»Und – bleibst du bei ihm?«
»Da kannst du sehen, welch einträgliche Möglichkeiten für eine Lebensstellung ich hätte, aber ich will noch nicht!«
»Und die drei Gulden?«
»Nun, ich denke, er hat die heutige Vorstellung gut bezahlt.«
»Schreckliche Dinge habe ich gehört«, sagte Philo am Abend in der Küche. Als Diener eines Grafen konnte er sich überall unter dem Gesinde frei bewegen.
Christoph hatte den ganzen Nachmittag rußige Kessel geschrubbt. Jetzt verzichtete er auf seinen Lohn und ging mit Philo hinaus. In den Gassen des kleinen Städtchens standen die Leute und warteten gespannt auf Nachrichten von dem großen Tag, der bei ihnen gehalten wurde, wie sie stolz erzählten.
»Es wird schlimm werden für die Juden«, begann Philo bedrückt.
Im kleinen Rat, in dem auch alle Vertreter der Stadt Straßburg saßen, war anders geredet worden als am Vormittag in der großen Versammlung.
»Sie haben fast nur über Geld geredet, wie verschuldet alle seien, der Bischof, der Adel, die Städte, die Zünfte und die Handwerker. Alle müssten den Juden hohe Zinsen bezahlen. Die Juden aber seien reich, man glaube nicht, wie viel Geld in den Vierteln der Juden zu finden sein müsse.«
»Es geht also um Geld?«, fragte Christoph und schnaubte verächtlich durch die Nase.
»Du kannst dir denken, wie der Herr Wangenbaum geredet hat. Er ist ein armes Schwein, das die Juden aussaugen bis zum letzten Blutstropfen, wenn man ihm glaubt.«
»War von der Pest die Rede?«
»Nur am Anfang, auch vom Brunnenvergiften hat niemand mehr etwas gesagt, nicht einmal der Herr Wangenbaum, dessen Lieblingsthema das sonst ist.«
»Geld!«
»Nicht nur Geld. Der Bischof hat sich verraten. Er sei auf der Seite der kleinen Leute in Straßburg, hat er behauptet. Also ist es für ihn eine Machtfrage: Er will die kleinen Leute auf seine Seite ziehen, die Angst haben vor der Pest, indem er die Juden verfolgt. So hofft er seine Macht in Straßburg wiederzuerlangen, die ihm die reichen Kaufleute weggenommen haben.«
»Hast du die Beschlussanträge für heute Abend gehört?«
Philo legte den Arm um Christoph: »Du wirst sie nachher hören, sie sind fürchterlich!«
Christoph setzte sich auf einen Radabweiser.
»Werden sie beschlossen?«
»Insgesamt schon.«
»Und Herr Dopfschütz und die anderen Straßburger Herren?«
»Die haben fast nichts gesagt. Herr Schwarber hat sich einmal zu Wort gemeldet, er wurde aber von Herrn Dopfschütz sofort am Arm gefasst. Sie hecken etwas aus, das hat man gemerkt. Aber ich habe nicht herausfinden können, was. Vielleicht gibt es noch Hoffnung.«
Christoph starrte in den Schnee.
»Sie haben über diesen Beschlussantrag nicht lange gesprochen. Die meiste Zeit wurde darüber geredet, wer die Kosten tragen müsse.«
»Kosten?«
»Ja, sie sind sich einig gewesen, dass die Juden lebendigen Leibes verbrannt werden müssen wie vor ein paar Wochen in Basel. Am längsten haben sie sich gestritten, wer das Brennholz bezahlen muss!«
»Wird es beschlossen?«
»Ich weiß nicht, Herr Dopfschütz hatte so ein schlaues Lächeln.«
Christoph schwieg.
»Der Herr Bischof hat noch lange von der christlichen Verantwortung geredet. Man dürfe nur Juden verbrennen! Wer sich taufen lasse, sei zu verschonen! Ganz kleine Kinder müsse man den Müttern auf dem Weg zum Scheiterhaufen wegreißen, damit man ihre Seelen retten könne.«
Der Himmel war grau an diesem Tag und es wurde rasch dunkel. Vor dem Gitter war es schwarz vor Menschen. Am Abend würde das Gitter für die Bewohner von Benfeld geöffnet und sie dürften sich an den Resten satt essen.
Im großen Saal brannten Fackeln und verbreiteten einen rußigen Qualm, der sich langsam über die Tische zog und unter dem offenen Gebälk des riesigen Raumes lagerte.
Der Bischof trat ein und alle erhoben sich von ihren Plätzen.
»Wir sollten keine langen Reden mehr halten. Das Wichtigste ist schon heute Morgen gesagt worden. Viel Neues wird es nicht geben. Ich verlese jetzt die Beschlussanträge, wie sie im kleinen Rat für alle beraten worden sind:
Ad eins: Die Juden im ganzen Elsass werden aufgefordert sich taufen zu lassen. Alle, die verstockt sind, werden als Ketzer zum Heile ihrer Seelen verbrannt.
Ad zwei: Das Holz zur Verbrennung der Juden wird von den jeweiligen Gemeinden und Herrschaften zur Verfügung gestellt.
Ad drei: Der Besitz der Juden wird zum allgemeinen Wohle verteilt.
Ad vier: Die Herrschaften und Städte am übrigen Oberrhein schließen sich diesen Beschlüssen an.
Gegeben am Sonntag nach Hilarius, am vierzehnten Tag des Monats Januar im Jahre des Heils dreizehnhundertneunundvierzig.«
Raunen im Saal.
Herr Dopfschütz erhob sich langsam und schaute auf die langen Bankreihen, dann hob er die Hand: »Meine Herren, ich spreche für die sieben Deputierten der freien und kaiserlichen Stadt Straßburg.«
Er machte eine lange Pause.
»Die Statuten der kaiserlichen und freien Stadt Straßburg erlauben keine Zustimmung.«
Lärm im ganzen Saal, Rufe, Grölen. Herr Dopfschütz stand mit erhobener Hand. Dann wurde es wieder ruhig.
»Die Statuten der Stadt Straßburg verlangen eigene Beschlüsse der Stadt. Was andere beschließen, geht die Stadt Straßburg nichts an.«
»Dann geht nach Hause und beschließt es«, rief jemand.
»Wir können hier bleiben«, sagte Herr Dopfschütz lächelnd, »wir sind zu einem Beschluss ermächtigt.«
Christoph hatte die Hände ineinander verkrampft, die leeren Becher standen unbeachtet auf einem Tisch.
»Das heißt, wir haben bereits beschlossen: Wir lehnen die Anträge des kleinen Rates in unserer Mehrheit ab. Ich bin ermächtigt auch für die Herren Wangenbaum und Mühlendamm zu sprechen. Sie heißen den Antrag gut, finden aber unter uns anderen Delegierten keine Mehrheit. Da es unsere Statuten verbieten, ist der Beschluss der Mehrheit in diesem Saale, sollte er unserem Beschluss widersprechen, nicht für uns gültig.«
Er wölbte den breiten Leib vor und schwieg, der Saal war erfüllt von Zurufen: »Judenfreund, Judenknecht, Judensau!«
Christoph hatte vor Erleichterung Tränen in den Augen. Dort drüben stand Philo, er sah ihm an, dass er genauso erleichtert war wie er. Am liebsten wäre Christoph hingerannt und hätte Herrn Dopfschütz umarmt.
Ein Ritter erhob sich mit blaurotem Gesicht: »So wahr ich hier stehe, ich erkläre der Stadt Straßburg die Fehde.« Er torkelte.
Es wurde gelacht: »Du kannst ja nicht einmal gerade stehen!«
Einer schrie: »Ist in Straßburg das Brennholz so teuer?«
Herr Wangenbaum erhob sich schwerfällig, sein feistes Gesicht war angelaufen: »Die Vernunft hat nicht gesiegt in Straßburg. Ich frage mich, ob ein verehrter Rat der Stadt sich über die Gefahr im Klaren ist, die von den Juden ausgeht. Die Pest! Sie vergiften die Brunnen und – «
Herr Dopfschütz zog ihn zusammen mit dem dicken Herrn Kropfgans und Herrn Schwarber auf seinen Platz nieder.
»Warum sind denn in Straßburg die Brunnen bewacht?«, rief jemand.
Christoph wusste, dass in Straßburg nur die Brunnen der Juden bewacht waren. Sie waren bewacht, damit keine kleinen Kinder hineinfielen. Am liebsten hätte er es laut in den Saal geschrien.
Ein anderer grölte: »Warum habt ihr dann in Straßburg die Eimer von den Brunnen genommen?«
Christoph wusste, dass das einfach eine Lüge war, aber sie wurde im ganzen Raum aufgegriffen und sinnlos in die Menge gebrüllt.
Der Bischof von Straßburg, der die Versammlung einberufen hatte, saß mit hochrotem Gesicht auf seinem erhöhten Sitz.