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»So heißt es. Andere aber sagen, dass die Templer sehr reich gewesen seien und dass sie dem König von Frankreich zu gefährlich geworden seien. Deshalb habe er mit dem Papst zusammen eine Anklage erfunden, eben Zauberei, und sie seien dann wegen ihres Reichtums und ihrer Macht hingerichtet worden.«

Die beiden schwiegen und sahen einem Schwarm Krähen nach, der über die Stoppeläcker flog. Man hörte die Krähen schreien. Im dürren Gras in der Nähe raschelte der Wind.

Dann begann der Vater wieder: »Eines ist aber doch sehr seltsam gewesen mit den Templern. Der Oberste des Ordens hat auf dem Scheiterhaufen, als das Feuer schon brannte, mit lauter Stimme geredet. Er hat den König von Frankreich und den Papst angeklagt wegen Betrugs, Verleumdung und Mord: ›Ich rufe euch, König und Papst, vor Gottes Gericht, der soll richten zwischen euch und mir. Ich rufe euch, wie es der Brauch ist, binnen vierzehn Tagen vor den Richterstuhl Gottes!‹«

Der Vater presste die Lippen so hart zusammen, dass sie dünn wurden wie ein Messer und fast schneeweiß.

»Und dann?«, fragte Christoph atemlos.

»Beide, der Papst und der König von Frankreich, sind innerhalb von vierzehn Tagen gestorben! Es hat, als ich so alt war wie du, ein Kaufmann bei uns daheim erzählt. Der war selbst dabei, als sie den Ordensmeister verbrannt haben, und er hat die Forderung mit eigenen Ohren gehört.«

»Dann hat der Ordensmeister doch zaubern können.«

»Kind, ich weiß es nicht.«

Der Nebel hatte sich aufgelöst, der Himmel hatte sich weiß bezogen, ein kühler Wind war aufgekommen. Sie sahen Felder und Wälder bis zum Horizont. Ab und zu stach ein Kirchturm aus den Mulden. Irgendwo läutete eine Glocke. Zwischen langen Steinriegeln an den Abhängen wuchsen Hecken. Eine Schlehenhecke, schon kahl, stand an ihrem Kopf, und Christoph sah einen dicken, schwarzen Käfer, aufgespießt an einem langen Dorn.

»Das macht der Neuntöter«, sagte der Vater, der dem Blick des Jungen gefolgt war, »so komme ich mir auch vor.«

Dann stand er auf: »Wir müssen nach Straßburg, wir müssen den Zahlen nach.«

»Was heißt das?«

»Wir wollen unser Haus wiederbekommen und du sollst später mein Geschäft fortsetzen.«

»Wir sind ausgewiesen«, sagte Christoph leise, »wir können nie mehr zurück nach Stuttgart.«

»Doch, ich weiß es und du musst es mir glauben: Wir werden die Täter überführen, dann wird das Urteil aufgehoben, und wir können in unser Haus zurück und in das Geschäft.«

Christoph biss sich auf die Lippen. »Wenn du nur Recht hättest – sie sind stärker als wir. Wir dürfen die Stadt Straßburg nicht einmal betreten. Wenn sie uns erwischen, werden wir hinausgepeitscht.«

Der Vater sah ihm ins Gesicht. »Die Stadt Straßburg ist groß. Die Schwachen können auch die Starken sein. Wenn ein Starker in die Stadt kommt, dann merkt man es, einen Schwachen übersieht man leicht. Und merk dir, die Schwachen halten eher zusammen, die Starken bekämpfen sich, weil jeder der Stärkste sein will. Freilich, wenn es um das nackte Leben geht, werden auch die Schwachen zu Mördern.«

Nur die Tatsachen zählen, hatte der Vater immer gesagt, lass die anderen spekulieren, wie sie wollen, zähl immer nur zwei und zwei zusammen, lass nichts sonst gelten. Das und Mut, das sind die Geheimnisse des Erfolgs. Christoph blickte hinauf zum Gesicht des Vaters. Wenn der Vater es wusste, dass sie gerettet werden konnten –

Welche Kraft ging von ihm aus! Er konnte kaum noch gehen, aber er redete trotz seiner schwachen Stimme so sicher wie zu Hause im Kontor, wenn er mit anderen Kaufleuten verhandelt hatte: »Ich kenne diese Männer, die mir ans Leben gehen wollen, ich weiß, wie ich sie anpacken kann.« Die Augen des Vaters schienen wieder Glanz zu bekommen.

Nach langer Zeit sagte der Vater: »Lass uns zusammenzählen, was wir wissen – alles, was uns irgendwie nützen kann.«

»Da sind die drei Zahlen, mit denen offenbar alles angefangen hat.«

Der Vater nickte.

»Wenn wir auch nicht wissen, was sie bedeuten.«

»Aber wir wissen, dass sie unvorstellbar wichtig sein müssen – so wichtig, dass man dafür Menschen umbringt.« Der Vater stolperte, Christoph konnte ihn gerade noch an einem Arm auffangen und der Vater stöhnte laut.

Der Vater fuhr mit bebender Stimme fort: »Wir wissen auch, wer die Täter sind, wenigstens einige von ihnen: Drei Straßburger Kaufleute kenne ich namentlich. Dazu kommen die zwei Stuttgarter Richter von gestern. Sie alle waren beteiligt. Mindestens fünf Täter.«

»Wie heißen sie?«

»Ich sage dir die Namen erst, wenn wir in Straßburg sind.«

»Warum?«

»Damit du sie nicht weißt, wenn du gefragt wirst.«

»Ich sage sie niemandem.«

»Sicher, aber du weißt nicht, wie sie fragen können!«

»Wir wissen nicht, was sie über uns wissen. Wir müssen es herausfinden.«

»Sie wissen, dass wir die Zahlen kennen. Sie wissen nicht, ob wir noch mehr wissen. Der Schmied hätte am Tag meiner Abreise bei mir sein können, ohne dass sie das gemerkt hätten.«

Christoph war stehen geblieben, sein Mund war plötzlich trocken: »Vater, wenn sie dich schon wegen der Zahlen und auf Verdacht hin, dass du mehr weißt, umgebracht hätten, dich schon zum Tode verurteilen ließen, uns beide aus der Stadt ausgewiesen haben und wir leben – aber dann – dann – «

Der Vater lehnte sich an einen dürren Baum: »Ich wollte dich schonen, aber du musst es aushalten. Unser Leben ist immer noch in allergrößter Gefahr.«

Die großen Handelsstraßen führten über Pforzheim oder Horb in das Rheintal und dort nach Straßburg. Beide waren zu gefährlich. Sie mussten auf heimlichen Pfaden über den Schwarzwald gehen.

Er merkte, wie die Schultern langsam steif wurden. Beide Schultern waren bei der Folter ausgerenkt worden, zwar hatte sie ihm einer der Henkersknechte mit groben Griffen wieder eingerenkt, aber er konnte die Arme kaum bewegen. Und das wurde von Tag zu Tag schlimmer, bald würde er nur noch die Unterarme bewegen können.

Schon beim sechsten Grad hatte er gestanden. Die Last, die sie ihm an die Füße gehängt hatten, war entsetzlich. Er war ohnmächtig geworden, und als er wieder zu sich kam, mit Höllenqualen in den Schultern, nass und frierend auf dem Steinboden liegend – offenbar hatte man einen Eimer mit kaltem Wasser über ihn gegossen –, und der siebte Grad angekündigt wurde, da hatte er gestanden.

Es war von vornherein sinnlos gewesen, nicht zu gestehen. Sie hatten die Gewichte bei ihm gefunden! Es war der Waagemeister selbst, der gegen ihn aussagte. Der Waagemeister war ein Mann von untadeligem Ruf. Zudem wusste in Stuttgart jeder, dass er der Familie Schimmelfeldt viel zu verdanken hatte: Wenn gerade der Waagemeister gegen ihn aussagte, so musste jeder Heinrich Schimmelfeldt für schuldig halten. Der Betrug war mit großer List angelegt worden.

Nach Tagen einer Betäubung, die ihn eingehüllt hatte wie eine Binde, schien er langsam zu erwachen. Er erinnerte sich kaum an den ersten Tag nach der Verurteilung. Es war wie eine lange und grauenvolle Nacht gewesen. Jetzt war er erwacht. Da war sein Sohn, der ebenfalls zum Bettler geworden war. Aber sein Sohn war der einzige Mensch, der ihm glaubte, dass er unschuldig war. Er sah ihn an: einen aufgeschossenen Jungen, mager und sehnig. Das Gesicht schien eher zart, aber er wusste, dass er kräftiger und zäher sein konnte, als es den Anschein hatte. Er sah seiner Mutter sehr ähnlich. Er hatte die üppigen, dicken schwarzen Haare seiner Mutter und ihre blauen Augen. Sie waren bei ihm etwas wässeriger als bei ihr, aber es waren die Augen von Heinrich Schimmelfeldts Frau, die ihn ansahen, wenn der Junge zu ihm aufblickte.

Er hatte den Blick des Jungen noch vor Augen, als er ihm von der Möglichkeit einer Rückkehr nach Stuttgart gesagt hatte – voller Vertrauen und gleichzeitig voller Angst! Christoph war etwas verwöhnt, das wusste er. Vor allem nach dem Tod der Mutter hatte er dem Jungen zu oft nachgegeben. Er hatte nicht unbedingt den starken Willen des Vaters, aber der glaubte zu wissen, dass Christoph durchhalten konnte, wenn es darauf ankam. Der Junge sollte wieder lachen können. Und sie würden gemeinsam das Geschäft wieder aufbauen, wie es vorher gewesen war!