»Die Zinsen, meine Herren, ich dächte, Sie wären Kaufleute. Die Zinsen, meine Herren, lassen uns wenig Spielraum, viel weniger, als wir gedacht haben. Sie fressen uns auf.«
Herr Kropfgans fuhr auf: »Soll das heißen, dass wir – ohne mich!«
Herr Dopfschütz hatte Geduld: »Sie müssen dran, die Juden. Es gibt keinen Ausweg. Ihr wisst, ich bin der Letzte, der – «
»Benfeld – «
»Herr Kropfgans, hätten wir in Benfeld zugestimmt, dann hätten wir das Geld niemals zusammenbekommen, das wisst Ihr so gut wie ich.«
»Aber ich meinte, dass die Juden – « Herr Kropfgans kratzte sich am Kopf.
»Auch wir, Herr Kropfgans, auch wir, nicht wahr, Herr Eisenhut, auch wir wollen es nicht. Ihr habt gehört, wie wir in Benfeld alles niedergestimmt haben. Wir haben gedacht, es ginge. Aber wenn ich Euch die Zinssätze sage, Herr Kropfgans – es geht nicht!«
»Dann – «
»Dann wollen wir nichts überhasten, nicht wahr, Herr Kropfgans, die Stimmung im Rat kippt ohnehin, wir sind die Letzten, die für die Juden eintreten, man muss auch an die Angst der kleinen Leute denken. Herr Wangenbaum will – «
»Herr Schwarber – «
»Der Schwarber ist isoliert. Ich schätze ihn ohnehin ein wie den Herrn Schimmelfeldt, und auch da waren wir uns immer einig.«
Herr Kropfgans verzog wehleidig das Gesicht.
»Es geht um das Ziel, meine Herren, ich sage es noch einmal – es geht um den Frieden, den wir herstellen können, wenn wir die Macht haben. Wir wollen die Macht ja nicht für uns. Darüber waren wir uns einig – leider, Herr Kropfgans, nun auch die Juden!«
»Wann?«, fragte Herr Eisenhut.
»Die Juden gleich, die Macht im Sommer, der ewige Friede, ich würde sagen, in drei Jahren!«
Am Dienstag vor Valentin des Jahres 1349 standen die Herren im Ratssaal der Stadt Straßburg.
»Herr Schwarber, gebt auf. Ihr könnt nichts mehr machen. Wenn Ihr aus dem Fenster schaut – «
Von oben sah es aus, als könne man über die Köpfe gehen, so dicht stand die Menge auf dem Markt.
Wie am Vortag hatten sich die Metzger und die Gerber der Stadt zusammengerottet, die Luft dröhnte von ihrem Ruf: »Juden weg! Schwarber weg! Dopfschütz weg! Juden weg! Schwarber weg! Dopfschütz weg!«
»Verstehe ich recht? Auch Ihr wollt, dass die Juden – « Herr Schwarber sagte es leise.
»Wir können uns nicht immer gegen das Volk stellen, Herr Schwarber, wir sind da, das Wohl der Stadt zu befördern!«, sagte Herr Dopfschütz laut und wiegte bedauernd den Kopf.
»Die Juden sind doch auch das Wohl der Stadt, Herr Dopfschütz. Sie sind doch auch Bürger unserer Stadt.«
»Verbrecher sind das, Brunnenvergifter!«, mischte sich Herr Wangenbaum ein. »Das sind keine Bürger. Verurteilt gehören sie. Die Juden sind unser Unglück! Wie lange muss man das noch sagen.«
Die Lippen von Herrn Eisenhut waren wie zwei Messer.
»Ihr wisst so gut wie jeder andere, dass man das Volk aufgehetzt – «
»Weiß man das, Herr Schwarber? Ihr wisst, ich bin ein Mann der Ordnung und der Gesetze! Ihr seht selbst: Wie wollt Ihr die Ordnung in der Stadt aufrechterhalten, wenn Ihr Euch weiter gegen unsere fleißigen Handwerker stellt!«
Herr Wangenbaum hörte atemlos zu.
»Aufgehetzt sind die Bürger vom Bischof und seinem Anhang.« Herr Schwarber schaute von Herrn Dopfschütz zu Herrn Wangenbaum. »Wir waren uns einig, Herr Dopfschütz, dass die Macht des Bischofs nicht – «
»Ich bin ein frommer Mann, Herr Schwarber, das seid Ihr doch auch, ich gehe jeden Sonntag in die Kirche!«
»Herrgott, darum geht es doch nicht, Herr Dopfschütz, ich bitte Euch. Den meisten geht es doch um das Geld, sie sind verschuldet bei den Juden, auch Ihr, das – «
»Herr Schwarber, ich muss doch sehr bitten! Das ist eine beleidigende Unterstellung, die Ihr nicht beweisen könnt, die ich mir verbitte und die Ihr schnell zurücknehmen solltet!«
»Ihr redet immer von den Statuten der Stadt, Herr Dopfschütz, die Statuten sagen – «
Die Rufe von außen schwollen an.
»Statuten sind kein vom Himmel gefallenes Evangelium, Herr Schwarber. Ihr wisst, ich denke immer rechtlich, aber das Recht muss man manchmal auch den Bedürfnissen anpassen. Und das ist jetzt, ich muss es sagen, Herr Schwarber, das ist jetzt leider der Fall.«
Herr Kropfgans, der neben Herrn Dopfschütz stand, verzog das Gesicht wie ein Kind.
Herr Schwarber war bleich: »Es gibt ein Recht, Herr – «
Ein Bote meldete, auch der ganze Münsterplatz stehe jetzt voller Menschen. Das Gebrüll vom Marktplatz her wurde lauter.
»Herr Schwarber«, sagte Herr Dopfschütz höhnisch, »die Statuten sagen, dass im Rat die Mehrheit regieren soll, ich darf Euch daran erinnern. Wenn Ihr es nicht selbst merkt: Ihr habt die Mehrheit verloren, Herr Schwarber!«
Der Vater hatte Christoph vom Valentinstag in Frankreich erzählt. Junge Leute, die sich liebten, durften an diesem Tag ganz ernsthaft eine Verlobung auf Probe eingehen, die ein Jahr lang galt. Sie durften sich dann ein Jahr lang in aller Öffentlichkeit zeigen und galten als Paar. Das war bei Esther und ihm unmöglich. Sie brauchten noch viel Zeit. Abraham hatte es gesagt, Löb hatte es gesagt. Esther hatte es gesagt.
Esther ging ihm nicht aus dem Weg, aber sie hielt sich zurück – sie lächelte ihm zu. Zum Chanukkafest hatte sie ihm ein kunstvoll mit Goldfäden verziertes Käppchen geschenkt, wie es Abraham, Löb, Elieser und Nachum trugen. Sie hatte es selbst bestickt.
Im goldenen Muster war ein Elefant.
Der Tag des heiligen Valentin würde dieses Jahr auf einen Sabbat fallen. Hatte nicht sein Vater der Mutter einmal am Valentinstag eine Rose mitgebracht, und niemand erfuhr jemals, woher er sie hatte mitten im Winter! Konnte Christoph jetzt im Februar eine Blume bekommen?
Es wurde früh dunkel am Abend vor dem Tag des heiligen Valentin. Und es war viel später als sonst vor dem Sabbatmahl. Christoph fand keine Ruhe. Er hatte sich kein Licht geholt. Er ging in der dunklen Kammer auf und ab, dann schaute er wieder in das letzte Dämmerlicht hinaus. Alles war still. Auflaufe waren gewesen in der Stadt: Am Markt und am Münsterplatz hatten Menschenmassen gestanden und brüllend die Befolgung der Benfelder Beschlüsse verlangt. Aber das war schon ein paar Tage her. Die große Stadt war wieder zur Ruhe gekommen, ohne dass den Juden etwas geschehen war.
Er dachte an ein Gespräch am Vorabend. Nachum hatte wieder dringend die Flucht gefordert. Dabei hatte er gesagt: »Wir sind das auserwählte Volk Gottes. Wir müssen dafür sorgen, dass wir gerettet werden!«
»Wenn er uns retten will, wird Gott dafür sorgen«, hatte der alte Abraham strenger gesagt, als man es von ihm gewohnt war.
Löb lehnte sich zurück: »Die Väter lehren, dass wir das auserwählte Volk Gottes sind, aber das heißt nicht, dass wir besser sind als andere, es heißt nur, dass Gott auf uns ein besonderes Augenmerk hat, dass er unsere Sünden besonders rächt. Auserwähltsein heißt Pflicht, Nachum.«
»Es heißt auch, dass Gott uns dafür ein Land verheißen hat.« Nachums Augen blitzten.
»Und dass er es um unserer Sünden willen wieder weggenommen hat«, sagte Löb trocken.
»Freilich kann er es uns auch wiedergeben, wenn er will«, sagte Abraham leise.
»Denn uns ist der Messias verheißen.« Nachum warf den Kopf zurück.
»Ja, der Friedenbringer. Er soll der Welt den Frieden bringen, Nachum, und nicht den Streit«, sagte der alte Abraham und erhob sich.
»Für uns ist das Jesus Christus«, hatte Christoph zaghaft eingeworfen. »So sagen es die Priester und Mönche.«
»Du darfst das gerne glauben«, erwiderte Löb, »aber den Frieden hat er nicht gebracht, bis jetzt wenigstens noch nicht.«
»Streit bringt er und Verderben.« Nachums Augen blitzten wieder.
»Nicht er«, hatte Abraham kaum hörbar gesagt, »er war ein Jude, sehr sanft und voller Liebe, Nachum.«