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»Warum stehen diese Pfähle dort?«, fragte sie Ishaq, während sie schnellen Schritts über den gepflasterten Fußweg gingen, auf dem die Menschen verweilten, um bei der Entstehung des Baus zuzusehen, während andere niederknieten, um vor verschiedenen grauenhaften an den Wänden dargestellten Szenen zu beten.

»Das sind Bildhauer.« Ishaq nahm seine rote Mütze ab, während er den Anblick auf sich wirken ließ. »Sie waren angeblich an der Rebellion beteiligt.«

Niccis Blick wanderte von einem verwesenden Leichnam an der Spitze der Pfähle zum nächsten. »Warum hätten sich ausgerechnet Bildhauer an der Rebellion beteiligen sollen? Sie haben doch Arbeit.« Mehr noch, sie durften an den Darstellungen zum Ruhme des Ordens arbeiten. Gerade sie hätten doch wissen müssen, dass allein das Leiden in diesem Leben ihnen Hoffnung auf eine Belohnung im nächsten bot.

»Ich habe nicht gesagt, sie haben sich beteiligt. Ich sagte, sie hätten sich angeblich beteiligt.«

Nicci unterließ es, den Mann zurechtzuweisen. Die Menschen waren korrupt. Es gab niemanden, den man nicht hätte hinrichten können, ohne dass dies gerechtfertigt gewesen wäre. Richard eingeschlossen.

Viele der Steine unter den Schutzdächern, wo die Männer gearbeitet hatten, lagen jetzt unnütz herum. Rampen und Arbeitsgerüste wurden errichtet, damit die Steinmetze ihre Arbeit an den Palastmauern wieder aufnehmen konnten. Während diese ihre Steine einfügten, waren andere Männer – ausnahmslos Sklavenarbeiter – damit beschäftigt, gewaltige Quader über die Rampen zu ihnen hinaufzuhieven, körbeweise Mörtel oder Erde und Gestein herbeizuschleppen oder in Gräben an der Errichtung jener unterirdischen Zellen zu arbeiten, in denen der Orden die Welt von den übelsten Sündern säubern würde und wo Verbrecher auch in Zukunft ihre Vergehen gestehen sollten.

Es war eine entsetzliche Angelegenheit, andererseits war es unmöglich, einen Garten anzulegen, ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen.

Die Werkstatt des Schmieds oben am Hang eines Hügels, der einen Ausblick über das gewaltige Bauvorhaben gewährte, war die größte, die sie je zu Gesicht bekommen hatte. Bei einem Vorhaben dieses Ausmaßes war das allerdings durchaus nachvollziehbar. Sie wartete draußen, während Ishaq flugs hineinging, um den Schmied für sie zu holen.

Das Geräusch der auf Stahl erklingenden Hämmer, die Gerüche der Esse, des Rauches, der Öle und Säuren sowie der Salzlake, all das rief eine Flut von Erinnerungen an die Werkstatt ihres Vaters hervor. Einen winzigen Augenblick lang schlug Niccis Herz schneller – und sie war wieder ein kleines Mädchen. Fast erwartete sie, ihren Vater herauskommen und sie mit jener wundersamen Energie anlächeln zu sehen, die sich in seinen blauen Augen zeigte.

Stattdessen trat ein stämmiger Mann aus den Schatten ins Tageslicht. Und er hatte kein Lächeln, sondern ein bedrohliches Funkeln im Gesicht. Zuerst dachte sie, er sei kahl, doch dann sah sie, dass sein voller Haarschopf einfach bis dicht über die Kopfhaut geschoren worden war. Einige Arbeiter ihres Vaters, die glühendes Eisen bearbeiteten, hatten es ebenso gemacht. Jede andere Frau wäre beim Anblick seiner finsteren Miene drei Schritte zurückgewichen.

Er wischte sich die Hände an einem Lappen ab und kam ihr, ihre Augen sorgfältiger abschätzend als die meisten Männer, und ganz anders als Richard, im fahlen Sonnenschein entgegen. Seine dicke Lederschürze war mit hunderten winziger Brandflecken übersät.

»Mrs. Cypher?«

Ishaq trat ein kleines Stück zurück und begnügte sich mit seiner Rolle als Begleiter.

»Ganz recht. Ich bin Richards Frau.«

»Komisch, Richard hat eigentlich nie von Euch gesprochen. Vermutlich bin ich einfach davon ausgegangen, dass er eine Frau hat, aber erwähnt hat er nie etwas…«

»Man hat Richard in Gewahrsam genommen.«

Der finstere Gesichtsausdruck schlug sofort in entgeisterte Besorgnis um. »Richard wurde verhaftet? Weswegen?«

»Offenbar wegen des abscheulichsten Verbrechens, das es gibt: Betrug.«

»Betrug? Richard? Die müssen den Verstand verloren haben.«

»Ich fürchte, nein. Er ist schuldig. Ich habe Beweise.«

»Was denn für Beweise?«

Ishaq, außer Stande, sich länger zurückzuhalten, war mit einem Schritt bei ihnen. »Richards Geld, das Geld, das er verdient hat.«

»Verdient!« Niccis empörter Aufschrei ließ Ishaq einen Schritt zurückweichen. »Ihr meint das Geld, das er gestohlen hat!«

Der finstere Ausdruck des Schmieds kehrte zurück. »Gestohlen? Wem soll er denn Eurer Meinung nach dieses Geld gestohlen haben? Wer wirft ihm etwas vor? Wo sind seine Opfer?«

»Nun, eines davon seid Ihr.«

»Ich?«

»Ja, ich fürchte, Ihr seid eines seiner Opfer. Ich bin hier, um Euch Euer Geld zurückzugeben. Ich kann kein gestohlenes Geld dafür verwenden, einen Verbrecher vor seiner gerechten Strafe zu bewahren. Richard wird für sein Verbrechen bezahlen müssen; dafür wird der Orden schon sorgen.«

Der Schmied schleuderte sein Handtuch fort und stemmte seine Fäuste in die Hüften. »Richard hat niemandem jemals auch nur einen Silberpfennig gestohlen – und schon gar nicht mir! Er hat sich sein Geld verdient.«

»Er hat Euch betrogen.«

»Er hat mir Eisen und Stahl verkauft. Beides brauche ich, um Dinge für den Ruhesitz des Kaisers herzustellen. Ständig taucht Bruder Narev hier auf und fährt mich an, ich soll zusehen, dass irgendwelche Dinge fertig werden, allerdings ohne mir das Eisen zu liefern, das ich für ihre Herstellung dringend benötige. Das tut Richard. Bevor er hier hereinschneite, wurde ich um ein Haar selbst im Himmel begraben, weil Ishaq hier mir nicht genug Eisen und Stahl liefern konnte.«

»Wie hätte ich das tun sollen! Das Komitee hat mir lediglich die Menge bewilligt, die ich geliefert habe. Hätte ich mehr geliefert, als man mir genehmigt, wäre ich im Himmel begraben worden. Jeder im Betrieb hält ein Auge auf mich. Die melden mich ja schon beim Arbeiterkollektiv, wenn ich auf die falsche Stelle spucke.«

»Verstehe«, meinte Nicci, ihre Arme verschränkend. »Richard hatte Euch also völlig in der Hand. Er beliefert Euch des Nachts mit Eisen, und Ihr habt keine andere Wahl, als ihm seinen Preis zu zahlen, und das weiß er auch. Er scheffelt all dieses Gold, indem er Euch betrügt; auf diese Weise ist er reich geworden – indem er von Euch einen überhöhten Preis verlangt. Das ist die schlimmste Form des Diebstahls.«

Der Schmied sah sie stirnrunzelnd an, als wäre sie nicht ganz bei Verstand.

»Richard verkauft mir Eisen und Stahl zu einem viel niedrigeren Preis, als wenn ich es über die normalen Fuhrunternehmen – wie zum Beispiel von Ishaq – beziehen würde.«

»Ich berechne genau das, was mir das Preisfestsetzungskomitee vorschreibt! Darauf habe ich keinen Einfluss!«

»Das ist doch einfach verrückt«, meinte Nicci, Ishaq ignorierend, an den Schmied gewandt.

»Nein, es ist geschickt. Seht Ihr, die Gießereien produzieren mehr, als sie verkaufen können, weil sie es nicht abtransportiert bekommen. Ihre Schmelzöfen müssen befeuert werden, ob sie nun eine Tonne herstellen oder zehn. Sie müssen Eisen in ausreichend großen Mengen herstellen, damit sich die Befeuerung lohnt, damit sie ihre Arbeiter bezahlen und ihre Schmelzöfen unterhalten können. Kaufen sie nicht genügend Erz ein, müssen die Minen schließen, und die Gießerei erhält überhaupt kein Erz mehr. Ohne Rohmaterial können sie nicht existieren. Der Orden erlaubt aber weder Ishaq noch den anderen wie ihm, so viel zu befördern, wie die Gießereien benötigen. Es dauert Wochen, bis der Orden auch nur über die einfachste Anfrage entschieden hat. Jede erdenkliche Person wird in Betracht gezogen, die sich in ihrer Einbildung möglicherweise gekränkt fühlen könnte, sollte Ishaq die Fuhre übernehmen. Die Gießereien waren in einer verzweifelten Lage und boten Richard an, ihm ihre Überschüsse zu einem günstigeren Preis zu überlassen…«