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Nun hebet auf eure Hände,

dass Gott das große Sterben wende.

Nun hebet auf eure Arme,

dass Gott sich unser erbarme.

Kyrieleis!

Ihr Gesang hallte dumpf von den Häusern wider. Ganze Trauben von Menschen standen um sie herum oder zogen neben ihnen her. Frauen liefen mit, ihre Kinder auf dem Arm.

In der Menge wurde Schluchzen hörbar. Rufe wurden laut, wie Herr erbarme dich. Verschone uns vor dem schwarzen Tod!

Weshalb haben sie Angst?, dachte Christoph zornig. Sie haben doch die Brunnenvergifter umgebracht. Es kann doch gar keine Pest mehr geben!

Der Älteste der Geißler, ein riesiger, hagerer Mensch, der den Zug anführte, erhob die Stimme zu einem heiseren Singsang: »Lasset uns beten zu dem Ende, dass Gott das große Übel gnädig von uns wende. Ihr habt zwar die Juden verbrannt, aber ihr habt eure Sünden nicht bekannt. Tut Buße, damit der Herr euch nicht schlägt und der Engel nicht den schwarzen Tod erregt! Der Untergang der Welt ist nah! Wie die Sintflut ist er da. Hebet die Arme zu Gott, dass er uns verschone vor Weltuntergang und dem schwarzen Tod!«

Nun hebet auf eure Arme,

dass Gott sich unser erbarme.

Kyrieleis!

Sein langer, dünner Bart wehte im Wind.

Dann schritten die Geißler langsam im Kreis mit erhobenen Armen. Sie sangen ein Lied, das endete:

Jesus, der ward gelabt mit Gallen.

Des sollen wir alle an Kreuze fallen.

Sie warfen sich so auf den Boden, dass immer zwei kreuzförmig übereinander zu liegen kamen. Mit Gebärden zeigten sie verschiedene Laster an, zu denen sie sich damit schuldig bekannten. Der Älteste der Geißler schritt über sie hinweg und schlug ihren Rücken mit seiner Geißel und sprach:

Stand auf durch der reinen Marter Ehre.

Und hüte dich vor der Sünden mehre.

Worauf sie wieder aufstanden. Als alle im Kreis standen, begannen sie sich zu peitschen, dass es schauerlich klatschte. Sie geißelten sich, bis das Blut herunterlief.

Der Älteste forderte die Bürger Straßburgs auf in seinen Orden einzutreten. Viele ließen sich einschreiben.

Christoph glaubte erstaunt Herrn Kropfgans bei den Geißelbrüdern gesehen zu haben.

»Wir müssen alles verschieben.« Herr Dopfschütz wanderte in seiner Stube auf und ab.

»Ist denn nichts zu machen?«, fragte Herr Eisenhut. »Es ging doch bis jetzt alles nach Wunsch.«

»Die Leute laufen weg, alles ist unzuverlässig. Wo ist denn der Kropfgans? Da habt Ihr es schon! Schlag drei wollten wir uns hier treffen. Aber er kommt und kommt nicht, jetzt hat es schon vier geschlagen!«

»Wie gesagt, zu den Geißlern sei er gelaufen. Ich wollte es zuerst nicht glauben, aber es wird schon stimmen, er ist ein Schwächling.«

Herr Dopfschütz blieb mit einem Ruck stehen: »Aber reich!«

Dann setzte er seinen Schritt fort: »Man sollte diese Brut verbieten. Sie machen die Leute vollends verrückt. Was die Angst vor der Pest nicht schafft, das schaffen sie. Ich bitte Euch, ein gestandener Kaufmann – einer der reichsten und angesehensten Männer – rennt zu diesem Volk und peitscht sich womöglich den Rücken blutig. Ich bitte Euch, Herr Eisenhut. Ich bitte Euch.«

Herr Eisenhut verzog die Lippen: »Er ist ja nicht der einzige Schwächling unter den Kaufleuten. Ich sage nur: Rulmann Merswin!«

»Richtig, der Merswin! Zu dem Bettelpack von kleinen Leuten ist er gelaufen und hat sein Geschäft ruiniert. Juden und Anhänger Mohammeds könnten auch in den Himmel kommen, nicht nur Getaufte, sagt er. Freunde Gottes nennt sich dieses Gesindel. Ich bitte Euch, Herr Eisenhut. Schöne Freunde, die sich der liebe Gott da aussuchen soll!«

»Der Bischof hat ihm verboten zu predigen. Aber er lässt es nicht. Jetzt die Geißler, dasselbe Pack.«

»Wo soll das alles hinführen? Die Kirchen sind voll heulender Weiber und die Wirtshäuser voller saufender Männer. Jede Ordnung zerfällt. Es geht nicht anders, Herr Eisenhut, bis die Seuche vorüber ist, müssen wir unseren Plan verschieben. Das wird im Herbst sein, wenn die Gelehrten Recht behalten.«

Herr Dopfschütz nahm die Wanderung durch die Stube wieder auf: »Da war ein seltsamer Vorfall. Ihr wisst, dass ich den großen Speicher im Viertel der Gerber mit Waren belegt habe, bis wir ihn als Arsenal brauchen. Seit alles so unsicher ist, lasse ich ihn bewachen. Ich habe vor ein paar Tagen ausgerechnet in diesem Speicher einen komischen Vogel erwischt. Er hat sich in der Nacht von einem Speicherknecht einschließen lassen. Er muss ihm mit irgendeiner Dummheit das Maul wässrig gemacht haben. Der dumme Kerl, sie nennen ihn Goliath, hat ihn am Abend in den Speicher gebracht und am Morgen wieder herauslassen wollen. Aber die Wache hat einen Lichtschein gesehen und mir gemeldet. Ich habe den Kerl, den er eingelassen hat, morgens tatsächlich im Speicher erwischt und erst einmal eine Woche bei Wasser und Brot eingesperrt, um ihn weich zu kochen. Dann habe ich ihn verhört.«

»Im Speicher ist doch noch nichts, was uns verraten könnte?«

»Noch kein einziges Eisenrohr, auch kein Körnlein Schießpulver. Aber die Schnüffelei wollen und können wir nicht dulden, Schaden hin, Schaden her. Ich habe den komischen Vogel verhört. Ich habe ihn also gefragt, was er in meinem Speicher zu suchen habe und dazu noch in der Nacht. Oh, das sei leicht zu erklären, hat er geantwortet, übrigens mit einer erstaunlichen Sicherheit – nach einer Woche Eingesperrtsein ist das keine Kleinigkeit. Er heiße Philo – habt Ihr schon einmal einen solchen Namen gehört? –, er sei eigentlich Gaukler und lebe vom Seiltanzen und davon, den Leuten Dinge aus der Nase zu ziehen, die gar nicht darin seien, und dergleichen Sachen. Es sei schon fast Frühling und er habe dieses Jahr nicht mit seinen Freunden in ein Winterquartier gehen können, aber ein Gaukler müsse in Übung bleiben. Was es in meinem Speicher zu üben gebe?, habe ich gefragt. Das Gebälk und die Staffagen, die über den Ballen lägen, auch die Seilaufzüge und noch vieles, das es in anderen Gebäuden nicht gebe, das alles sei für ihn zum Üben geeignet. Gerade in der Dämmerung verschaffe man sich besondere Sicherheit. Sogar in der Nacht könne man viele Dinge üben, wenn man wirklich gut sei. Er könne mir gerne eine Gratisvorstellung geben – bei Nacht, sagte er grinsend, und mir zeigen, wie er mit einer Fackel in der Hand über Seile und Stangen gehen könne, so hoch ich wolle, und dabei noch einen Purzelbaum machen mit der Fackel in der Hand oder im Mund.«

»Und Ihr – Ihr habt ihm doch nicht geglaubt?«

»Was soll ich sagen – während er noch redete, hat er einige bunte Bälle aus der Tasche gezogen und sie alle gleichzeitig in die Luft geworfen und gefangen und durcheinander wirbeln lassen, wie ich es noch nie gesehen habe. Kein Ball – es waren wenigstens sechs – ist auf den Boden gefallen; dabei hat er mit völlig normaler Stimme weitergeredet. Zwar halte ich nichts von derlei brotlosen Künsten, aber glaubt mir, ich konnte die Augen nicht abwenden. Es war unvorstellbar.«

»Aber, Herr Dopfschütz, die Betrügereien der Gaukler! Da sollten wir – «

»Gut, habe ich zu ihm gesagt, aber um das mit den Bällen zu üben, dazu brauchst du keinen Speicher, und habe ihn in den Speicher geführt. Du bist ein Dieb, habe ich gesagt, der mich bestehlen wollte, und du wirst hängen. Herr Eisenhut, vergesst alles, was Ihr jemals auf Jahrmärkten an Gaukeleien gesehen habt. Freilich brotlose Künste! Aber wie der Kerl kopfüber und kopfunter an den Balken und Stangen hängt, wie er plötzlich an einem Seilzug herunterschnurrt, wie er über die dünnsten Gestänge läuft, als wäre es der Marktplatz, und dabei noch mit Bällen jongliert, wie er auf den Händen in schwindelnder Höhe über meinem Kopf über einen Querbalken rennt, wie er darauf – so wahr ich lebe, haushoch über dem Steinpflaster ein Rad schlägt! Wie er unvermittelt eine Flöte aus dem Gürtel zieht und auf einer Stange, dünner als mein Arm, nach seinem eigenen Spiel anfängt zu tanzen – vor – zurück – Drehung – und dabei herunterruft, das sei noch gar nichts, auf einem Seil sei das viel schwerer! Wie er auf einmal aus schwindelnder Höhe abstürzt, sich dabei an einem Strick, den ich gar nicht bemerkt hatte, wieder fängt, wie er – ach, man könnte stundenlang davon reden und man hätte stundenlang zusehen können.«