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Die drei Begleiter trugen zu ihren Kohlelasten Leinenbündel mit Brotlaiben und Käse. Alle hatten dicke Stöcke und hatten auch den beiden Stöcke gebracht. Aber es zeigte sich, dass der Alte sich nicht aufstützen konnte.

Christoph trug ebenfalls einen Leinensack mit Nahrung. Er war das Wandern schon besser gewohnt als in den ersten Tagen, aber jetzt sollte es sehr hoch hinaufgehen.

Wie schwach, alt und zittrig der Vater in den letzten Wochen geworden war!

Es ging stetig bergauf, manchmal unter riesigen Tannen einen Bach mit dunklem Wasser entlang, der Schwarzenbach hieß. Es gab keinen richtigen Weg, meist nur einen Saumpfad, wie ihn Händler benutzten, die ihre Last auf dem Rücken über das Gebirge trugen. Vor allem Vieh wurde auf diesem Weg getrieben, denn oben auf den Hochflächen waren Viehweiden. Die Hufe der Tiere hatten den Pfad festgetreten, so konnte man ihm gut folgen. Zwischen mächtigen Steinblöcken wand er sich hoch.

An manchen Stellen wurde der Weg so steil, dass die Männer ihre Lasten absetzten und den alten Kaufmann trugen. Das geschah auch, wenn ein umgestürzter Baum den Weg versperrte. Zwei der Männer hielten dann eine grobe Pferdedecke zwischen sich, auf die sich der Alte setzte. Sein Gesicht war dann verbissen, bleich und voller Schweiß. Die Köhler bemühten sich den Gefolterten nicht zu berühren. Sie brauchten lange, lange.

Die Männer wussten Hütten für die Hirten auf der Sommerweide. Da schliefen sie.

Abends wurden Geschichten erzählt.

Melchior erzählte vom Nebelriesen, der oben auf den höchsten Kämmen des Schwarzwalds haust. »Ich bin ihm selbst schon begegnet. Ich war auf dem Rückweg von Straßburg, wo ich Kohle auf dem Markt verkauft habe, oft gehe ich im Sommer über das Gebirge. Es ist näher, aber unheimlich.«

Die Männer bekreuzigten sich.

»Ich ging über den Kniebis und die Grinde so wie wir jetzt, nur in umgekehrter Richtung. Ich kam nicht so schnell vorwärts, wie ich wollte. In der Richtung der Ebene war es hell und die Sonne schickte sich an, so gelb unterzugehen, wie ich es noch nie gesehen habe. Nach Morgen hin, wo sonst endlose Wälder sind, war eine einzige Nebelwand. Gnade mir Gott, wenn ich in diesen Nebel komme, denke ich. Ihr müsst wissen, dass gerade im letzten Jahr ein Händler, ein Jude, sich im Nebel verirrt hat. Der Nebel hat Wochen gedauert und man hat ihn erst viel später gefunden – tot und von wilden Tieren halb aufgefressen. Wie ich da so stehe und in den Nebel starre, steht drüben einer am anderen Hang. Ich rühre kein Glied. Der Kerl ist riesengroß. Das Seltsame ist, dass er einen Schein um den Kopf hat, als sei er ein Heiliger. Er ist wie ein Schatten mit regenbogenfarbenen Strahlen um das Haupt, turmhoch, aber er hat kein Gesicht! Ich wage kaum zu schnaufen. Der Kerl mit der Strahlenkrone steht genauso unbeweglich und steif und schaut mich an. Schließlich, voller Grausen, fasse ich Mut und hebe den Arm – der Kerl hebt auch den Arm! Ich winke – der Kerl winkt! Da renne ich weg, im Umdrehen sehe ich, dass er mir nachrennt. Ich laufe und laufe, ohne zu wissen wohin. Als ich schließlich keine Luft mehr bekomme, rauscht ein riesiger schwarzer Auerhahn aus dem Gebüsch vor mir.«

»Das war er. Das sagen viele, dass sich die Riesen in Auerhähne verwandeln.«

»Mancher hat ihn schon gesehen«, sagte Florian, »immer wieder wird davon erzählt.«

»Und wir wissen nicht, wer ihn schon alles gesehen hat und nicht mehr davon erzählen kann.«

Oft waren die Hänge, unter denen sie höher zogen, kahl gefressen vom Sommervieh. Dann ging es immer wieder hinein in schwarze Tannendurchgänge. Den Wind spürte man hier unten in der Schlucht wenig, sie sahen ihn, wie er hoch über ihnen die Bäume beugte und bog, und man hörte ihn tosen wie große Wasserfälle.

»Föhnsturm«, sagte Melchior.

»Dort hinten ist der Mummelsee.« Lukas flüsterte und nickte bedeutungsvoll mit dem Kopf.

»Der See ist am Fuß der Grinde, über die wir gehen müssen, weil wir seitlich nicht daran vorbeikommen. Vorne ist der Wald zu dicht und hinten am Mummelsee bringen mich keine zehn Pferde vorbei«, sagte Melchior.

Der alte Kaufmann veränderte sein Aussehen. Sein Bart, der immer wilder wurde, und zwei scharfe Falten, die sich tief von seinen Mundwinkeln abwärts eingruben, gaben ihm ein fremdartiges Aussehen. Er ging schwerer, sein Schritt wurde langsamer, aber sein Kopf war aufrecht, geradeaus gerichtet. Die Augen, die in ihren Höhlen zu versinken drohten, waren in die Ferne gerichtet. Manchmal, wenn er stolperte oder jemand an ihn stieß, ging sein Atem heftiger. Aber man hörte keinen Seufzer.

Nach mehreren Tagen gelangten sie gegen Abend endlich auf die Hochfläche. Es war kahl, wohin man sah: Nur braunes Gras und gelblicher Farn standen schütter zwischen Steinblöcken, die aussahen, als hätten Riesenkinder mit ihnen gespielt und sie über die ganze Fläche verstreut. Dazwischen krochen wie Bettler verkrüppelte Sträucher.

Der Blick von der Gipfelfläche der Grinde, für die sie noch einmal einen ganzen Tag brauchten, ging hinaus in ein grellgelb beleuchtetes, dunstiges Land, eine Ebene, die in der äußersten Ferne grau begrenzt wurde.

»Das Elsass, da hinten sind die Vogesen. Wenn ihr genau hinschaut, seht ihr gerade in der Mitte hinter dem dunklen Streifen die Stadt Straßburg. Der dunkle Block, das ist das Münster. Der schwarze Streifen davor, das sind die Wälder um den Rhein, und es wäre besser, wenn der schon zugefroren wäre.«

Einfach hinfliegen!

Es war übertrieben warm, die Luft stand völlig still.

»Das Wetter gefällt mir nicht«, sagte Lukas.

»Es könnte doch nicht besser sein – kein Schnee, kein Sturm, wir kommen über den Schwarzwald ganz ungeschoren«, meinte Christoph.

»Das Wetter wird sich nicht lange halten – so oder so.« Wie dünn die Stimme des Vaters geworden war.

Auf den fragenden Blick von Christoph erwiderte Lukas: »Dein Vater hat Recht. Das warme, windstille Wetter bedeutet, dass es bald recht kalt werden wird, so ist es immer hier im Gebirge. Und vergiss nicht, für unsere Feinde ist auch gutes Wetter. Solange es warm bleibt, müssen wir auch hier oben mit ihnen rechnen.«

Tief unter ihnen, als sie den Abhang hinunterstiegen, lauerte ein schwarzes Auge, lang gezogen und halb versteckt unter Tannenwipfeln.

»Der Mummelsee.«

Am anderen Morgen war Florian verschwunden.

»Wenn Schnee wäre, könnten wir seiner Spur nachgehen«, stellte Christoph fest.

Der Vater stand verloren am Rand eines Abgrunds, die Lippen zu einem messerscharfen Grat zusammengepresst: »Das würden wir schön bleiben lassen.«

Lukas nickte.

»Die, die er sucht, können weit weg sein.«

»Ja, aber wir wissen nicht, wann er weggegangen ist. Oder hat ihn heute Nacht noch jemand gesehen?« Die Stimme des Vaters hatte fast keinen Ton.

»Den Weg, den wir gehen, kennt seit dem Abstieg von der Grinde kaum jemand.«

»Florian kennt ihn, der Lump. Sie können überall auf uns lauern.« Melchior hatte die Fäuste geballt.

Als die beiden den Vater an einer sehr steilen Stelle tragen mussten, sah Christoph mit Erstaunen, wie erst Lukas, dann Melchior, als gebe es ein geheimes Einverständnis, den Arm um die Schulter des Gefolterten legten. Als der Vater zu rutschen drohte, ergriff Lukas seine Hand. Als der Alte bei einer harten Bewegung stöhnte, legte ihm Lukas die Hand an die Wange.

Ein Kopf erschien über den Baumwipfeln, rot beleuchtet von der untergehenden Sonne über den schwarzen Tannen. Er wandelte durch die Lüfte wie ein Vogel, aber langsam, fast feierlich.

Gaukler hatten ihr Seil hoch über die Baumwipfel gespannt von der einen Schluchtwand zu einem Felsen an der anderen. Sie übten.

Philo hieß der Seiltänzer. Er verzögerte plötzlich den Schritt, dann ging er rascher weiter und stieg am Steilhang der Schlucht vom Seil. Auf dem Hosenboden, der aus Leder war, rutschte er mit Bewegungen den Hang hinunter, die zum Lachen reizen konnten.