Ein Kerl, von Kopf bis Fuß rabenschwarz, kam den Hang heraufgestiegen. Das Gesicht war so schwarz, dass die Augen darin weiß leuchteten, ein schrecklicher Anblick. Christoph blieb stehen.
»Keine Angst, das ist nur ein Köhler.«
Auch der Köhler war stehen geblieben und blickte ihnen unsicher entgegen. Offenbar erwartete er nicht, dass jemand hier von der Höhe herabstieg.
»Ist es weit bis Forbach?«, fragte der Vater.
Der Köhler hatte sich ganz an die Seite des Wegs gedrückt und musterte die beiden von oben bis unten. »Eine gute Stunde, wenn ihr rasch ausschreitet.«
»Und wenn wir nicht nach Forbach hineinwollen?« Die Stimme des Vaters klang belegt.
»In einer Stunde ist es Nacht. Wo wollt ihr denn hin?« Man sah ihm an, dass seine Angst gestiegen war. »Ihr seid Bettler, aber du redest nicht wie ein Bettler.«
»Wir sind friedliche Leute und vertrauen dir. Wir brauchen deine Hilfe.«
Der Köhler schwieg unsicher.
»Hat jemand nach uns gefragt? Nach einem Alten und einem Jungen? Es ist sehr wichtig.«
Der Köhler schien mit sich zu kämpfen, dabei schaute er dem Alten gerade ins Gesicht: »Kommt mit, ihr beiden. Ja, es wurde nach einem Alten und einem Jungen gefragt, schon vor ein paar Tagen.«
Wieder zögerte er, dann sagte er entschlossen: »Ich heiße Lukas.«
Die Köhlerhütte war aus Holz, Schindeln und Moos. Sie stand neben einem eigenartigen Holzberg, von dem eine Rauchsäule aufstieg.
Schon beim Abstieg hatte der Köhler bemerkt, dass der Vater nur sehr langsam vorankam und sich an dem steilen Hang nicht halten konnte.
»Bist du krank? Hast du die Gicht?«, fragte er und setzte dann sehr leise hinzu: »Oder seid Ihr gefoltert worden?«
»Sag ruhig weiter du zu mir. Ich bin nur ein Bettler.«
Im Köhlerhaus gab es eine schwarze Köhlerfrau und drei ebenso schwarze Köhlerkinder. Die Köhlerfrau gab den Gästen Milch, Brot und etwas Käse, später brachte sie noch einen Brei, der fast schwarz aussah und aus Haferschrot gekocht war. Dazu gab es für jeden einige getrocknete Heidelbeeren. Gegessen wurde von schwarzen Holztellern mit Holzlöffeln. Niemand sprach ein Wort.
Die Kinder starrten die Gäste mit großen Augen an. Als Christoph zu einem etwa sechsjährigen Mädchen etwas sagen wollte, steckte es den Finger in den Mund und schaute auf den Boden. Beim Essen überlegte er sich, ob die Kinder und auch ihre Eltern jemals wieder sauber werden würden. War die dicke Rußschicht schon angewachsen? –
Nach dem Essen wurden die Frau und die Kinder hinausgeschickt.
»Ich weiß nur Schlechtes über euch«, sagte Lukas, »aber die, welche nach euch gefragt haben, sahen schlimmer aus als ihr. Ich meine, euch kann man eher vertrauen, ihr könnt einem gerade und ehrlich in die Augen schauen. Die anderen habe ich nicht einmal in mein Haus gelassen.«
»Wie viele waren es? Was haben sie gesagt?«
»Es waren drei Männer. Sie haben gesagt, dass ihr beide in Stuttgart Gewichte gefälscht habt und zum Tode durch das Schwert verurteilt worden seid. Am Tage vor eurer Hinrichtung seid ihr aus dem Gefängnis ausgebrochen. Und jetzt lässt die Stadt euch überall suchen, vor allem im Schwarzwald, weil eure Spur hierher führt.«
Der alte Kaufmann erzählte ihre ganze Geschichte, verschwieg aber die Zahlen. »Ich möchte dich bitten, Lukas, uns vielleicht mit Freunden zusammen durch den Schwarzwald bis zum Rhein zu führen. Du kennst doch bestimmt Wege, wo sie uns nicht finden.«
Der Köhler überlegte. Er ging in der Hütte auf und ab.
Endlich gab er sich einen Ruck: »Es ist Christenpflicht. Ich helfe euch.« Schließlich setzte er entschlossen hinzu: »Ich rede heute noch mit meinem Schwager und mit noch zwei anderen zuverlässigen Männern, Köhler wie ich.«
»Ich kann euch erst bezahlen, wenn wir wieder im Recht sind. Ihr müsst es zunächst für Gottes Lohn machen. Aber ihr helft der Gerechtigkeit.«
Der Alte streckte mühsam seine Hand vor, aber Lukas übersah sie. Die Hand des Henkers wirkte auch hier.
Es gab einen Schweinestall neben der Hütte des Köhlers, in dem sie schlafen durften. Wohlig grub sich Christoph in das Stroh ein, das man ihnen aufgeschüttet hatte. Die Tage zuvor hatten sie in Feldscheunen geschlafen, kein Bauer hatte sie aufgenommen. Jetzt bekamen sie Hilfe. Christoph fühlte sich schon halb gerettet.
Der Alte wusste, dass der Köhler das Stroh am anderen Tag verbrennen würde.
Lukas, sein Schwager und ein Nachbar, alle Köhler wie er, beratschlagten.
»Bald wird es schneien, der Weg über die Grinde zum Kniebis ist dann unmöglich zu gehen.«
»Der Schnee liegt da oben dann meterhoch, meist ist er verweht, dazu stürmt es gerade jetzt vor Weihnachten besonders oft. Da kommt kein Gefolterter durch.«
»Noch hat es keinen Schnee. Der Schnee, der letzte Woche weit oben gefallen ist, ist wieder getaut.«
»Mein Hieronymus ist krank, er ist vier. Ich kann nicht den ganzen Weg mitgehen.«
Es stellte sich heraus, dass das niemand konnte, den sie fragten: Bei einem war die Frau im Wochenbett, beim anderen war ein Kind krank. Die Meiler mussten beschickt werden, eine sehr schwere Arbeit, die man den Frauen nicht alleine zumuten konnte.
»Ihr könnt uns den Weg genau beschreiben und wir gehen alleine.« Aber der Alte wusste selbst, dass das nicht möglich war.
Jetzt im Winter musste man sich sehr gut auskennen, um über das höchste Gebirge zu wandern. Und wenn der Alte zu schwach wurde und nicht mehr weiterkonnte –
»Die Gegend da oben, vor allem um die Grinde, da gehen wir nicht gerne hin: Da ist der Mummelsee mit den Geistern, die das Wetter machen. Kein Mensch geht freiwillig zum Mummelsee.«
Christoph war es heiß: Es stimmte also.
Schließlich fanden sich doch zwei Männer, die dazu bereit waren, ihre Kohle so spät im Jahr noch und zwar über das Gebirge zu tragen und die beiden Verfolgten mitzunehmen.
Die beiden Männer kamen am Nachmittag, als der Himmel dunkel wurde und in den Tannen vor der Hütte ein Wind zu sausen begann. Es war aber ein warmer Wind, der an den Bäumen rüttelte.
»Hoffentlich wird kein Föhnsturm daraus, der die Bäume herausreißt.«
Die beiden Männer, Florian und Melchior, schwarz wie die anderen, hatten große Tragkörbe voller Kohlenstücke auf dem Rücken.
Christoph hatte in der Zwischenzeit von den Kindern herausgebracht, dass sie zu Weihnachten gewaschen wurden und eine helle Haut hatten wie er.
»Der Fridolin hat sogar ganz helle Haare, fast weiß«, wurde ihm mitgeteilt, bevor die Mutter die Kinder wegzerrte mit einem schiefen Blick auf den Jungen, auf dessen Schultern die Hand des Henkers geruht hatte.
Florian hatte die anderen auf die Seite gezogen: »Da waren Männer. Sie haben Geld geboten, viel Geld, drei Gulden!«
»Das sind dreißig Schillinge, dreißig Silberlinge wie beim Judas«, sagte Lukas mit rotem Kopf. »Es sind meine Gäste – wehe, es wird ihnen auch nur ein Haar gekrümmt!«
»Man redet ja nur, ist ja schon gut!«
Dem Vater gefiel nicht, wie die Männer zusammen tuschelten, er trat zu ihnen: »Es ist Geld auf unseren Kopf ausgesetzt worden, nicht wahr? – Wie viel ist es denn? – Sind wir ihnen eines oder zwei Goldstücke wert?«
»Drei!«, sagte Lukas. »Aber du bist bei uns sicher. Es ist viel Geld, aber es gibt hier keinen Judas.«
Noch bei Dunkelheit brachen sie am nächsten Morgen auf. Die schwarze Frau hatte für alle einen heißen Brei gekocht und zeichnete auf die Stirn von Lukas das Kreuz. Dann zögerte sie etwas und schlug das Kreuz über die beiden Gäste, die in Lebensgefahr schwebten. Sie schaute dabei auf die Seite und achtete sorgsam darauf, sie nicht zu berühren.