»Vielleicht hat Warren ganz einfach zu lange gezögert, bevor er seine Kraft benutzte.«
Zedd zuckte gequält mit den Achseln. »Schon so mancher Zauberer musste sterben, weil er Sekundenbruchteile gezögert hat.«
»Wenn ich damals nicht gezögert hätte«, sagte Kahlan, den leeren Blick auf eine bittere Erinnerung gerichtet, »hätte Nicci mich niemals überwältigen können und hätte jetzt auch Richard nicht in ihrer Gewalt.«
»Du solltest nicht versuchen, die Vergangenheit ungeschehen zu machen – das ist nicht möglich.«
»Und was ist mit der Zukunft?«
Zedds Augen suchten ihre. »Was meinst du?«
»Erinnerst du dich noch, wie wir Ende vergangenen Winters aus dem Feldlager abzogen – und die Truppen der Imperialen Ordnung vorzurücken begannen?« Auf Zedds Nicken fuhr sie fort. »Warren deutete auf diesen Ort auf der Karte und meinte, hier müssten wir stehen, um den Orden aufzuhalten.«
»Willst du damit andeuten, er hat gewusst, dass er hier sterben würde?«
»Sag du es mir.«
»Ich bin Zauberer, kein Prophet.«
»Aber Warren ist einer.« Als er darauf nichts erwiderte, erkundigte sich Kahlan leise: »Wie geht es Holly?«
»Ich weiß nicht. Als ich eintraf, um mit Warren zu sprechen, war es eben erst passiert. Soldaten waren dabei, den Mann zu überwältigen. Warren befahl ihnen laut brüllend, ihn nicht zu töten. Vermutlich dachte er, der Meuchelmörder sei im Besitz wertvoller Informationen. Dann sah ich Holly, die aus ihren Wunden blutete und einen Schock erlitten hatte. Schwestern eilten herbei und brachten Holly in ein anderes Zelt.«
Zedd ließ seinen verzweifelten Blick zu Boden sinken. »Ich habe alles getan, was ich konnte. Es hat nicht gereicht.«
Kahlan legte ihm schützend den Arm um die Schultern. »Es lag von Anfang an nicht in deiner Hand, Zedd.«
Es war verstörend, die Quelle ihrer Kraft in einem Zustand so quälenden Unvermögens zu erleben. Von ihm zu erwarten, unter diesen Umständen emotionslos und stark zu sein, wäre sicherlich unsinnig gewesen, verstörend war es trotzdem. In diesem Augenblick wurde Kahlan von dem Gefühl für all die Verluste überwältigt, die Zedd in seinem Leben erlitten hatte; das alles war in seinen tränenfeuchten haselbraunen Augen abzulesen.
Männer bahnten einen Weg für die Rückkehr von General Meiffert und Cara. Hinter ihnen hielten zwei kräftige Soldaten einen drahtigen jungen Mann – eigentlich kaum mehr als einen jungen Burschen – gepackt. Er war kräftig, aber mit den Männern, die ihn festhielten, konnte er es nicht aufnehmen. Sein Haar hing ihm über seinem düsteren, von Verachtung erfüllten Blick wirr in die Stirn. Er hatte ein stolzes Grinsen im Gesicht.
»Tja«, meinte der junge Bursche, bemüht, sich den Anschein von Härte zu geben, »schätze, da habe ich im Dienst für den Orden tatsächlich einen wichtigen Mann getötet. Das macht mich zu einem Helden des Ordens.«
»Zwingt ihn, vor der Mutter Konfessor niederzuknien«, befahl General Meiffert ruhig.
Die beiden Soldaten traten dem jungen Mann in die Kniekehlen, um ihn zu Boden zu zwingen. Hämisch kichernd kniete er vor ihr.
»Du bist also diese große, wichtigtuerische Hure, von der ich so viel gehört habe. Wirklich schade, dass du nicht in der Nähe warst – ich hätte dich nur zu gerne mit dem Messer durchbohrt. Schätze, ich hab einigen Leuten gezeigt, dass ich mit dem Messer ziemlich gut umgehen kann.«
»Und so hast du, da ich nicht zugegen war«, sagte Kahlan, »stattdessen ein kleines Kind erstochen.«
»Nur zur Übung. Ich hätte noch viel mehr abgestochen, hätten sich diese beiden blöden Ochsen nicht durch puren Zufall auf mich geworfen. Ich habe trotzdem meine Pflicht gegenüber dem Orden und dem Schöpfer getan.«
Es war das prahlerische Gehabe eines Menschen, der kurz davor stand, den höchsten Preis für seine Taten zu bezahlen. Er versuchte sich selbst einzureden, er habe irgendeine sinnvolle Pflicht erfüllt, denn er wollte als Held sterben, um gleich darauf vor seinen Schöpfer treten und sich seinen Lohn im Leben nach dem Tode abholen zu können.
Verna kam aus dem Zelt hervor. Ihre Bewegungen hatten nichts Hastiges, ihr Gesicht war aschfahl und gramverzerrt. Kahlan nahm ihren Arm, bereit zu helfen, sollte Verna Hilfe nötig haben.
Verna blieb stehen, als sie den knienden jungen Mann sah.
»Ist er das?«, fragte sie.
Verna ihre andere Hand sachte auf den Rücken legend, bot Kahlan ihr stumm ihre Unterstützung an.
»Das ist er«, bestätigte sie.
»Ganz recht.« Der Bursche sah höhnisch hoch zu Verna. »Ich war das, der den gegnerischen Zauberer erstochen hat. Ich bin ein Held. Der Orden wird den Menschen Trost und Gerechtigkeit bringen, und ich habe dabei geholfen. Leute euresgleichen haben immer nur versucht, uns zu unterdrücken.«
»Euch zu unterdrücken«, wiederholte Verna tonlos.
»Wer von Geburt an alles Glück und alle Vorteile auf seiner Seite hat, wird nie etwas davon abgeben wollen. Ich habe lange gewartet, aber nie hat mir jemand eine Chance im Leben geboten, bis es der Orden tat. Ich habe den Unterdrückern der Menschheit einen Schlag versetzt. Ich habe geholfen, denen Gerechtigkeit zu bringen, die niemals eine Chance erhalten. Ich habe einen gottlosen Menschen getötet. Ich bin ein Held!«
Vor dem hektischen Treiben der Männer, die das Feldlager nach weiteren Meuchelmördern absuchten, wirkte das Schweigen der Umstehenden nur noch unbarmherziger. Offiziere riefen Namen auf, erhielten prompt Antwort. Truppen, deren Kettenpanzer und Waffen wie tausende winzige Glöckchen klangen, trabten auf der Suche nach Eindringlingen durch die Nacht.
Der auf den Knien liegende Mann sah grinsend hoch zu Verna. »Der Schöpfer wird mir meinen Lohn im nächsten Leben geben. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe mir das ewige Leben in seinem ewig währenden Licht verdient.«
Verna ließ ihren Blick über die Augen der Umstehenden schweifen.
»Was ihr mit ihm anstellt, ist mir gleich«, sagte sie, »aber ich will die ganze Nacht sein Schreien hören. Ich möchte, dass das gesamte Feldlager die Nacht hindurch seine Schreie hört. Ich will, dass die Kundschafter des Ordens seine Schreie hören. Das wird mein Zeichen des Respekts für Warren sein.«
Der junge Mann benetzte sich die Lippen, als er erkannte, dass die Dinge nicht den erwarteten Verlauf nahmen.
»Das ist ungerecht!«, schrie der junge Meuchelmörder lauthals protestierend.
Panikartige Angst ließ ihn am ganzen Körper zittern. Er war auf einen Märtyrertod vorbereitet gewesen, auf ein schnelles Ende. Damit hatte er nicht gerechnet.
»Er ist schnell gestorben. Das Gleiche sollte auch für mich gelten.«
»Ungerecht? Ungerecht ist«, erwiderte Verna geradezu beängstigend ruhig, »dass deine Mutter jemals für deinen Vater die Beine breit gemacht hat. Wir werden ihren Fehler, wenn auch verspätet, jetzt berichtigen. Ungerecht ist, dass ein rechtschaffener, gütiger Mann durch die Hand eines weinerlichen, miesen Feiglings gestorben ist, der so wenig Verstand besitzt, dass er nicht einmal im Stande ist, die Lügen zu erkennen, die er uns auftischt.
Du willst dein Leben gegen das eintauschen, das du genommen hast? Du willst für eine Sache sterben, die du in deiner Dummheit für erhaben hältst? Dein Wunsch sei dir erfüllt, junger Mann. Doch bevor du stirbst, wirst du erst noch in seiner ganzen Tragweite begreifen, was du aufgegeben hast, wie kostbar dein Leben ist und wie gänzlich vergeudet; und am Ende wirst du den Zeugungsakt deiner Mutter ebenso bedauern wie wir.«
Verna ließ einen zum Letzten entschlossenen Blick über die Gruppe der Umstehenden wandern. »Das ist mein Wunsch. Bitte sorgt dafür, dass ihm Genüge getan wird.«
Cara trat einen Schritt vor. »Dann überlasst es mir.« Nichts in ihrer unbarmherzigen Miene verriet, dass sie Gefallen daran fand. »Ich bin wohl am besten geeignet, Euren Wunsch Euren Absichten gemäß zu erfüllen, Verna.«
Der Junge verfiel in hysterisches Gelächter. »Eine Frau? Glaubt ihr etwa, ihr könnt mir von einem großen blonden Weibsbild eine Lektion erteilen lassen? Ihr seid alle genauso verrückt, wie man mir berichtet hat.«