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Verna nickte. »Ich stehe tief in Eurer Schuld, Cara.« Sie machte Anstalten, sich zu entfernen, hielt aber noch einmal inne. »Lasst ihn nicht vor dem Morgen sterben, wenn ich komme, um Zeuge seines Todes zu werden. Ich möchte ihm in die Augen schauen und sehen, ob dieser junge Mann das Wesen der Wirklichkeit und ihren Mangel an Gerechtigkeit begriffen hat, bevor er sein Leben für etwas völlig Wertloses sowie seine Teilnahme an einer gewaltigen Sünde opfert.«

»Ich verspreche Euch«, sagte Cara leise an Verna gewandt, »diese Nacht, die Euch in Eurem Kummer endlos erscheinen wird, wird ihm noch unendlich viel länger werden.«

Verna legte Cara als Zeichen ihrer Anerkennung einfach im Vorübergehen die Hand auf die Schulter.

Nachdem die Dunkelheit Verna geschluckt hatte, wandte Cara sich an Kahlan. »Ich bitte darum, ein Zelt benutzen zu dürfen. Niemand soll mit ansehen müssen, was ich mit ihm mache. Seine Schreie werden Zeugnis genug sein.«

»Ganz wie Ihr wollt.«

»Mutter Konfessor!« Der junge Mann wehrte sich heftig, doch die Soldaten hatten ihn fest im Griff. »Wenn Ihr so gütig seid, wie Ihr behauptet, dann gewährt mir Gnade!«

Speichel troff ihm aus dem Mundwinkel und baumelte im Rhythmus seines keuchenden Atems.

»Genau das habe ich soeben getan«, erwiderte Kahlan.

»Ich gestatte dir, die von Verna ausgesprochene Strafe zu erleiden, und nicht jene, die ich verhängt hätte.«

Mit den Fingern schnippend deutete Cara im Davonmarschieren auf den Gefangenen. Die Soldaten schleiften den kreischenden Jungen hinter ihr her.

»Und die anderen, die wir aufgegriffen haben?«, wollte der General von Kahlan wissen.

Kahlan war bereits auf dem Weg zu ihrem Zelt. »Schneidet ihnen die Kehle durch.«

62

Als sie merkte, dass sie die entfernten Schreie nicht mehr hörte, setzte Kahlan sich auf. Bis zur Morgendämmerung waren es noch mehrere Stunden; vielleicht hatte sein Herz unerwartet ausgesetzt.

Nein, Cara war eine Mord-Sith und bestens ausgebildet in dem, was Mord-Sith taten.

Manchmal – während sie, auf die schauderhaften Schreie lauschend, in voller Kleidung auf ihrem Bett gelegen, sich nach Verna gesehnt und Warren vermisst hatte – war ihr, immer wenn sie daran dachte, dass auch Richard einst dem Strafer einer Mord-Sith ausgesetzt gewesen war, der Schweiß auf die Stirn getreten.

Um die ungeladenen schauderhaften Bilder zu verbannen, die sich immer wieder in ihre Gedanken drängten, hob sie den Blick und betrachtete Seele . Die an der Firststange des Zeltes hängende Lampe tauchte die Schnitzerei in ein warmes Licht und betonte die anmutigen Linien ihres fließenden Gewandes, die zu Fäusten geballten Hände, den zurückgeworfenen Kopf. Wie oft Kahlan die Statue auch betrachtete, sie wurde ihrer niemals überdrüssig; stets war sie aufs Neue begeistert.

Richard hatte diese Betrachtungsweise des Lebens der grauenhaften Verbitterung vorgezogen, der er leicht hätte verfallen können. Wenn er an dieser Verbitterung festgehalten hätte, hätte ihn das lediglich der Fähigkeit beraubt, Glück zu empfinden.

Kahlan vernahm draußen einen Tumult. Sie wollte gerade aufspringen, als Cara ihren Kopf zur Zeltöffnung hereinsteckte, die Kahlan offen gelassen hatte. Die blauen Augen der Mord-Sith waren erfüllt von tödlichem Zorn. Sie trat, den jungen Burschen an den Haaren hinter sich herschleifend, ins Zelt. Vom Blut in seinen Augen geblendet, schüttelte er sich wild blinzelnd.

Cara versetzte ihm zähneknirschend einen Stoß, woraufhin er in den Staub zu Kahlans Füßen fiel.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Kahlan.

Der Blick in Caras Augen offenbarte eine Frau, die kurz davor stand, ihrem Zorn freien Lauf zu lassen, die Beherrschung zu verlieren und die Grenze dessen zu überschreiten, was gerade noch als menschlich galt. Sie war im Begriff, in eine andere Welt hinüber zugleiten: in die Welt wahnsinniger Raserei.

Cara ließ sich auf die Knie hinunter und packte den jungen Kerl bei den Haaren. Sie riss ihn wieder auf die Füße, hielt ihn gegen ihren Körper und presste ihm ihren Strafer an den Hals. Er würgte und hustete. Aus seinem Mund quoll blutiger Schaum.

»Sag es ihr«, knurrte Cara.

Er breitete kapitulierend die Arme aus. »Ich kenne ihn! Ich kenne ihn!«

Stirnrunzelnd blickte Kahlan auf Caras verängstigtes Opfer hinab. »Wen kennst du?«

»Richard Cypher! Ich kenne Richard Cypher! – Und seine Frau, Nicci.«

Kahlan war, als ob die Welt um sie herum einstürzte. Das Gewicht dieser Welt ließ sie auf die Knie sinken.

»Wie heißt du?«

»Gadi! Ich heiße Gadi!«

Cara presste ihm den Strafer in den Rücken, was ihn veranlasste, einen unkontrollierten Schrei auszustoßen. Sie schmetterte ihn mit dem Gesicht auf den Boden.

Kahlan hob abwehrend die Hand. »So wartet doch, Cara … wir müssen mit ihm sprechen.«

»Ich weiß. Ich wollte nur sichergehen, dass er das auch wirklich möchte.«

So wie jetzt, so vollkommen enthemmt, hatte Kahlan Cara noch nie erlebt. Es ging bei weitem über das hinaus, worum Verna sie gebeten hatte; für Cara war dies etwas Persönliches. Warren war ein Mensch gewesen, den sie mochte, Richard aber war ihr Leben, und das war Gadis Pech.

Die Mord-Sith riss ihn abermals in eine aufrechte Haltung. Um seine gebrochene Nase bildeten sich rötliche Blasen. Wenn das Licht genau im richtigen Winkel auf Cara fiel, konnte Kahlan das Blut auf ihrem roten Lederanzug glänzen sehen.

»So. Und jetzt will ich, dass du der Mutter Konfessor alles erzählst.«

Cara hatte den Befehl noch nicht ganz ausgesprochen, da nickte er bereits tränenüberströmt.

»Ich hab dort gewohnt – da, wo sie eingezogen sind. Ich hab dort gewohnt, wo Richard und seine Frau…«

»Nicci«, verbesserte Kahlan.

»Ja, Nicci.« Er begriff nicht, was sie meinte. »Sie sind in ein Zimmer in unserem Wohnhaus gezogen. Meine Freunde und ich mochten ihn nicht. Dann fingen Kamil und Nabbi an, sich mit ihm zu unterhalten. Schließlich begannen sie ihn zu mögen. Ich war wütend…«

Er verfiel in ein derartiges Geplärr, dass er nicht zu Ende sprechen konnte. Kahlan packte sein blutverschmiertes Kinn und rüttelte sein Gesicht.

»Red schon! Oder ich sage Cara, dass sie ihre Arbeit wieder aufnehmen soll!«

»Ich weiß doch nicht, was ich sagen soll, was Ihr hören wollt«, schluchzte er.

»Alles, was du über ihn und Nicci weißt. Alles!«, schrie Kahlan wenige Zoll vor seinem Gesicht.

»Erzähl ihr die ganze Geschichte«, sagte Cara ihm ins Ohr, als sie ihn wieder auf die Füße zog.

Kahlan folgte seiner Bewegung, aus Angst, eines seiner kostbaren Worte könnte ihr entgehen.

»Richard brachte die Leute dazu, das Haus in Ordnung zu bringen. Er arbeitet für Ishaq, in dessen Fuhrunternehmen. Wenn er abends nach Hause kam, hat er meist irgendwas repariert. Er hat Kamil und Nabbi gezeigt, wie man das macht. Ich konnte ihn nicht ausstehen.«

»Du konntest ihn nicht ausstehen, weil er alles zum Besseren gewendet hat?«

»Er machte Kamil und die anderen glauben, sie könnten die Dinge selbst in die Hand nehmen, aber das können sie nicht – niemand kann die Dinge selbst in die Hand nehmen. Das ist ein schrecklicher Irrtum. Die Menschen brauchen die Hilfe derer, die die Fähigkeit dazu besitzen. Dazu sind sie verpflichtet. Richard hätte manches zum Besseren wenden sollen, denn er war dazu im Stande – aber er hätte Kamil und Nabbi und den anderen nicht einreden dürfen, dass sie ihr Leben aus eigener Kraft ändern können. Das kann niemand. Was die Menschen brauchen, ist Hilfe, nicht dass ihnen jemand diese herzlosen und gefühllosen Hoffnungen macht.

Ich fand heraus, dass Richard nachts arbeitete. Er unternahm zusätzliche Fuhren für irgendwelche habgierigen Kerle und verdiente damit Geld, das er nicht hätte verdienen dürfen.

Dann, eines Abends, saß ich auf der Treppe und bekam mit, wie Nicci wütend auf Richard wurde. Sie kam heraus zu mir an die Treppe und bat mich, mit ihr ins Bett zu steigen. Frauen sind immer scharf auf mich. Sie war eine Nutte – nicht besser als all die anderen –, trotz ihres ganzen Gehabes. Sie meinte zu mir, Richard sei nicht Manns genug, sie flachzulegen, und wollte, dass ich es mit ihr mache, weil er sich weigerte.