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»Es tut mir so Leid, Kahlan«, sagte er leise.

Sie strich ihm übers Haar. »Nein, Richard. Ich hätte daran denken müssen. Verzeih, dass ich es vergessen habe. Ich wollte nicht…«

Er nickte.

Sie spürte, wie eine heiße Träne in die Kuhle ihres Halses tropfte, unmittelbar neben ihrer Halskette. Die Halskette mit ihrem kleinen, dunklen Stein war ein Hochzeitsgeschenk der Hexe Shota, das Geschenk ein Waffenstillstandsangebot. Nach Aussage Shotas würde die Kette es ihnen ermöglichen, zusammen zu sein und sich zu lieben, wie sie es sich immer gewünscht hatten, ohne dass Kahlan schwanger wurde. Richard und Kahlan hatten beschlossen, Shotas Geschenk, ihr Waffenstillstandsangebot, erst einmal widerstrebend anzunehmen. Sie hatten bereits genug Sorgen am Hals.

Eine Zeit lang jedoch, als die Chimären die Welt unsicher machten, hatte die Magie der Halskette versagt, ohne dass Richard und Kahlan davon wussten. Es war ein kleiner, aber wunderbarer Ausgleich für all die Schrecken gewesen, die die Chimären mit sich brachten, dass ihre Liebe dadurch einem Kind das Leben schenken konnte.

Jetzt war dieses Leben verloren.

»Bitte, Richard, lass uns aufbrechen.«

Er nickte abermals.

»Gütige Seelen«, sprach er leise zu sich selbst, so leise, dass sie ihn kaum hören konnte, »vergebt mir für das, was ich gleich tun werde.«

Sie klammerte sich um seinen Hals, sehnte sich danach, was jetzt geschehen würde – sie wollte vergessen.

Er hob sie an, so behutsam wie nur möglich. Es war, als wären an allen Gliedern wilde Hengste festgebunden, die alle im selben Augenblick sprungartig losgaloppierten. Ein Schmerz schien sie in ihrem Innersten zu zerfetzen, der Schock ließ sie die Augen aufreißen, ihr Atem stockte. Und dann schrie sie.

Die Schwärze überkam sie, als hätte jemand krachend die Tür eines Verlieses zugeschlagen.

4

Ein Geräusch weckte sie so unvermittelt, als hätte jemand sie ins Gesicht geschlagen. Bewegungslos, wie tot, lag Kahlan mit weit aufgerissenen Augen auf dem Rücken und horchte. Das Geräusch war nicht einmal besonders laut gewesen, eher auf verstörende Weise vertraut. Es verhieß Gefahr.

Ihr gesamter Körper pochte vor Schmerzen, trotzdem war sie so wach wie scheinbar schon seit Wochen nicht mehr. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte oder gar bewusstlos gewesen war, doch war sie wach genug, um sich daran zu erinnern, dass der Versuch sich aufzusetzen ein schwerer Fehler wäre, denn so ungefähr das einzig Unversehrte an ihr war ihr rechter Arm. Einer der großen, kastanienbraunen Wallache schnaubte nervös, stampfte mit einem Huf und versetzte dem Wagen einen Ruck, gerade kräftig genug, um Kahlan an ihre gebrochenen Rippen zu erinnern.

Die stickige Luft roch, als würde es Regen geben, obwohl der auffrischende Wind ihr noch immer Staub in die Nase wehte. Die dunkle Masse des Blätterdachs über ihr schwankte hin und her, das Knarren der Äste ein Ausdruck ihrer Pein. Tiefrote und violette Wolken eilten lautlos dahin. Jenseits der Bäume und Wolken stand, hoch über ihrer Stirn, am blauschwarzen Himmel ein einzelner Stern. Sie wusste nicht, ob Morgen- oder Abenddämmerung herrschte, dem Gefühl nach ging jedoch ein Tag zu Ende.

Während ihr die Böen Strähnen ihres verdreckten Haars über das Gesicht schlugen, lauschte Kahlan so angestrengt wie nur möglich auf jenes Geräusch, das nicht hierher gehörte, nach wie vor in der Hoffnung, es etwas Harmlosem zuordnen zu können. Da sie es nur im Tiefschlaf vernommen hatte, entzog sich sein Wesen auf frustrierende Weise ihrer bewussten Wahrnehmung.

Sie lauschte auch auf Geräusche von Richard und Cara, hörte aber nichts. Die beiden würden sie niemals allein lassen – das war vollkommen undenkbar, es sei denn, sie waren tot. Der Gedanke ließ sie erschrecken. Wie gerne hätte sie nach Richard gerufen und den unwillkommenen Gedanken als alberne Angst entlarvt, doch ihr Instinkt schrie sie förmlich an, sich ruhig zu verhalten.

Aus der Ferne ertönte ein metallisches Scheppern, dann ein Aufschrei. Vielleicht ein Tier, versuchte sie sich einzureden, Raben gaben manchmal die abscheulichsten Schreie von sich, ihre schrillen klagenden Laute konnten sehr menschlich klingen. Doch soweit sie wusste, machten Raben keine Geräusche wie von Metall.

Plötzlich ruckte der Wagen nach rechts. Ihr blieb die Luft weg, als die unerwartete Bewegung einen stechenden Schmerz hinter ihren Rippen auslöste. Jemand hatte sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Tritt gestellt. Aus seiner unbekümmerten Achtlosigkeit gegenüber dem verletzten Passagier im Wageninnern schloss sie, dass es weder Richard noch Cara sein konnten. Aber wenn es nicht Richard war, wer dann? Gänsehaut kribbelte in ihrem Nacken. Wenn es nicht Richard war, wo steckte er dann?

Plumpe Finger packten die mit einem Tau befestigte Scheuerleiste an der Seitenstange des Wagens, deren schwielige Kuppen bis an die schmutzigen, abgenagten, winzigen halbmondförmigen Fingernägel reichten. Kahlan hielt den Atem an und hoffte, er würde nicht bemerken, dass sie im Wagen lag.

Ein Gesicht erschien. Verschlagene dunkle Augen blinzelten sie argwöhnisch an. Dem Mann fehlten die vier oberen Schneidezähne.

»Sieh mal einer an. Wenn das nicht das Weib von Richard Cypher ist.«

Kahlan lag da wie erstarrt. Es war genau wie in ihren Träumen. Einen Augenblick lang vermochte sie nicht zu entscheiden, ob es tatsächlich vielleicht nur das war, oder Wirklichkeit.

Sein Hemd hatte eine dunkle Patina aus Schmutz, so als würde es niemals, aus welchem Grund auch immer, ausgezogen. Die spärlichen, drahtigen Haare auf seinen fleischigen Wangen und am Kinn wirkten auf dem zerpflügten Acker seines pockennarbigen Gesichts wie junges Unkraut. Unten fehlten ebenfalls die Schneidezähne, und seine Zungenspitze verharrte halb herausgestreckt in der klaffenden Lücke seines blöden Grinsens.

Er hielt ein Messer hoch und zeigte es ihr, drehte es mal hier, mal dorthin, fast als wollte er vor einem schüchternen Mädchen, das er hofierte, mit einem wertvollen Gegenstand aus seinem Besitz angeben. Ein ums andere Mal zuckten seine Augen zwischen dem Messer und Kahlan hin und her. Allem Anschein war das schlampig geschliffene Messer auf grobem Granit statt an einem richtigen Schleifstein geschärft worden; der schlecht gepflegte, billige Stahl war mit dunklen Rostflecken übersät, doch das machte die zerkratzte und schartige Schneide nicht weniger tödlich. Sein niederträchtiges, zahnloses Grinsen weitete sich vor Vergnügen, als ihr Blick der Klinge folgte und sie sah, wie diese die Luft zwischen ihnen mit Bedacht in Scheiben schnitt.

Sie zwang sich, ihm in seine dunklen, eingefallenen Augen zu blicken, die aus aufgedunsenen Schlitzen hervorlugten. »Wo ist Richard?«, verlangte sie in gleichmütigem Ton zu wissen.

»Der tanzt mit den Seelen in der Unterwelt.« Er neigte den Kopf zur Seite. »Wo ist dieses blonde Weibstück? Die, von der meine Freunde sagen, sie hätten sie früher schon mal gesehen. Die mit dem frechen Mundwerk. Die, der die Zunge ein Stück kürzer gemacht gehört, bevor ich ihr das Gedärm rausreiße.«

Kahlan funkelte ihn an, um ihm zu zeigen, dass sie nicht die geringste Absicht hatte, ihm zu antworten. Als das grobschlächtige Messer näher kam, schlug ihr sein Gestank entgegen.

»Du bist bestimmt Tommy Lancaster.«

Das Messer hielt inne. »Woher weißt du das?«

Wut quoll tief aus ihrem Innern empor. »Richard hat mir von dir erzählt.«

Die Augen funkelten bedrohlich; sein Grinsen wurde breiter. »Ach ja? Was hat er denn erzählt?«

»Dass du ein hässliches, zahnloses Schwein bist, das sich jedes Mal beim Grinsen in die Hosen macht. Dem Geruch nach hatte er damit Recht.«

Das verschlagene Feixen ging in ein Stirnrunzeln über. Er richtete sich auf dem Tritt stehend auf und beugte sich mitsamt Messer in den Wagen. Genau darauf hatte Kahlan gewartet – er sollte so nahe kommen, dass sie ihn berühren konnte.

Mit Hilfe der aus einem ganzen Leben voller Erfahrung gewonnenen Disziplin legte sie ihre Verärgerung ab und machte sich die Ruhe einer Konfessor zu eigen, die sich einer bestimmten Handlungsweise ganz verschrieben hat. Hatte eine Konfessor einmal den Entschluss gefasst, ihre Kraft zu entfesseln, schien sich das Wesen der Zeit selbst zu verändern.