Weg nach Straßburg, sie führten einen geständigen Juden mit sich als Beweis. Aber, Nachum, der Rat in Köln hat Briefe geschickt, in denen er in dieser Sache zur Vorsicht mahnt. Herr Schwarber hat das bestätigt. Herr Schwarber meint auch, dass die Berner im Rat von Straßburg nicht ernst genommen würden. Er selbst wolle sich für die Juden einsetzen, hat er mir versichert.«

»Weißt du auch, was sie in der Schweiz gemacht haben?« Nachums Stimme schlug um. »Heute wurde es gesagt, sie haben Holzhäuser gebaut und haben die Juden gezwungen hineinzugehen. Dann haben sie die Häuser mit Fackeln angezündet!« Er weinte laut: »Vater, ich will nicht verbrannt werden!«

Der Mensch sah elend aus. Er ging taumelnd und eigenartig steif, die Arme an die Seiten gelegt, als er von den Schergen grob vor den Rat der Stadt Straßburg gestoßen wurde.

Ganz im Gegensatz dazu die Herren aus Bern, die den hinfälligen Mann begleiteten. Sie verbeugten sich artig in ihren kostbaren Gewändern. Der liebenswürdige Herr Einschieß aus der guten und befreundeten Stadt Bern nahm das Wort.

»Sehr geehrte Herren«, sprach Herr Einschieß, »es ist einem Rat der Stadt Bern Ehre und Genugtuung, vor einem ehrsamen Rat der Stadt Straßburg erscheinen zu dürfen.«

»Was wird daraus werden?«, flüsterte Herr Kropfgans zu Herrn Eisenhut, der neben ihm stand und angewidert zuhörte.

Herr Dopfschütz spielte mit der goldenen Kette über seiner Brust: »Pst, lasst sie doch reden, meine Herren, ich bitte Sie.«

Einen Täter führe man vor, einen Geständigen, einen klar Überführten, um die Zweifel an der Schuld und Gefahr der Juden, die ein ehrsamer Rat der lieben und guten Stadt Straßburg noch habe, ein für alle Mal zu beseitigen!

Herr Einschieß machte einen Schritt nach vorne, wobei sich sein weiter, pelzverbrämter Mantel entfaltete wie das Rad eines Pfaus: »Hier dieser Mensch ist ein Jude, den wir auf frischer Tat ertappt haben. Er hat die Brunnen vergiftet. Er hat mit dieser schändlichen Tat die Pest in unsere schöne Stadt gelegt. Wir haben ihn mitgebracht, dass ihr ihn selbst befragt und euch von der Bosheit der Juden überzeugt, zum Schutze der lieben Stadt Straßburg.«

Dann holte er mit den Armen weit aus und wandte sich an einen nicht ganz so prächtigen Herrn neben ihm: »Herr Füegli, seid so nett und gebt es mir.«

Worauf Herr Füegli aus einer Tasche umständlich und mit bekümmerter Miene ein walnussgroßes Säckchen hervorbrachte, das er feierlich auf den Tisch vor den Straßburger Ratsherren legte.

Der Sprecher machte eine lange Pause und sagte dann mit gedämpfter Stimme: »Das Gift, meine Herren.«

Totenstille im Saal.

Herr Einschieß machte eine bedeutsame Miene: »Liebe Herren, wir wissen auch, wie das Gift zusammengesetzt ist: Es enthält Menschenblut, Urin, zu Pulver vermahlene geweihte Hostien, die man aus den Sakramentshäusern der Kirchen gestohlen hat, und einige Zauberkräuter – «

Ein Kaufmann der Stadt Straßburg trat vor, er hatte ein schmales Gesicht und war nicht sehr groß: »Ich heiße Peter Schwarber.« Er schaute die beiden Berner scharf an: »Woher kennt man die Zusammensetzung des Gifts?«

»Ein Aussätziger hat es verraten, der den Juden für Geld geholfen hat.«

»Unter der Folter?«

»Ja.«

»Hat man gesehen, wie der Jude das Gift aus diesem Säckchen genommen und in einen Brunnen geschüttet hat?«

»Man hat das Gift ausprobiert an einem Huhn, an einem Hund, an einem Schwein und an einem Juden. Sie sind alle daran eingegangen«, sprach Herr Einschieß und Herr Füegli nickte.

»Hat dieses Gift dem Juden gehört?«

»Man hat es in seinem Hause gefunden.«

»Herr Einschieß, wart Ihr dabei, als man das Gift gefunden hat?«

»Man hat mich geholt und da war das Gift.«

»War einer von den Herren dabei, die vor unseren Rat gekommen sind?«

»Man hat alle geholt. Und alle haben gesehen, dass das Gift in dem Hause war. Wir beschwören das.«

»Habt Ihr gesehen, wie der Jude das Gift in den Brunnen getan hat?«

»Er hat es gestanden.«

Herr Füegli nickte.

»Unter der Folter?«

»Ja.«