»Wir tun dies nicht aus freien Stücken, Richard … Wir müssen an unsere Familien denken … an unsere Frauen und Kinder…«
Neugierig, was vor sich ging, versuchte Kahlan, sich auf ihren linken Ellbogen zu stützen. Irgendwie gehorchte ihr der Arm nicht wie erwartet, einem Blitz gleich schoss der Schmerz durch ihr Knochenmark und explodierte in ihrer Schulter.
Keuchend ließ sie sich angesichts der quälenden Schmerzen beim Versuch sich zu bewegen zurückfallen, noch bevor sie ihre Schulter auch nur einen Zoll weit vom Bett anheben konnte. Ihr schweres Atmen drehte die Dolche, die sich in ihre Seite bohrten. Sie musste sich zwingen, langsamer zu atmen, um die stechenden Schmerzen unter Kontrolle zu bekommen. Als die schlimmste Qual in ihrem Arm und die Stiche in ihrem Brustkorb endlich nachließen, atmete sie leise stöhnend auf.
Ruhig und besonnen blickte sie an ihrem linken Arm hinab: Der Arm war geschient. Sofort kam die Erinnerung zurück – natürlich war er das. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie nicht vorher daran gedacht hatte, vor ihrem Versuch, ihn zu belasten, sie wusste doch, dass die Kräuter ihr Denkvermögen trübten. Aus Angst, noch eine unbedachte Bewegung zu machen, und weil sie sich ohnehin nicht aufsetzen konnte, richtete sie ihr ganzes Augenmerk darauf, einen klaren Kopf zu bekommen.
Vorsichtig langte sie mit ihrer rechten Hand nach oben und wischte sich die feine Schweißschicht aus der Stirn, Schweiß, hervorgerufen durch den blitzartigen Schmerz. Ihr rechtes Schultergelenk tat weh, ließ sich aber bewegen. Sie freute sich über wenigstens diesen kleinen Sieg, befühlte ihre aufgequollenen Augen und verstand endlich, warum es wehgetan hatte, Richtung Tür zu blicken. Behutsam erforschten ihre Finger eine unbekannte Landschaft aus geschwollenem Fleisch. In ihrer Fantasie gab sie ihr eine scheußliche bläulich-grüne Farbe. Als ihre Finger die Platzwunden auf ihrer Wange streiften, schienen glühende Kohlen die geschundenen, offen liegenden Nerven zu versengen.
Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass sie einen fürchterlichen Anblick bot. Wie schlimm es um sie stand, wurde ihr jedes Mal bewusst, wenn sie Richard in die Augen sah. Sie wünschte sich, für ihn gut aussehen zu können, sei es auch nur, um den leidenden Blick aus seinen Augen zu entfernen. Er schien jedes Mal ihre Gedanken zu lesen und sagte gewöhnlich: »Es geht mir ausgezeichnet. Hör auf, dich um mich zu sorgen, und konzentriere dich ganz darauf, wieder gesund zu werden.«
Mit einem Gefühl bittersüßer Sehnsucht rief sie sich ins Gedächtnis, wie sie, Arme und Beine in herrlicher Erschöpfung ineinander verschlungen, neben Richard gelegen hatte, seine Haut heiß auf ihrer, seine große Hand auf ihrem Bauch, und sie verschnauft hatten. Es war quälend, ihn in den Armen halten zu wollen und es nicht zu können. Sie ermahnte sich, es sei nur eine Frage der Zeit und des Gesundwerdens. Sie waren zusammen, und das allein zählte. Seine bloße Anwesenheit verlieh ihr Kraft.
Sie hörte, wie Richard hinter der über der Tür hängenden Decke mit mühsam beherrschter Stimme sprach und dabei jedes seiner Worte betonte, als habe es ihn unendlich viel gekostet. »Wir brauchen einfach nur ein wenig Zeit…«
Die Stimmen der Männer klangen überaus erregt und beharrlich, als sie alle durcheinander zu reden begannen. »Wir tun das nicht, weil wir es wollen, Richard, das solltest du eigentlich wissen. Du kennst uns doch … Was ist, wenn dadurch der Ärger hierher getragen wird? … Wir haben von den Kämpfen gehört. Du hast selbst gesagt, sie stammt aus den Midlands. Wir können nicht zulassen … wir werden niemals…«
Kahlan lauschte, erwartete das Geräusch des Ziehens seines Schwertes zu hören. Richard verfügte über eine nahezu unerschöpfliche Geduld, aber seine Toleranz war wenig ausgeprägt. Cara, seine Leibwächterin und ihre gemeinsame Freundin, war zweifellos ebenfalls dort draußen; Cara besaß weder Geduld noch Toleranz.
Statt sein Schwert zu ziehen, erwiderte Richard: »Ich bitte niemanden, mir irgendwas zu schenken. Ich verlange nichts weiter, als dass man mich an einem friedlichen Ort in Ruhe lässt, wo ich mich um sie kümmern kann. Ich wollte in der Nähe von Kernland sein, für den Fall, dass sie etwas braucht.« Er hielt inne. »Bitte … nur bis sie Gelegenheit hatte, wieder gesund zu werden.«
Kahlan hätte ihn am liebsten angeschrien: Nein! Wage es nicht, sie anzuflehen, Richard! Sie haben nicht das Recht, dich zu so etwas zu zwingen. Sie werden niemals begreifen können, welche Opfer du gebracht hast.
Doch sie konnte kaum mehr tun, als leise und bekümmert seinen Namen zu rufen.
»Stell uns nicht auf die Probe … wenn es sein muss, räuchern wir dich aus! Du kannst unmöglich gegen uns alle kämpfen – das Recht ist auf unserer Seite.«
Lärmend stießen die Männer finstere Verwünschungen aus. Jetzt, endlich, erwartete sie, das Geräusch des Ziehens seines Schwertes zu hören. Stattdessen antwortete Richard den Männern mit ruhiger Stimme, in Worten, die Kahlan nicht ganz verstand. Eine fürchterliche Stille setzte ein.
»Wir tun das nicht etwa gerne, Richard«, meinte schließlich jemand mit verlegener Stimme. »Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen an unsere Familien und an all die anderen denken.«
Ein anderer Mann meldete sich zu Wort, er klang aufrichtig empört. »Außerdem scheinst du plötzlich ziemlich hochtrabend geworden zu sein mit deinen eleganten Kleidern und diesem Schwert, gar nicht mehr so wie früher, als du noch Waldführer warst.«
»Genau«, pflichtete ihm ein anderer bei. »Dass du fortgegangen bist und ein wenig von der Welt gesehen hast, heißt noch lange nicht, dass du zurückkommen und so tun kannst, als wärst du was Besseres als wir.«
»Ihr seid euch also alle einig, dass ich den mir gebührenden Rang überschritten habe«, stellte Richard fest. »Ist es das, was ihr mir sagen wollt?«
»Wie ich es sehe, hast du deinem Volk, deinen Wurzeln, den Rücken gekehrt. Offenbar glaubst du, unsere Frauen sind nicht mehr gut genug für den großen Richard Cypher. Nein, er musste ja irgendeine Frau von weit her heiraten. Und dann kommt ihr hierher zurück und denkt, ihr könnt Eindruck bei uns schinden.«
»Wie denn? Mit was denn? Indem ich die Frau heirate, die ich liebe? Das gilt in euren Augen als eitel? Das nimmt mir das Recht, in Frieden zu leben? Und ihr das Recht, gesund zu werden, wieder auf die Beine zu kommen und weiterzuleben?«
Diese Männer kannten ihn als Richard Cypher, einen einfachen Waldführer, und nicht, wie er herausgefunden hatte, als den Menschen, der er tatsächlich war und zu dem er sich entwickelt hatte. Er war noch derselbe wie zuvor, nur hatten sie ihn in vielerlei Hinsicht nicht gekannt.
»Du solltest den Schöpfer auf Knien darum bitten, dass er deine Frau gesund macht«, warf ein anderer Mann ein. »Die gesamte Menschheit ist ein niederträchtiger und unwürdiger Haufen. Du solltest beten und den Schöpfer um Vergebung bitten für deine ruchlosen Taten und deine Sündhaftigkeit – das hat dir und deiner Frau all den Ärger eingetragen. Stattdessen willst du deinen Ärger unter ehrliche, arbeitsame Menschen tragen. Du hast kein Recht, uns mit deinen sündigen Problemen zu behelligen, das ist nicht des Schöpfers Wille. Denk doch mal an uns. Der Schöpfer will, dass du dich in Demut übst und anderen hilfst – deswegen hat Er sie aufs Krankenlager geworfen, weil Er euch beiden eine Lektion erteilen wollte.«
»Hat er dir das selbst gesagt, Albert?«, fragte Richard. »Sucht dich dein Schöpfer etwa auf, um seine Pläne mit dir zu besprechen und dir seine Wünsche anzuvertrauen?«
»Er spricht zu jedem, der über die rechte Bescheidenheit verfügt, Ihm zuzuhören.« Albert schäumte.
»Außerdem«, meldete sich ein anderer Mann zu Wort, »muss man über diese Imperiale Ordnung, vor der du uns warnst, auch ein paar gute Dinge sagen. Wärst du nicht so dickköpfig, würdest du das einsehen, Richard. An dem Wunsch nach anständiger Behandlung für alle ist nichts verkehrt, er zeugt nur von einer ehrlichen Gesinnung. Es ist der Wunsch des Schöpfers, wie du zugeben musst, und dasselbe predigt auch die Imperiale Ordnung. Wenn du der Imperialen Ordnung nicht wenigstens das zu Gute halten kannst – nun, dann wäre es wohl das Beste, du verschwindest, und zwar schnell.«