Выбрать главу

Blutige Hälften von Schweinen und Ochsen wurden in den Hof der bischöflichen Residenz in Benfeld getragen. Dort brannten große Feuer, über denen von den Knechten des Bischofs an riesigen Spießen Schweine und halbe Ochsen langsam gedreht wurden. Der Schnee zerrann in Pfützen, in denen sich die Feuer spiegelten.

Draußen vor den Gittern des Palastes drängten sich die Bewohner von Benfeld im Schnee und schauten in den rauchigen Hof, wo sich die Diener gegenseitig wegrempelten, um für die Herren die besten Stücke zu ergattern. Die fürstlichen Diener, die mit ihren Herren gekommen waren, wurden bevorzugt bedient.

Auf den Dächern flatterten Krähen und Dohlen und warteten auf ihren Teil.

Philo hatte sich als Diener anwerben lassen.

Schließlich hatte sich auch für Christoph eine Stelle gefunden, bei der er den Saal übersehen konnte. Er half leere Teller und Trinkgefäße wegzutragen.

»Volle sind für dich zu gefährlich«, hatte Philo den Kopf geschüttelt und gelacht.

Früh am Morgen war in der Kirche von Benfeld in einem Gottesdienst des Bischofs um die »rechte Einsicht« gebetet worden. Ein gewaltiges Feuer brannte im riesigen offenen Kamin des großen Saales. Unter den Tischen der Herren standen Pfützen aus Bier und Wein und lagen halb abgenagte Knochen.

Reden wurden gehalten. Berthold II. der Bischof von Straßburg, redete über die Juden.

Es klingt nicht anders als bei Herrn Wangenbaum, dachte Christoph. Herr Wangenbaum saß weit vorne und rieb sich den Bauch nach dem fetten Essen. Neben ihm saßen weitere Mitglieder des Straßburger Rates. Da saßen Herr Dopfschütz, Herr Schwarber, der dürre Herr Eisenhut, der unendlich dicke Herr Kropfgans, der so gemütlich aussah mit seinem wehleidigen Altweibergesicht, wie Philo einmal gesagt hatte. Herr Mühlendamm und Herr Lobsack waren der sechste und siebte der Straßburger Delegierten. Herr Lobsack hatte kein einziges Haar mehr auf dem Kopf.

Philo turnte im Saal herum. Wenn jemand aufgepasst hätte, er hätte eine unglaubliche Gauklervorstellung zu sehen bekommen, und das umsonst: Es war unfassbar, mit wie vielen gefüllten Tellern und Platten gleichzeitig er sich durch den Saal schlängeln konnte.

Der Bischof war noch nicht zu Ende. Aber im Saal war ein Gemurmel und Gesumme, eigentlich hörte ihm niemand richtig zu. Fast an allen Tischen redeten die Besucher miteinander und warfen nur gelegentlich einen Blick auf den Bischof, der mit seinem roten Gewand und goldenem Stab prächtig dastand.

»Sie haben Jesus Christus an das Kreuz geschlagen. Wir können nicht so tun, als wüssten wir das nicht.«

Christoph beugte sich vor, um mitzubekommen, was ein Mann, der wie ein Graf angezogen war, zu seinem Tischnachbarn sagte. Er tat so, als bemühe er sich, möglichst viel Geschirr auf einmal wegzutragen.

»Wann kommt der endlich zur Sachen«, hörte er. »Das interessiert mich alles nicht – für mich zählen nur die Schulden, die ich bei den Juden in Colmar habe.«

»He du, wie lange brauchst du eigentlich noch, um die paar Teller hier wegzuräumen?«, rief sein Nachbar Christoph zu. »Dir tret ich gleich ins Kreuz. Ein bisschen hoppla jetzt!«

Christoph bemühte sich, etwas von den Gesprächen am Tisch der Straßburger zu hören. Aber Herr Dopfschütz saß da stumm wie aus Stein. Herr Schwarber flüsterte manchmal zu seinen Nachbarn, aber davon konnte Christoph nichts verstehen. Herr Wangenbaum redete unbekümmert laut auf Herrn Kropfgans ein. Aber da lohnte sich das Zuhören nicht. Jeder wusste, was Herr Wangenbaum über die Juden zu sagen hatte.

Der Bischof redete immer noch.

Später folgten weitere Redner. Sie sagten fast alle dasselbe: wie es Pflicht eines jeden Christen sei, sich von den Juden fern zu halten oder sie zur Taufe zu bewegen. Ein Mönch sprach lange darüber, dass man den Juden ihre kleinen Kinder wegnehmen müsse, um sie zu taufen und in den Klöstern christlich zu erziehen. Das sei verdienstvoll, und der Himmel sei einem sicher.

»Blödsinn«, hörte Christoph einen Mann sagen, der angezogen war wie ein Ritter, »wer soll denn das bezahlen? Die Juden kosten uns auch so schon genug, wenn wir ihre Zinsen bezahlen sollen. Wen kümmern ihre Bankerte?«

Ein Geistlicher, vielleicht ein Pfarrherr, redete nur kurz. Er begann damit, dass die Juden das auserwählte Volk Gottes seien und dass man dem Urteil Gottes nicht vorgreifen dürfe, dass dies auch die Auffassung des Papstes sei, der Morde an Juden verboten habe – noch alle Päpste hätten Morde an Juden verboten. Schließlich sagte er: »Gott will keine Menschenopfer, Abraham musste Isaak nicht opfern. Wir Christen haben als Erstes die Pflicht der Liebe.« Er hatte mit leiser Stimme gesprochen, so hatten ihn nur die vordersten Reihen hören können. Die begannen jetzt ein solches Geschrei, dass der Redner nicht mehr zu hören war.

Der Bischof, der ihm zornig zugehört hatte, gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen.

Schließlich redete ein dürrer Herr im schwarzen Talar sehr lange. Er gab einen historischen Überblick: Wie die Juden in allen Ländern versucht hätten sich festzusetzen und wie ihnen das noch nie richtig geglückt sei dank der Wachsamkeit vieler Christen. Vor allem zurzeit der Kreuzzüge sei hier Vorbildliches geleistet worden – gerade auch in den Ländern um den Rhein, wo man die Juden zu Hunderten verbrannt habe. Vorbildliches habe aber vor allem der Papst geschaffen anno 1215, als er den Juden jede Arbeit verbot außer Kleinhandel und Geldverleih gegen Zinsen.

»Keine jüdischen Handwerker mehr, keine jüdischen Bauern mehr, fast keine jüdischen Kaufleute mehr, man kann sich ja heute schon kaum mehr vorstellen, dass es das alles einmal gegeben hat.

Das hat sie getroffen bis ins Mark! Der Papst hat auch gute Vorschläge gemacht zum Äußeren der Juden. Aber die Stadt Straßburg hat unverständlicherweise ihre an Gorgon gegebenen Kleiderverordnungen wieder zurückgenommen. Kein Wunder, dass es noch immer Heiraten gibt zwischen Juden und Christen, Ehen, die selbstverständlich vor Gott ungültig sind von Anfang an. Damals, anno 1215, wurde ein Ende eingeleitet, und jetzt muss endlich Schluss sein damit. In Köln stand ihre Synagoge Wand an Wand mit dem christlichen Rathaus, der Bischof von Speyer hat vor vierhundert Jahren Juden in seine Stadt geholt, um den Ruhm der Stadt zu vermehren – das alles muss anders werden. Ich bitte Sie, meine Herren!«

Christoph hatte das meiste schon von Löb gehört und wusste, dass es stimmte.

Aber auch in den letzten Jahrzehnten seien immer wieder großartige Dinge geschehen. Er erinnere nur an die Verdienste des Ritters Rindfleisch in Franken, auf dessen Betreiben vor fünfzig Jahren über hundert Judengemeinden ganz ausgelöscht worden seien, nachdem Juden in Rötungen eine Hostie durchbohrt hätten, um Zauber gegen Christen auszuüben. »Tausende von Juden hat man zu ihrem Heil lebendig verbrannt! Heute wissen wir, dass die Juden die Brunnen vergiften, um die Pest unter den Christen zu verbreiten – «

Herr Wangenbaum sprang auf und klatschte in die Hände.

Christoph sah Philo, der in einer Ecke stand und mit vielen Bällen und Löffeln gleichzeitig jonglierte, auf der Stirn balancierte er dabei einen großen Kochlöffel. Er hatte Publikum. Ein Graf und einige Ritter hatten sich mit dem Rücken zum Redner gesetzt, um dem Jongleur zuschauen zu können.

Herr Dopfschütz hatte das Kinn auf die Brust gesenkt und schlief.

Am Nachmittag wurde unter viel Lärm und Streit ein kleiner Rat bestimmt, der die Beschlüsse zur Abstimmung am Abend vorbereiten sollte.

»Ich glaube kaum, dass ich in diesen kleinen Rat hineinkann«, sagte Christoph zu Philo.

»Das macht nichts«, sagte Philo lachend, »ich bin schon drin!«

Christoph schaute ihn verwundert an: Wie ein Pfau stolzierte Philo plötzlich einher, ein Wappen auf die Brust gestickt.

»Du siehst den Diener eines mächtigen Grafen vor dir.«

»Aber der hat doch seine Diener. Wie – «

»Der Graf von Reichenweiher hat mich eingestellt, auf Lebenszeit. Er will keinen anderen Leibdiener mehr und ich soll ihn mit Gaukeln unterhalten, so eine Art Hofnarr und Hofgaukler gleichzeitig. Er hat mir schon ein Handgeld von drei Gulden gereicht. Dabei musste er sich gegen zwei Mitbewerber durchsetzen. Aber das waren nur Ritter.«