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»Dann kennt Ihr sie, Lord Rahl?«

Kahlan lauschte auf das Knistern und Knacken des Feuers, während sie mit den beiden anderen auf seine Antwort wartete. Fast schien es, als müsse Richard erst seine Stimme wiederfinden, als er langsam seinen Blick senkte und der Schnitzerei in seiner Hand in die Augen sah.

»Ja, ich kenne sie«, sagte er endlich. »Ich kenne sie nur zu gut. Sie war eine meiner Ausbilderinnen im Palast der Propheten.«

Richard schleuderte die Schnitzerei in die Flammen.

»Betet, dass Ihr Nicci niemals in die Augen sehen müsst, Captain.«

7

»Sieh mir in die Augen, Kind«, sagte Nicci mit ihrer sanften, seidenweichen Stimme, ihre Hand unter das Kinn des Mädchens legend.

Nicci bog das ausgemergelte Gesicht nach oben. Die dunklen, weit auseinander liegenden Augen blinzelten teilnahmslos und wirr; es gab in ihnen nichts zu sehen.

Nicci straffte sich und empfand ein dumpfes Gefühl der Enttäuschung; es war immer dasselbe. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie den Menschen in die Augen sah, so wie jetzt, und sich dann fragte, warum eigentlich? Falls sie überhaupt nach etwas suchte, so wusste sie zumindest nicht, wonach.

Sie setzte ihr gemächliches Defilee entlang der Reihe aus Stadtbewohnern fort, die alle miteinander auf der einen Seite des staubigen Marktplatzes angetreten waren. Zweifellos kamen mehrmals im Monat Leute von den umliegenden Farmen und aus den kleineren Gemeinden an Markttagen in die Stadt, und manche blieben sogar über Nacht, wenn sie von weit her gekommen waren. Heute war kein Markttag, für ihre Zwecke würde er jedoch vollkommen ausreichen.

Einige wenige der sich dicht aneinander kauernden Gebäude besaßen ein zweites Stockwerk, gewöhnlich ein oder zwei Wohnräume für die Familie über ihrem kleinen Ladenlokal. Nicci erblickte eine Bäckerei, den Laden eines Flickschusters, ein kleines Ladengeschäft, in dem Töpferwaren verkauft wurden, einen Schmied, einen Kräuterhändler, ein Geschäft, in dem Lederwaren feilgeboten wurden – das Übliche. Diese kleinen Ortschaften glichen einander weitest gehend.

Viele der Bewohner aus dem Ort arbeiteten auf den umliegenden Weizen- und Hirsefeldern, hüteten Vieh und besaßen weitläufige Gemüsegärten. Da Mist, Stroh und Lehm im Übermaß vorhanden waren, wohnten sie in Häusern aus grob mit Lehm verputztem Flechtwerk. Einige der Geschäfte mit einem zweiten Stockwerk hatten sogar eine Fachwerkkonstruktion mit Schindelverkleidung aufzuweisen.

Hinter ihr füllten übellaunige, waffenstrotzende Soldaten den größten Teil des Platzes. Der Ritt durch die Hitze hatte sie müde gemacht, schlimmer noch, sie langweilten sich. Nicci wusste, die geringste falsche Bewegung konnte unter ihnen eine wüste Raserei auslösen. Eine Kleinstadt, selbst eine, die nur magere Beute verhieß, bot eine willkommene Ablenkung. Es war weniger die gewaltsame Eroberung als vielmehr das Zerstören, das ihnen Freude machte; manchmal jedoch war es auch das Erobern. Die nervösen Frauen vermieden es nach Möglichkeit, den dreisten Blicken der Soldaten zu begegnen.

Während sie an den abgerissenen Menschen vorüberschlenderte, blickte Nicci in die Augen derer, die sie anschauten. Die meisten waren vor Entsetzen aufgerissen und nicht nur starr auf die Soldaten, sondern auch auf den eigentlichen Grund ihrer Angst gerichtet: Nicci selbst – oder, wie die Menschen es sich angewöhnt hatten, sie zu nennen, die ›Herrin des Todes‹. Der Name gefiel ihr weder, noch störte er sie, er war schlicht eine Tatsache, die sie zur Kenntnis nahm, ein Umstand, dem sie nicht mehr Bedeutung beimaß, als wenn ihr jemand erzählt hätte, er habe eines ihrer Strumpfpaare gestopft.

Einige, das wusste sie, starrten auf den goldenen Ring in ihrer Unterlippe. Der Tratsch dürfte sie bereits davon unterrichtet haben, dass eine auf diese Weise gebrandmarkte Frau eine persönliche Sklavin Kaiser Jagangs war – und damit tiefer stand als einfache Bauern wie sie selbst. Dass sie den goldenen Ring anstarrten, oder was sie deswegen von ihr dachten, war sogar noch weniger von Belang, als ›Herrin des Todes‹ genannt zu werden.

Jagang herrschte ausschließlich in dieser Welt über ihren Körper, in der nächsten würde ihre Seele bis in alle Ewigkeit dem Hüter gehören. Ihre körperliche Existenz in dieser Welt war eine reine Qual, das Dasein ihrer Seele in der nächsten würde es nicht weniger sein. Leben und Qual waren schlicht die beiden Seiten ein und derselben Münze – eine dritte gab es nicht.

Kräuselnder, über ihrer rechten Schulter aus der Feuergrube aufsteigender Rauch wurde von einem launenhaften Wind verweht und erzeugte einen dunklen Streifen am strahlend blauen Nachmittagshimmel. Aufeinander geschichtete Steine zu beiden Seiten der Gemeindekochstelle stützten eine oberhalb des Feuers ruhende Stange. Dort aufgespießt, konnten zwei oder drei Schweine oder Schafe gleichzeitig geröstet werden. Vermutlich ließ sich die Kochstelle mit Hilfe von abnehmbaren Seitenwänden vorübergehend in eine Räucherkammer verwandeln.

Zu anderen Gelegenheiten wurde eine im Freien liegende Feuerstelle – oft in Verbindung mit einer Schlachtung – zur Erzeugung von Seife benutzt, da Seife üblicherweise nicht in geschlossenen Räumen hergestellt wurde. Nicci sah eine hölzerne Aschewanne, wie sie bei der Herstellung von Lauge Verwendung fand, an der Seite des offenen Geländes stehen, neben einem großen Eisenkessel, der zur Fettgewinnung benutzt werden konnte. Lauge und Fett waren die Grundbestandteile von Seife. Manche Frauen verliehen ihrer Seife gerne etwas Wohlgeruch, indem sie Kräuter und Ähnliches, wie Lavendel oder Rosmarin, beigaben.

Als Nicci klein war, hatte ihre Mutter sie jeden Herbst, wenn geschlachtet wurde, gezwungen, den Leuten beim Seifemachen zu helfen. Ihre Mutter behauptete, anderen zu helfen forme den Charakter. Nicci hatte noch immer etliche kleine Flecken und Narben an Handrücken und Unterarmen, wo sie das kochende Fett bespritzt und ihre Haut Blasen geworfen hatte. Stets hatte ihre Mutter sie gezwungen, ein elegantes Kleid anzuziehen – nicht etwa, um bei den anderen, die sich solche Kleidung nicht leisten konnten, Eindruck zu schinden, sondern damit Nicci auffiel und sich unbehaglich fühlte. Die Aufmerksamkeit, die ihr rosa Kleid erregte, hatte mit Bewunderung nichts zu tun. Wenn sie mit dem hölzernen Löffel im brodelnden Kessel rührte, während Lauge zugegeben wurde, versuchten die anderen Kinder, ihr Kleid zu bespritzen und zu ruinieren, und fügten dabei auch ihr Verbrennungen zu. Niccis Mutter hatte dazu bemerkt, die Brandwunden seien die Strafe des Schöpfers.

Während Nicci vorüberdefilierte und die angetretenen Menschen in Augenschein nahm, waren die einzigen Geräusche die weit entfernt jenseits der Gebäude stehenden Pferde, das gelegentliche Husten der Menschen sowie die züngelnden Flammen der Feuergrube, die in der Brise knisterten und schlugen. Die Soldaten hatten sich bereits an den beiden Schweinen schadlos gehalten, die man an der Stange geröstet hatte, daher war der Duft gebratenen Fleisches längst mit dem Wind verflogen, und zurückgeblieben war nur der säuerliche Schweißgeruch sowie der Gestank menschlicher Behausungen. Ob in einer Krieg führenden Armee oder in einer friedlichen Stadt – der Kot der Menschen roch stets gleich.

»Ihr alle wisst, weshalb ich hier bin«, verkündete Nicci. »Wieso habt ihr Leute mich gezwungen, die Mühen einer solchen Reise auf mich zu nehmen?« Sie blickte an der Front aus vielleicht zweihundert Menschen entlang, die in Vierer- oder Fünferreihen dort angetreten waren. Die Soldaten, die ihnen befohlen hatten, ihre Häuser und Felder zu verlassen, waren bei weitem in der Überzahl. Sie blieb vor einem Mann stehen, zu dem die Leute, wie ihr aufgefallen war, immer wieder hinüberschauten.

»Nun?«

Der Wind wehte ihm sein dünnes, graues Haar über den kahl werdenden gesenkten Schädel, während er den Blick auf den Boden vor ihren Füßen heftete. »Wir besitzen nichts, was wir hergeben könnten, Herrin. Wir sind eine arme Gemeinde. Wir haben nichts.«