Wie unangenehm die Türe quietschte!
Finster war es in dem Raum, in den er trat, und bitterkalt.
Es war aber nicht ganz dunkel. Dort auf dem alten Gesimse stand eine brennende Kerze. Er wurde also erwartet. Es war keine Fackel und kein Kienspan. Es war eine teuere Kerze, die da brannte, ohne zu rußen oder zu qualmen. Und sie stand in einem silbernen Leuchterlein! Er konnte beruhigt warten.
Es sah sich um. Das Gebälk zum oberen Geschoss war teilweise heruntergesackt. Eine herabgebrochene Stiege hing halb im Raum.
Hier, im unteren Geschoss, waren die Trümmer des Gebälks zum Teil zur Seite geräumt und der Raum war etwas wohnlich gemacht worden. Ein wackeliger Tisch stand da und eine Bank, die nur noch drei Füße hatte, weshalb eine Holzkiste unter sie geschoben worden war.
Er setzte sich vorsichtig darauf.
Aus der Ferne hörte er den Schlag von Turmuhren, sonst war alles totenstill, höchstens ein Knacken im Gebälk. In einem Luftzug bewegten sich die Spinnwebfahnen schwer von Staub. Die Kälte kroch an den Beinen hoch.
Manchmal ließ ihn ein Rascheln auffahren, aber es war nur eine Ratte, die mit glänzend schwarzen Augen zu der Kerze hochsah und weghuschte.
Nach und nach wurden ihm andere Geräusche bewusst: leises Scharren und Knirschen. Dazu kam von der herabgebrochenen Stiege her etwas wie Stöhnen und Klappern. Ein seltsames Pfeifen und Kratzen setzte ein, schwere Atemzüge. Was bewegte sich da?
Hilf, Himmel, was war da noch in dem Raum außer ihm? Er hörte den schweren Atem immer deutlicher, sein Herz ging wie ein Hammer. Er presste die Hände zusammen, trotz der Kälte brach ihm Schweiß aus.
Langsam erhob er sich von seinem Sitz.
Das Geräusch des Atems, das im Raum hing wie von einem Tier, wurde jetzt zu einem Stöhnen, und da kam es – ein fahler schwarzweißer Schein, eine Gestalt, die langsam hinter den zerbrochenen Stiegen hervorwandelte. Ganz schwarz, nur ein grell kalkweißes Gesicht, darüber wie ein dicker Busch schwarze Haare.
Der Frosch stand wie aus Stein.
Auf der Brust der Gestalt schimmerte etwas. Ein Dolch steckte da!
»Erkennst du mich? Schwarze buschige Haare, blaue Augen?«
Die Stimme hatte nichts Menschliches an sich. Aber er erinnerte sich, er hatte dieses Gesicht schon einmal gesehen, in einer Herberge im letzten Frühjahr –
»Ja, ich bin Christoph Schimmelfeldt. Du hast mich verfolgt, du hast mich ermorden lassen. Du hast das Blutgeld für mich genommen und hast dafür getötet!«
Ein Winseln kam aus der Brust des Beschuldigten.
»Ich bin nicht gekommen, um zu strafen, das werden andere tun. Aber ich finde die ewige Ruhe nur in der Wahrheit.« Die Gestalt schwebte näher: »Wer hat dir das Blutgeld gegeben? Du musst es mir sagen.«
Der Frosch hatte einen trockenen Mund, er versuchte zu sprechen, aber er brachte nur ein Würgen, ein Ächzen heraus.
»Es ist mir Macht gegeben über dich«, redete die furchtbare Gestalt weiter, indem sie näher schritt, »wenn du die Wahrheit nicht sagst, breche ich dir das Genick!«
Da löste sich etwas: »Ich war es nicht, ein Bettler hat dich getötet – er ist schon bestraft«, krächzte er, und als ihn die Gestalt schon fast erreicht hatte, brach es aus ihm heraus: »Es war der Herr Dopfschütz. Herr Dopfschütz hat das Blutgeld bezahlt, ich schwöre es. Er hat mich sogar um das vereinbarte Geld beschissen. Nur darum habe ich – «
Aber schon bewegte sich die geheimnisvolle Gestalt rückwärts unter den Vorsprung der Stiege und verschwand in der Nacht.
Der Frosch begann zu lachen. Er lachte und lachte –
»Es ist unglaublich!« Herr Dopfschütz stapfte im Saal seines großen Hauses herum. »Jetzt, da wir am wenigsten ein Störung brauchen können, kommt es gleich doppelt: Dieser Schimmelfeldt, längst totgesagt, erstochen, in die Ill geschmissen, das Blutgeld für ihn bezahlt, taucht wieder auf – frisch und lebendig, als hätte er nicht tot an einem Fischerpfahl gehangen, wie mir versichert wurde. Und bei wem finde ich ihn? – Beim Juden! Und damit nicht genug: Dieser Betrüger, der ihn erstochen gesehen haben will, der das Blutgeld kassiert hat, lässt sich auf einmal wieder mit seinem widerlichen Handel von falschen Mandragorawurzeln in der Stadt blicken.«
»Was können die beiden uns – « Herr Eisenhut fasste nach dem Arm des Herrn Dopfschütz.
»Was können die beiden uns? Herr Eisenhut, höre ich schlecht? Was können die beiden uns? Was musstet Ihr den Betrüger auch mit hinzunehmen in das beleuchtete Haus! Jawohl, der lebt nicht mehr, den habe ich das Schwimmen gelehrt in der Ill, der ist baden gegangen – den habe ich erstechen lassen. Zuverlässig!«
»Und der andere?«, fragte Herr Eisenhut.
»Jetzt sind wir viel weiter, bis jetzt hat er uns ja nicht geschadet. Man wird sehen. Er ist bei den Juden. Dort ist er untergeschlüpft, wir können vielleicht etwas daraus machen.«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, Herr Kropfgans, dass wir eins und eins zusammenzählen. Was besagen will, dass wir feststellen, wo wir sind. Das Geld ist da, meine Herren, ich habe es vor zwei Tagen bekommen!«
»Wann kann dann die ganze Sache losgehen?« Herr Eisenhut hatte seinen dürren Hals nach vorne gestreckt, dass er aus seinem pelzverbrämten Gewand ragte wie der Kopf einer Schildkröte. »Wie weit sind wir mit den Versuchen?«
»Wir haben den kleinen Turm in die Luft fliegen lassen und es hat viel Rätselraten in der Stadt gegeben. Herr Wangenbaum hat den Verdacht auf die Juden gelenkt und uns damit sehr geholfen, ohne es zu wissen.«
Er lachte, Herr Eisenhut schloss sich an, während Herr Kropfgans misstrauisch von einem zum andern blickte.
»Wir haben in den Vogesen einige dicke Bäume entwurzelt, und das hat in der Stadt niemand bemerkt. Es sind dort auch einige Felsen zertrümmert worden, wobei zwei Bauern und ein Minenarbeiter um das Leben gekommen sind.«
»Schlimm!«, sagte Herr Kropfgans.
»Es müssen Opfer gebracht werden auf unserem Weg, Herr Kropfgans, das haben wir von Anfang an gewusst.«
»Was ist mit dem Schießen?«, fragte Herr Eisenhut, ohne sich um Herrn Kropfgans zu kümmern.
»Einige Rohre sind fertig«, freute sich Herr Dopfschütz, »die Schwierigkeit ist aber, dass man immer noch nicht genau weiß, wie viel von unserem Schießpulver in das Rohr muss, um das Geschoss hinauszutreiben, ohne dass es das Rohr zerreißt. Auch hier sind Menschen gestorben, meine Herren, aber wir sind auf gutem Wege. Die letzten Versuche waren sehr ermutigend. Man kann mit dickeren und dünneren Eisenrohren Mauern und Menschen zusammenschießen. Eine große Zahl von Schmieden arbeitet für uns. Und wir haben gelernt: Kein Schmied weiß, woran er arbeitet. Demnächst wird auch in Stuttgart für uns geschmiedet. Unsere Verbündeten sind benachrichtigt und leiten alles in die Wege. Haben wir das Elsass und die Grafschaft Wirtemberg, so haben wir fast ganz Schwaben, die wichtigste Voraussetzung, um unser Ziel zu erreichen.«
»Die Rohstoffe?«
»Kein Problem, Herr Eisenhut. Den Salpeter bekommen wir aus Venedig, er kommt aus dem Orient, das Geld liegt dafür am Rialto bereit – einiges gewinnen die Leute auch aus Ställen. Den Schwefel haben wir aus Italien, gut, billig. Die Kohle aus dem Schwarzwald – wir brauchen beste Qualität!«
»Also, Herr Dopfschütz, Herr Kropfgans, wir haben unser Geld in eine gute Sache gesteckt.« Herr Eisenhut nickte befriedigt. »Wir werden dann – «
»Noch nicht, meine Herren, gerade das Finanzielle macht mir Sorgen.« Herr Dopfschütz wiegte bedenklich den Kopf.
»Habe ich recht gehört?«, fragte Herr Eisenhut. »Ihr habt doch das Geld von dem Juden bekommen.«
»Ja«, lächelte Herr Dopfschütz, »alles! Es ist eine riesige Summe, wie ich sie noch nie zusammen gesehen habe, meine Herren. Und mit Ihren Einlagen, meine Herren, vor allem von Herrn Kropfgans, wird es reichen.«
»Dann ist doch alles in Ordnung«, freute sich Herr Kropfgans, und Herr Eisenhut rieb sich die Hände.