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»Die Zinsen! Sie haben es alle wegen dem Geld und wegen der Macht getan«, sagte Christoph müde. »Der Bischof wegen seiner Macht in der Stadt und wegen seiner Schulden, der Adel und die Städte am Oberrhein wegen ihrer Schulden, Kaiser Karl IV wegen seiner Macht und seiner Schulden. Herr Dopfschütz und sein Anhang, weil sie Löb ihre Schulden samt Zinsen nicht zurückzahlen wollten. Auch ihnen ging es um die Macht. Nur die kleinen Leute, die haben es wegen der Pest getan.«

»Weil man sie angelogen hat. Ob die kleinen Leute vergiftet werden, ist den großen Herren gleichgültig.«

»Mein Vater ist auch verleumdet worden.«

Philo schaukelte hin und her und bewegte seine Bälle: »Wie willst du die Verleumdung beweisen? Du brauchst einen Beweis, mit dem – «

»Einen Beweis, mit dem ich nach Stuttgart gehen, die Ehre meiner Familie wiederherstellen kann und mit dem ich das Erbe meines Vaters zurückbekomme.«

»Ja«, sagte Philo, »und es ist nicht sicher, dass es überhaupt einen Beweis gibt, und es ist ebenso wenig sicher, dass sie den Beweis – wenn du ihn findest – auch anerkennen. Denn es geht auch hier um sehr viel Geld.«

»Ja, unser Besitz gehört jetzt dem Grafen von Wirtemberg. Und der wird alles tun, um den Fall zu seinem Vorteil zu entscheiden.« Christoph winkte müde ab. »Aber ich werde den Beweis trotzdem suchen. Auch wenn es keine Hoffnung gibt, ich kann einfach nicht anders. Als Kaufmann könnte ich dann im Osten leichter suchen. Niemand weiß, wie alles weitergeht.«

Wo konnte man einen Beweis finden? Wie konnte ein solcher Beweis aussehen? Ein Schriftstück? Ein Brief mit verräterischem Inhalt? Ein Brief, in dem etwa stand: – bitten wir die Herren in Stuttgart, die Gewichte des Herrn Schimmelfeldt auszutauschen, ohne dass er es merkt –

Aber ein solcher Brief wäre dann nicht in Straßburg, sondern in Stuttgart. Und wer würde einen solchen Brief aufbewahren?

Philo hatte herumgehorcht. Es gab einen Speicherknecht des Herrn Dopfschütz, Korbinian hieß er, den sie auch Goliath nannten. Er war ein Hüne und galt als strohdumm. Einen Sack mit Mehl lud er sich wie nichts auf den Rücken.

»Nimmst du mich einmal mit in den Speicher?«, fragte Philo.

»Was willst du denn dort? Ich darf niemand mitnehmen. Der Herr hat es verboten.«

»Ich möchte einmal sehen, wie Gold gelagert wird. Ich habe noch nie einen Goldbarren gesehen. Es heißt, Gold sei so schwer.«

»He, du spinnst wohl. Da ist doch kein Gold!«

»Ich glaube, du weißt viel nicht! Du weißt auch nicht, dass manche Leute Geld spucken können.«

»Geld spucken?«

»Weißt du das nicht aus den Märchen, dass Esel Geld scheißen, dass Vögel Goldeier legen, dass es Menschen gibt, die Geld spucken?«

»Und ich soll – «

»Lass mal sehen – du hast noch nie Geld gespuckt. Pass auf – so, da!« Er hatte dem Goliath blitzschnell in den offenen Mund gegriffen und zeigte ihm einen Heller.

Korbinian griff nach seiner Zunge und suchte mit dem Finger in den schwarzen Zahnlücken herum: »Wo?«

»Erst lässt du mich in den Speicher.«

»Wann?«

»Heute Nacht schließt du mich ein!«

Philos Füße knirschten im Kot der Fledermäuse, die unsichtbar über ihm in Trauben an den Dachlatten hingen. Er war mit einer Fackel Leitern hochgestiegen und über Balken des Dachstuhls geturnt. Er war über hochgetürmte Ballen geklettert. Er balancierte über Balken und Bretterlagen, auf denen dicke Schichten von Vogel- und Fledermauskot lagen – manchmal rutschten seine bloßen Füße aus und er konnte sich gerade noch an irgendeiner Stange festhalten. Einmal musste er abspringen und landete auf einem Ballen. Wie hart Leder sein konnte!

Er durchstöberte hier oben alle Verschläge und Winkel, quetschte sich mit angehaltenem Atem zwischen Warentürmen hindurch, rutschte über staubige Bretter abwärts, hangelte sich an Stangen entlang, ließ sich an Seilzügen herunter und hing einmal kopfüber an einem Gestänge, das über die Ballen gelegt war. Manchmal fetzte er mit dem Gesicht durch ein Gestrüpp von Spinnweben und wirbelte ständig solche Wolken von Staub auf, dass er kaum Luft bekam.

Aber nirgendwo war etwas Verdächtiges. Er zählte die Glockenschläge vom Turm der Thomaskirche, in einer halben Stunde würde der Goliath die drei vereinbarten Klopfzeichen am Tor machen und ihn wieder hinauslassen – und dann? – Er würde dem Goliath zeigen müssen, wie man Geld spuckt – davor hatte er keine Angst. Aber er hatte nichts gefunden.

Oder doch? –

Im vierten Quergang ganz unten auf dem gepflasterten Grund angefügt an eine Holzsäule war ein Verschlag, ein Gitter aus starken Latten, das mit einer Kette und einem Vorlegeschloss gesichert war. Dahinter konnte er eine massive eisenbeschlagene Holzkiste erkennen. Sie war umspannt von zwei sich überkreuzenden Schnüren, die mit einem Siegel verbunden waren.

Es klopfte vom Tor her drei Mal und man hörte ein leises Pfeifen: Goliath.

Jetzt schont Konnte es wirklich schon so spät sein?

Er brauchte Werkzeuge. Korbinian musste ihn ein weiteres Mal – Er klopfte leise ebenfalls drei Mal am Tor. Durch die Ritzen schimmerte ein seltsam heller Lichtschein. Das schwere Tor öffnete sich langsam – da stand der Goliath und hielt eine Fackel und daneben stand mit einem seltsamen Lächeln Herr Dopfschütz.

Wie zerfetzte Fahnen nach einer verlorenen Schlacht, schwer von Staub, hingen die Spinnweben vom Gebälk herab. Manchmal wurden sie von einem Luftzug träge bewegt. Christoph ging auf und ab – der Tisch mit den drei Beinen, die beiden wackeligen Stühle, ein Talglicht. Die herabgebrochene Stiege, die in den Raum hineinhing. Überall Schmutz, Ratten, Gestank und Abfall. Wenn es regnete, tropfte es durch das Dach, nur ein schiefer Zwischenboden aus dicken Bohlen hielt noch dicht.

Es war endlich wärmer geworden, mit dem März war die Sonne gekommen, aber damit stieg auch die Angst vor der Pest.

Seit vier Tagen war Philo verschwunden. Spurlos. Es gab niemand, den er hätte fragen können. Beim Haus des Herrn Dopfschütz konnte Christoph sich nicht blicken lassen.

Er bückte sich plötzlich nach einem Mörtelbrocken, der aus der Wand gefallen war, und schleuderte ihn mit aller Kraft nach einem verschobenen Ständer. Eine Wolke von Staub flog auf.

Nach einiger Zeit stand er auf und ging hinaus. Im schwarzen Mühlkanal stand das aufgestaute Wasser. Illabwärts hockte das dunkle Schiff der Thomaskirche. Das Stampfen der Mühlen ließ den Boden dumpf vibrieren. Der Gestank der Tierhäute kam mit einem Windstoß über die Ill. Christoph ging über die Schindbrücke mit ihren verschlossenen Buden und vorbei am rötlichen Stumpf des Münsters.

Er begann mit sich selbst zu reden.

Das Viertel der Juden war leer. Einige bleiche Gesichter schauten aus den Türeingängen der getauften Juden. Christoph trat auf die Pflastersteine, als wäre es das Gesicht des Herrn Dopfschütz. Lange stand er vor dem Hause Löbs. Die Türe war versiegelt. Die Fenster waren mit Brettern zugenagelt. Der Türpfosten war aufgehackt, die Mesusa herausgerissen, der Segen des Hauses – Du sollst den Herrn, deinen Gott –

Er scharrte in den Splittern der zerstörten Fenster der Synagoge –

Er blickte trostlos durch die Fensterlöcher in die verwaiste Cheder hinein mit ihren Tischchen und Bänkchen, die alle Kindergröße hatten und über die man so herzlich hatte lachen können. Jetzt waren viele der kleinen Möbel zerhackt und teilweise als Brennholz neben der eingeschlagenen Türe aufgestapelt –

Er sah den Brunnen, den jetzt niemand mehr bewachte. Die Eimer hingen daran noch in Reihen –

Auf dem Markt begegnete ihm ein seltsamer Zug. Feierlich schritten Männer in einer langen Prozession, sie trugen kuttenartige Gewänder, von deren Gürtel eine lange Peitsche mit vielen Riemen herabhing.