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»Und wenn du stattdessen deinen Plan verwirklichst und« – Victor deutete auf die Trümmer des Modells – »nicht das bildhauerst, was sie wollen?«

»Vielleicht will ich vor meinem Tod wenigstens noch einmal wahre Schönheit zu Gesicht bekommen.«

»Pah. Was willst du denn in Stein meißeln? Was möchtest du vor deinem Tod noch einmal sehen? Was könnte das sein, das es wert ist, dein Leben dafür herzugeben?«

»Die Würde des Menschen – Schönheit in ihrer erhabensten Form.«

Die Hand des Mannes auf dem Stein zögerte; er suchte Richards Augen, sagte aber nichts.

»Victor, du musst mir helfen. Ich bitte dich nicht, mir etwas zu schenken. Ich bin bereit zu zahlen, was immer du verlangst. Nenn mir deinen Preis.«

Victors liebevoller Blick wanderte zu seinem Stein zurück.

»Zehn Goldtaler«, antwortete er mit einer Mischung aus Dreistigkeit und Zuversicht, da er ganz genau wusste, dass Richard kein Geld besaß.

Richard langte in seine Tasche, zählte zehn Goldtaler ab und reichte Victor das kleine Vermögen. Der Schmied runzelte die Stirn.

»Woher hast du so viel Geld?«

»Ich habe gearbeitet und es gespart. Ich habe es mir verdient, indem ich dem Orden beim Bau seines Palastes geholfen habe. Schon vergessen?«

»Aber man hat dir dein ganzes Geld abgenommen. Nicci hat ihnen verraten, wie viel du besitzt, und sie haben dir alles weggenommen.«

Richard neigte seinen Kopf vielsagend zur Seite. »Du hast doch nicht etwa geglaubt, ich wäre so töricht, mein ganzes Geld an einem einzigen Ort zu verstecken, oder? Ich habe überall Gold verborgen. Sollte das nicht reichen, werde ich dir eben zahlen, was immer du verlangst.«

Richard wusste, dass der Stein kostbar war – wenn auch ganz sicher keine zehn Goldtaler –, aber das Geld ging an Victor, daher wollte er über den Preis nicht verhandeln. Er würde bezahlen, was immer der Mann verlangte.

»Ich kann dein Geld nicht annehmen, Richard.« Er winkte, sich geschlagen gebend, ab. »Ich kann nicht bildhauern; es war doch nur ein Traum. Solange ich den Stein nicht bearbeite, kann ich von der Schönheit träumen, die sich in ihm verbirgt. Er stammt aus meiner Heimat, wo früher einmal so etwas wie Freiheit existierte.« Blind ertasteten seine Finger die Marmorfläche. »Der Stein besitzt Würde. Ich würde gerne sehen, wie die Menschenwürde in diesem Stück Cavaturamarmor Gestalt annimmt. Du sollst den Stein haben, mein Freund.«

»Nein, Victor, ich möchte dir deinen Traum nicht abkaufen; ich möchte ihn, wenn man so will, erfüllen. Als Geschenk kann ich ihn nicht annehmen. Ich will ihn kaufen.«

»Aber warum?«

»Weil ich gezwungen sein werde, ihn dem Orden zum Geschenk zu machen. Ich möchte nicht, dass du ihn dem Orden überlässt, das möchte ich selber tun müssen. Zweifellos werden sie ihn aber sehr viel lieber zerstört sehen wollen. Wenn es dazu kommt, muss er mir gehören; und in diesem Fall möchte ich, dass er bezahlt ist.«

Victor hielt ihm seine Hand hin. »Also dann zehn Goldtaler.«

Richard zählte ihm die zehn Goldtaler in die Hand.

»Danke, Victor«, sagte Richard leise.

Victor musste grinsen. »Wohin möchtest du ihn geliefert haben?«

Richard reichte ihm einen weiteren Goldtaler. »Könnte ich diesen Raum mieten? Ich würde ihn gerne hier bearbeiten. Von hier aus kann er, wenn ich fertig bin, auf einem Schlitten zum Vorplatz hinuntertransportiert werden.«

Victor zuckte mit den Achseln. »Abgemacht.«

Richard gab ihm einen zwölften Goldtaler. »Außerdem möchte ich, dass du die Werkzeuge schmiedest, mit denen ich diesen Stein bearbeiten werde – die besten, die du je hergestellt hast, die Sorte von Werkzeugen, die man in deiner Heimat benutzt, um wahre Schönheit in Stein zu meißeln. Dieser Marmor erfordert das Allerbeste; fertige die Werkzeuge aus dem allerbesten Stahl.«

»Stecheisen, gespleißte Meißel und Meißel für die Feinarbeit – die kann ich dir machen. Außerdem liegen hier genügend Hämmer herum, die du benutzen kannst.«

»Darüber hinaus benötige ich Feilen, ein ganzes Sortiment unterschiedlicher Formen, sowie Raspeln; des Weiteren eine große Auswahl der feinsten Abziehfeilen, gerade und gebogene. Du musst mir Bimssteine besorgen, den feinkörnigen weißen Bimsstein, zurechtgeschliffen zu den gleichen Formen wie die Raspeln und Feilen, und dazu einen ordentlichen Vorrat an pulverisiertem Bimsstein.«

Victor hatte staunend die Augen aufgerissen. Der Schmied stammte aus einer Gegend, wo einst auf diese Art gebildhauert wurde, deshalb wusste er nur zu gut, was Richard vorhatte.

»Du willst nacktes Fleisch in Stein wiedergeben.«

»Allerdings.«

»Weißt du denn, wie man das macht?«

Von den Statuen, die er in D’Hara und Aydindril gesehen hatte, von dem, was einige der anderen Bildhauer ihm erzählt hatten, sowie von den Dingen, die er während seiner Arbeit am Palast des Ordens ausprobiert hatte, wusste Richard, dass hochwertiger Marmor, entsprechend bearbeitet, anschließend geschliffen und auf Hochglanz poliert, das Licht aufzunehmen und auf eine Weise wieder von sich zu geben vermochte, die den Stein von aller Härte zu befreien und weich zu machen schien, sodass er das Aussehen nackter Haut annahm. Bei entsprechender Ausführung schien der Marmor beinahe lebendig zu werden.

»Ich habe gesehen, wie es gemacht wird, Victor. Ich habe schon früher als Bildhauer gearbeitet und gelernt, wie man so etwas macht. Monatelang habe ich darüber nachgedacht. Seit ich angefangen habe, für den Orden zu bildhauern, hat dieses Vorhaben meinen Geist lebendig erhalten. Ich habe meine Arbeiten für den Orden dazu verwendet, auszuprobieren, was ich gesehen habe, was ich gelernt und was ich mir selbst überlegt habe. Sogar vorher schon, während der Verhöre … habe ich immer nur an diesen Stein gedacht und an die Statue, von der ich weiß, dass sie sich in ihm verbirgt, um meine Gedanken von dem abzulenken, was man mir antat.«

»Willst du damit sagen, es hat dir geholfen, ihre Foltern zu ertragen?«

Richard nickte. »Ich kann es schaffen, Victor.« Er ballte fest entschlossen seine Faust. »Ich kann den nackten menschlichen Körper in Stein wiedergeben. Ich brauche dafür nichts weiter als die richtigen Werkzeuge.«

Victor ließ das Gold in seiner Faust klingeln. »Abgemacht. Für das, was du vorhast, kann ich die richtigen Werkzeuge herstellen. Wie man bildhauert, weiß ich nicht, das aber wird mein Beitrag dazu sein, die verborgene Schönheit ans Licht zu bringen.«

Zur Besiegelung ihres Abkommens ergriffen sich Richard und Victor an den Unterarmen.

»Um eins möchte ich dich allerdings bitten – um einen Gefallen.«

Victor lachte sein tief aus dem Bauch kommendes Lachen. »Muss ich dich mit Lardo füttern, damit du kräftig genug bist, um diesen würdigen Stein behauen zu können?«

Richard lächelte. »Nein. Obwohl ich Lardo niemals ablehnen würde.«

»Was ist es dann?«, wollte Victor wissen. Richard berührte den Stein, seinen Stein, fast zärtlich mit den Fingern.

»Niemand darf sie sehen, bevor sie fertig ist. Das gilt auch für dich. Ich hätte gern eine Plane, um sie abzudecken. Und ich möchte dich bitten, sie dir nicht anzusehen, bevor sie vollendet ist.«

»Warum?«

»Weil sie, solange ich sie bearbeite, allein mir gehören muss. Ich brauche dieses Alleinsein mit ihr, während ich sie gestalte. Wenn ich fertig bin, kann die Welt sie haben, aber solange ich noch an ihr arbeite, soll sie allein mein Wunschbild sein. Ich möchte, dass niemand sie zu Gesicht bekommt, bevor sie fertig ist.

Vor allem aber möchte ich nicht, dass du sie siehst, denn ich will dich für den Fall, dass etwas schief geht, nicht mit hineinziehen. Du sollst nicht wissen, was ich tue.

Wenn du sie nicht siehst, kann man dich dafür, dass du es ihnen nicht verrätst, nicht im Himmel begraben.«

Victor gab sich achselzuckend geschlagen. »Wenn das dein ausdrücklicher Wunsch ist, dann soll es so geschehen. Ich werde meinen Leuten erklären, dass der hintere Werkstattraum vermietet ist und niemand dort Zutritt hat. Außerdem werde ich ein Schloss an der Innentür anbringen und eine Kette vor die äußere Doppeltür hier legen und dir den Schlüssel geben.«