Cara sprang auf. »Was!« Als sie Richards Lächeln sah, wusste sie, es war nur Spaß. Trotzdem schäumte sie vor Wut.
»Ich würde diesen Teil des Berichts an Eurer Stelle nicht an den General weiterleiten, Captain«, sagte Richard.
Cara ließ sich langsam wieder auf den Boden sinken. »Nicht, solange unserem ›Flitteroffizier‹ seine Rippen lieb sind«, murmelte sie.
Kahlan hatte Mühe, nicht loszulachen, um die allgegenwärtigen Messer in ihrem Brustkorb nicht zu drehen. Manchmal glaubte sie zu wissen, wie sich das Stück Holz fühlen musste, das Richard mit dem Messer bearbeitete. Trotzdem tat es gut zu sehen, wie Richard Cara gegenüber endlich mal die Oberhand behielt; gewöhnlich war sie es, die ihn in Verlegenheit brachte.
»Ich kann Euch im Augenblick nicht helfen«, sagte Richard, jetzt wieder ernst. Er kehrte zu seiner Arbeit mit dem Schnitzmesser zurück.
»Selbstverständlich, Lord Rahl. Wir wissen, dass Ihr uns in die Schlacht führen werdet, sobald die Zeit reif dafür ist.«
»Ich hoffe aufrichtig, dieser Tag wird kommen, Captain. Nicht, weil ich unbedingt kämpfen möchte, sondern weil ich hoffe, dass es etwas gibt, für das es sich zu kämpfen lohnt.« Richard starrte ins Feuer, seine Miene ein entmutigendes Bild der Verzweiflung. »Zurzeit ist das nicht der Fall.«
»Nun, wohlan denn, Lord Rahl«, sagte Captain Meiffert, endlich das verlegene Schweigen brechend. »Wir werden tun, was wir für das Beste halten, bis es der Mutter Konfessor wieder besser geht und Ihr zu uns stoßen könnt.«
Richard widersprach dem vom Captain vorgegebenen Zeitplan nicht, ein Zeitplan, auf den auch Kahlan hoffte, obwohl Richard nie behauptet hatte, dass es so bald geschehen würde. Tatsächlich hatte er ihnen beizubringen versucht, dass dieser Augenblick vielleicht niemals kommen würde. Er legte das Stück Holz in seinen Schoß und betrachtete sein Werk.
Mit dem Daumen über die soeben geschnitzten Umrisse der Nase streichend, fragte er: »Haben die zurückkehrenden Kundschafter etwas davon erwähnt … wie es den Menschen in Anderith geht … jetzt, da sich die Imperiale Ordnung dort befindet?«
Kahlan wusste, dass er sich mit dieser Frage nur selber quälte. Ihr wäre es lieber gewesen, er hätte die Frage nicht gestellt; es konnte ihm unmöglich gut tun, eine Antwort darauf zu erhalten.
Captain Meiffert räusperte sich. »Nun ja, sicher, sie haben über die Zustände dort berichtet.«
»Und …?«
Der junge Offizier stürzte sich in einen ebenso knappen wie bedrückenden Bericht über die ihm bekannten Tatsachen. »Jagang hat das Hauptquartier seiner Truppen in der Hauptstadt Fairfield aufgeschlagen. Für sich selbst hat er das Anwesen des Ministers für kulturelle Angelegenheiten beschlagnahmt. Die Armee ist so gewaltig, dass sie sich nicht nur die gesamte Stadt einverleibt hat, sondern noch bis weit in die umliegenden Hügel reicht. Die anderische Armee leistete kaum Widerstand, sie wurde geschlossen einkassiert und hingerichtet. Die Regierung Anderiths hörte bereits in den ersten Stunden weitgehend auf zu existieren. Es gibt weder Recht noch Gesetz. Die erste Woche verbrachte die Imperiale Ordnung mit ausgelassenen Feierlichkeiten.
Die meisten Menschen wurden aus Fairfield vertrieben und verloren ihr gesamtes Hab und Gut. Viele ergriffen die Flucht, die Straßen rings um die Stadt waren völlig verstopft von Menschen, die vor den Geschehnissen in der Stadt zu fliehen versuchten. Wer die Stadt verließ, wurde meist Beute der Soldaten in den umliegenden Hügeln, die nicht mehr in die Stadt hineinpassten. Nur einem ganz spärlichen Strom von Menschen – meist sehr Alten und Kranken – gelang es, diese eiserne Umfassung zu durchbrechen.«
Sein unpersönlicher Tonfall kam ihm abhanden. Auch er hatte eine Weile unter diesen Menschen gelebt. »Alles in allem fürchte ich, ist es schlecht für sie ausgegangen, Lord Rahl. Es kam zu einer entsetzlichen Anzahl von Morden, jedenfalls unter den Männern – in fünfstelliger Zahl. Vielleicht auch mehr.«
»Sie haben bekommen, was sie sich selber eingebrockt haben.« Caras Stimme war so kalt wie eine Winternacht. »Sie haben sich ihr Schicksal selber ausgesucht.« Auch wenn sie es nicht offen sagte, war Kahlan derselben Ansicht. Sie wusste, dass Richard ihr ebenfalls Recht gab. Doch erfreut war keiner von ihnen darüber.
»Und auf dem Land?«, wollte Richard wissen. »Ist etwas über die Orte außerhalb von Fairfield bekannt? Geht es den Menschen dort besser?«
»Kein Gedanke, Lord Rahl. Die Imperiale Ordnung ging systematisch daran, das Land zu ›befrieden‹, wie sie es nennen. Die Soldaten werden von den mit der Gabe Ausgestatteten begleitet.«
»Die bei weitem schlimmsten Berichte handeln von einer Frau, die ›Herrin des Todes‹ genannt wird.«
»Von wem?«, fragte Cara.
»Von der ›Herrin des Todes‹, wie sie sie nennen.«
»Sie. Das können nur die Schwestern sein.«
»Welche Schwestern sind das Eurer Meinung nach?«, fragte Cara.
Richard, damit beschäftigt, dem Gesicht aus Feuerholz einen Mund zu schnitzen, zuckte mit den Achseln. »Jagang hält sowohl Schwestern des Lichts als auch Schwestern der Finsternis gefangen. Er ist ein Traumwandler, er zwingt beide, ihm zu Willen zu sein. Beide kommen in Frage, die Frau ist schlicht sein Werkzeug.«
»Ich weiß nicht«, meinte Captain Meiffert. »Wir haben jede Menge Berichte über die Schwestern und ihre Gefährlichkeit erhalten. Sie werden jedoch, wie Ihr ganz richtig sagt, als Werkzeuge der Armee eingesetzt, und zwar hauptsächlich als Waffen, nicht aber als Agenten Jagangs. Er erlaubt ihnen nicht, selbsttätig zu denken oder irgend etwas anzuordnen.
Diese Frau verhält sich ganz anders als die anderen, zumindest wenn man den Berichten glauben darf. Sie tritt als Agentin Jagangs auf, dennoch macht das Wort die Runde, sie treffe selbstständig Entscheidungen und tue, was immer ihr beliebt. Die zurückgekehrten Soldaten berichteten, sie sei gefürchteter als selbst Jagang.
Als den Bewohnern einer Ortschaft zu Ohren kam, sie sei auf dem Weg zu ihnen, versammelten sie sich alle auf dem Dorfplatz. Erst zwang man die Kinder, Gift zu trinken, anschließend nahmen die Erwachsenen ihre Dosis ein. Die Bewohner der Ortschaft waren sämtlich tot, als die Frau eintraf – fast fünfhundert Menschen.«
Richard hatte während des Zuhörens das Schnitzen eingestellt. Wie Kahlan wusste, konnten selbst unbegründete Gerüchte so entsetzlich sein, dass Besorgnis in tödliche Panik umschlug. Das ging so weit, dass Menschen lieber starben, als dem Grund ihrer Angst gegenüberzutreten. Angst war im Krieg ein machtvolles Mittel.
Richard wandte sich wieder der Schnitzerei in seinem Schoß zu. Das Messer wie eine Schreibfeder in der Nähe der Spitze haltend, verlieh er den Augen mit behutsamen Schnitten Ausdruck. »Den richtigen Namen dieser ›Herrin des Todes‹ haben sie nicht in Erfahrung bringen können, oder?«
»Tut mir Leid, nein, Lord Rahl. Es heißt, alle nennen sie einfach ›Herrin des Todes‹.«
»Klingt nach einer hässlichen, alten Hexe«, warf Cara ein.
»Ganz im Gegenteil. Sie hat blaue Augen und langes, blondes Haar. Angeblich ist sie die schönste Frau, die man sich nur vorstellen kann. Es heißt, sie sieht aus wie das Idealbild einer Gütigen Seele.«
Kahlan konnte nicht umhin zu bemerken, wie der Captain einen verstohlenen Blick auf Cara warf, ebenfalls blauäugig und blond und eine der schönsten Frauen, die man sich vorstellen konnte. Tödlich war auch sie.
Richard hatte die Stirn in Falten gelegt. »Blond … blaue Augen … da kamen mehrere in Frage … Wirklich schade, dass sie ihren Namen nicht mitbekommen haben.«
»Tut mir Leid, aber sie haben keinen anderen Namen angegeben, Lord Rahl, nur diese Beschreibung … ach ja, und dass sie stets schwarze Kleider trägt.«
»Bei den Gütigen Seelen«, entfuhr es Richard leise, als er sich, seine Schnitzerei im Würgegriff, zu voller Größe aufrichtete.
»Nach allem, was man mir berichtet hat, Lord Rahl, würden sich sogar die Gütigen Seelen vor ihr fürchten, dabei sieht sie selbst wie eine aus.«
»Und das aus gutem Grund«, sagte Richard, die Augen starr in die Ferne gerichtet, so als blicke er jenseits der düsteren Nebelwand auf einen Ort, den nur er allein sah.