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»Danke. Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet.«

»Wann brauchst du die Meißel?«

»Zuerst benötige ich den schweren Meißel, um die groben Umrisse herauszuarbeiten. Könntest du ihn bis heute Abend fertig haben? Ich habe nicht viel Zeit.«

Victor tat Richards Sorge mit einer Handbewegung ab. »Der schwere Meißel ist kein Problem, den kann ich kurzfristig herstellen. Er wird fertig sein, wenn du von deiner Arbeit dort unten zurückkommst – von deiner Arbeit an der Hässlichkeit. Die anderen Meißel, mit denen du die Schönheit schaffen wirst, werden lange fertig sein, bevor du sie brauchst.«

»Danke, Victor.«

»Was soll dieses Danke-schön-Gerede? Das ist ein Geschäft. Du hast mich im Voraus bezahlt – Ware gegen Geld, unter ehrlichen Männern. Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut es tut, einen Kunden zu haben, der nicht dem Orden angehört.«

Victor kratzte sich am Kopf und wurde ernster. »Sie werden dein Werk sehen wollen, Richard, meinst du nicht? Sie werden sehen wollen, wie du mit ihrer Statue vorankommst.«

»Nein, glaube ich nicht. Sie vertrauen auf meine Arbeit. Außerdem haben sie mir ein Modell gegeben, das sie maßstabgerecht vergrößert haben wollen und das bereits genehmigt ist. Man hat mir erklärt, dass mein Leben davon abhängt. Neal war geradezu entzückt, als er mir erzählte, wie er den Befehl gab, die anderen Bildhauer zu foltern und hinzurichten. Er wollte mir Angst machen. Ich bezweifle, dass sie noch einen weiteren Gedanken daran verschwenden werden.«

»Aber was ist, wenn doch ein Ordensbruder erscheint und sie sehen will?«

»Dann werde ich ihm einen Eisenbarren um den Hals wickeln und ihn in einem Fass mit Salzlake einlegen müssen.«

60

Richard hielt sich das Stecheisen der Länge nach an die Stirn, wie er es schon so oft mit dem Schwert der Wahrheit getan hatte. Dies war nicht weniger ein Kampf; auch hier ging es um Leben oder Tod.

Leise sprach er: »Sei mir an diesem Tag treu, Klinge.«

Der Meißel war achtkantig, um einer verschwitzten Hand genügend Halt zu bieten. Victor hatte ihn mit einer zweckmäßig schweren, stumpfen Spitze versehen und darüber hinaus auf einer der Seiten in winzigen Buchstaben seine Initialen – V C – eingestanzt.

Mit einem solchen schweren Meißel konnte man Gestein zertrümmern und in kurzer Zeit eine große Menge überschüssiges Material entfernen, es war ein Werkzeug, das großen Schaden anzurichten und drei Finger tief in das Gefüge des Marmors einzudringen vermochte. Setzte man einen solchen Meißel gedankenlos an einem unbemerkt gebliebenen Fehler im Gestein an, konnte man damit den gesamten Block zerstören.

Feinere Spitzen erzeugten weniger tiefe Brüche, trugen allerdings auch weniger Material ab. Richard war sich darüber im Klaren, dass er sich selbst mit den feinsten Stecheisen nur bis auf eine halbe Fingerbreite der endgültigen Oberfläche nähern konnte. Das spinnwebartige Netz aus feinen Rissen, das ein Meißel hinterließ, bestand aus Brüchen in der kristallinen Struktur des Marmors selbst. Diese Beschädigungen nahmen dem Stein sowohl seine Transparenz als auch seine Fähigkeit, sich auf Hochglanz polieren zu lassen.

Um den nackten Körper in Stein wiedergeben zu können, musste man sich den endgültigen Oberflächen, die von keinem Werkzeug beschädigt werden durften, mit äußerster Behutsamkeit nähern.

Sobald er mit dem schweren Meißel einen Großteil des Überschusses abgetragen hatte, wollte Richard sich mit feineren Meißeln der eigentlichen Form weiter annähern und sie feiner herausarbeiten können. Hatte er sich dann der endgültigen Oberfläche bis auf eine halbe Fingerbreite genähert, würde er zu Kammeisen übergehen – Meißeln, die einfach Kerben in ihrer Schneide aufwiesen –, um damit das Gestein abzuschlagen, ohne die Struktur des darunter liegenden Marmors zu zerstören. Die derben Kerben entfernten den größten Teil des Steins und hinterließen dabei grobe Rillen. Anschließend würde er zur Verfeinerung des Werkes zu immer feineren Meißeln übergehen und ganz zum Schluss glattkantige Meißel einsetzen, von denen manche gerade mal halb so breit wie sein kleiner Finger waren.

Unten auf der Baustelle, wo er Szenen für den Fries meißelte, war die Arbeit der Bildhauer in diesem Stadium beendet. Zurück blieb eine unansehnliche, plumpe und derbe Oberfläche, die die nackte Haut leblos erscheinen ließ und nicht im Stande war, Muskeln und Körperbau Genauigkeit und Feinheit zu verleihen; die in den Werken dargestellten Menschen waren aller Menschlichkeit beraubt.

Bei dieser Statue dagegen würde Richard erst dort richtig beginnen, wo die Werke für den Orden endeten. Er würde Raspeln benutzen, um Knochen, Muskeln und sogar die Adern der Unterarme herauszuarbeiten. Mit Hilfe von feinen Feilen würde er die von den Raspeln hinterlassenen Spuren entfernen und äußerst feine Konturen herausarbeiten. Der Bimsstein wiederum würde die Feilenspuren entfernen und die Oberfläche für das Polieren mit auf Leder, Tuch und schließlich Stroh aufgetragener Bimssteinpaste vorbereiten.

Wenn er alles richtig machte, würde er seine Vision in Stein gehauen erhalten. Nacktes Fleisch, wiedergegeben in Stein. Würde.

Den schweren Spitzmeißel mit dem Daumen in die Handfläche drückend, berührte Richard den Stein mit der Hand und fühlte seine kühle Oberfläche. Er wusste, was sich im Inneren befand – nicht nur im Inneren des Steins, sondern auch in seinem eigenen.

Er empfand keinerlei Zweifel, nur von Herzklopfen unterlegte leidenschaftliche Erwartung.

Wie so oft musste Richard auch jetzt an Kahlan denken. Fast ein Jahr war es her, dass er in ihre grünen Augen geblickt, ihre Wange gestreift, sie in den Armen gehalten hatte. Längst würde sie die Sicherheit ihres Zuhauses gegen Gefahren eingetauscht haben, die er sich nur allzu lebhaft vorstellen konnte. Einen kurzen Augenblick überwältigte ihn die Last der Verzweiflung, schnürte die Traurigkeit darüber, wie sehr er sie vermisste, ihm die Kehle zu, demütigte ihn seine Liebe zu ihr. Jetzt wurde ihm klar, dass er sie aus seinen Gedanken verbannen musste, um sich voll und ganz der Aufgabe widmen zu können, die er sich vorgenommen hatte.

Wie so oft wünschte er Kahlan im Stillen eine gute Nacht.

Dann setzte er die Meißelspitze in einem Winkel von neunzig Grad auf die Oberfläche des Steins und führte mit dem stählernen Hammer einen mächtigen Schlag aus. Steinsplitter flogen explosionsartig davon.

Seine Atemzüge wurden tiefer und gingen schneller. Der Anfang war gemacht.

Richard machte sich mit großer Heftigkeit über den Stein her.

Im Schein der Lampen, die Victor ihm nach Beendigung des Tagewerks dagelassen hatte, verlor Richard sich in der Arbeit und ließ einen Hammerschlag nach dem anderen niedersausen. Spitze Gesteinssplitter prasselten von den Holzwänden ab und stachen, wenn sie ihn an Armen oder Brust trafen. Das deutliche Bild dessen vor Augen, was er schaffen wollte, brach er das überflüssige Gestein fort.

Seine Ohren klangen vom Geräusch von Stahl auf Stahl und Stahl auf Stein; es war wie Musik. Scharfkantige Splitter und Gesteinsbrocken fielen zu Boden, sie waren der gefallene Feind; die Luft war gesättigt vom weißen Staub des Kampfgeschehens.

Richard wusste ganz genau, was er erreichen wollte. Er wusste, was er dafür tun musste und wie er dabei vorzugehen hatte. Er war erfüllt von der Klarheit seines Zieles und von dem Weg, dem es zu folgen galt. Jetzt, da der Anfang gemacht war, ging er vollkommen in seiner Arbeit auf.

Staubwolken wallten um ihn herum, bis seine dunkle Kleidung weiß aussah, so als nähme der Stein ihn in sich auf, als verwandelte er sich mit ihm, bis sie zu einer Einheit wurden. Scharfe Bruchstücke ritzten im Davonfliegen seine Haut. Seine entblößten Arme, weiß wie der Marmor selbst, wiesen von diesem Kampf bald an mehreren Stellen blutig rote Striemen auf.