»Das hat nichts mit Glauben zu tun. Ich weiß…«
»Sie ist eine Schwester der Finsternis; ich selbst habe sie auf diesen dunklen Weg gebracht. Jetzt bin ich gekommen, um sie wieder zurückzuholen. Bevor es nicht so weit ist, darfst du ihr auf keinen Fall trauen. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit. Willst du nun weiterleben oder nicht?«
Alles war dahin, umsonst. Er fühlte, wie ihm eine Träne aus dem Augenwinkel und über seine Wange lief.
»Ich habe mich für das Leben entschieden«, sagte er.
»Ich weiß«, erwiderte sie leise, mit einem Lächeln. »Ich habe die Statue gesehen. Und jetzt nimm die Hände fort, ich muss meine dorthin legen.«
Richard ließ seine Hände seitlich herabgleiten, während sie ihre auf seine Wunde legte. Er kam sich hilflos vor und konnte sich auf nichts anderes konzentrieren als auf die brennenden Schmerzen.
Er spürte das Kribbeln der Magie, als diese in seinen Körper eindrang und den Verletzungen tief in seinem Innern folgte. Er biss die Zähne aufeinander, um einen Schrei zu unterdrücken.
»Halt durch«, redete sie leise auf ihn ein. »Es sieht schlimm aus. Es wird sehr wehtun, aber nach einer Weile wird es wieder in Ordnung kommen.«
»Verstehe«, stammelte er. Er sog scharf die Luft ein. »Versucht es also.«
Der Schmerz ihrer Magie brannte sich mit dem Gefühl weiß glühender Kohlen auf nackter Haut in seinen Leib. Beinahe hätte er lauthals aufgeschrien, doch dann ließ der Schmerz ganz plötzlich nach. Richard lag japsend mit geschlossenen Augen da und wartete, dass er von neuem einsetzte. Er spürte, wie ihre Hände sich behutsam von ihm lösten.
Richard schlug die Augen auf und sah, dass Schwester Alessandra die Augen weit aufgerissen hatte. Einen Augenblick fragte er sich, warum.
Dann sah er das einen Fuß lange Stück Stahl, das aus ihrer Brust ragte. Sie griff sich mit den Fingern an den Hals, als Blut aus ihrem geöffneten Mund hervorsprudelte. Ihre Lippen formten sich zu einem stummen Schrei.
Eine knochendürre Hand stieß sie beiseite.
Sie war mit jenem Schwert durchbohrt worden, mit dem Richard sich gegen Kahlan zur Wehr gesetzt hatte. Blind tastete seine Hand nach dem Heft, das, wie er wusste, noch dort liegen musste, doch ein Fuß trat das Schwert der Wahrheit fort.
Der Schädel des Todes persönlich grinste auf ihn herab.
»Du bist ein Mann, der einem sehr zur Last fallen kann, Richard Cypher«, ließ sich die schnarrende Stimme aus dem Dunkel über ihm vernehmen. »Aber wenigstens hat es jetzt ein Ende mit dieser Last.«
Die hoch gewachsene, kantige Gestalt in Ordensgewand und gekniffter Kappe türmte sich über ihm auf, während er hilflos auf dem kalten, feuchten Boden lag.
»Diese kleine Rebellion, die du angezettelt hast, wird noch vor deinem Tod niedergeschlagen sein, so viel kann ich dir versprechen. Man wird diesem törichten kleinen Zornesausbruch der Menschen ein Ende machen, sie werden schon sehr bald wieder zur Besinnung kommen. Männer wie du finden nur in äußerst fanatischen Kreisen Gehör. Die meisten Menschen sind sich der Pflicht bewusst, die sie gegenüber ihren Mitmenschen haben. Deine ganze Mühe war umsonst.«
Bruder Narev machte eine ausladende Handbewegung, als wollte er jemanden vorstellen.
»Ein durchaus angemessener Ort für deinen Tod, findest du nicht auch, Richard? Diese Kammern bilden die zukünftigen Verhörzellen. Du bist den Zellen einmal entkommen, diesmal wird es dir nicht gelingen. Du wirst in einer von ihnen sterben, so wie du es längst hättest tun sollen.
Ich dagegen werde hier ein langes, sehr langes Leben führen und dafür Sorge tragen, dass der Orden der Welt Moral beschert. Hier unten, in diesen Zellen, werden Radikale wie du ihre Sünden gestehen. Ich wollte nur, dass du das weißt, bevor dich der Hüter für alle Ewigkeit in seine Arme schließt.«
Bruders Narevs knochendürre Hände formten sich zu Krallen, als er seine Magie heraufbeschwor. Richard sah ein weiß gleißendes Licht rund um die Hände des Hohepriesters aufglühen und sich nach unten ausbreiten. Er drückte Kahlans Hand, während er zusah, wie das weiße Licht des Todes immer näher kam.
Das Fluoreszieren nahm eine Farbe wie von Honig an. Als ob sich die Luft verdichtet hätte, begann es an den Seiten herabzugleiten.
Ein wütendes Geheul entwich, immer lauter werdend, aus Narevs Kehle; wutentbrannt schüttelte er drohend seine Fäuste.
»Du hast die Gabe eines Zauberers. Wer bist du?«
»Ich bin Euer schlimmster Albtraum. Ich bin ein denkender Mensch, den Ihr weder mit Euren Lügen hinters Licht führen noch mit Eurer widerwärtigen Magie verbrennen könnt.«
Bruder Narev versuchte, Richard mit dem Fuß ins Gesicht zu treten, doch Richard konnte den Tritt ablenken und packte Narevs Knöchel. Der Mann fand sein Gleichgewicht wieder und zerrte wie von Sinnen, um sich zu befreien. Die Anstrengung des Festhaltens schien die Wunde in Richards Eingeweiden wieder aufzureißen. Er versuchte festzuhalten, aber seine Finger glitten am feuchten Leder ab.
Einmal befreit und außerhalb von Richards Reichweite, bückte Narev sich und packte das Heft des Schwertes, das in der Schwester Rücken steckte. Er riss daran, es ließ sich jedoch nicht vollständig herausziehen. Unter wütendem Geknurre zerrte er weiter an dem Schwert, während seine Stiefel auf dem glitschigen Boden wegrutschten.
Richard wusste, dass Narev, war er erst einmal bewaffnet, schnell bereit war, jemanden hinzurichten.
Mit letzter Kraft warf Richard sich auf die Beine des Mannes. Bruder Narev stürzte rücklings auf den nassen Boden. Richard, dessen Körpermitte von Qualen zerrissen wurde, warf sich auf Narevs Beine, um ihn am Boden festzuhalten. Knochige Finger krallten sich in Richards Gesicht und versuchten ihm die Augen auszuquetschen. Richard drehte den Kopf zur Seite, klammerte sich mit übermenschlicher Anstrengung in das schwere Gewand und zog sich, die ihn dabei ins Gesicht treffenden Schläge ignorierend, am Körper des Mannes hoch.
Er packte Bruder Narev an der Kehle, doch auch Bruder Narevs Finger schlossen sich brutal um Richards Hals. Beide Männer versuchten, vor Anstrengung grunzend, sich gegenseitig zu erwürgen.
Durch eine Drehung des Kopfes versuchte Richard zu verhindern, dass Narev einen tödlichen Griff anbringen konnte, während er gleichzeitig seine eigenen Daumen über Narevs Luftröhre zu schieben versuchte, um ihm die Luft abzudrücken.
Narev versuchte sich herumzuwälzen und Richard abzuwerfen, doch Richard breitete die Beine aus, um Narev das Herunterschleudern zu erschweren, und ließ nicht locker, während der Mann sich wand und wehrte. Er spürte ein Reißen in seinen Eingeweiden.
Monatelang hatte Richard Hammer und Meißel für den Orden geschwungen. Er war kräftiger, aber er verlor auch eine Menge Blut, und seine körperliche Überlegenheit schwand zusehends. Er drückte mit aller Kraft zu, und die Finger an seinem Hals lockerten sich ein wenig.
Die Augen des Mannes traten vor, als es Richard schließlich gelang, ihn zu würgen, bis er erschlaffte. Seine knochigen Hände fielen schwer gegen Richards Schultern.
Unvermittelt packten die Hände Richard ungestüm bei den Haaren.
Narev bekam ein Bein frei und rammte sein Knie in Richards Wunde.
Die Welt erlosch in einem weißen Blitz aus Schmerz.
Benommen erwachte Nicci durch das Geräusch eines leisen, boshaften Lachens. Die Stimme kannte sie, ebenso den Geruch. Kadar Kardeef.
Sie vernahm ein leises Knistern, Knacken und Zischen. Eine Fackel, wie sie erkannte. Er schwenkte sie heftig vor ihrem Gesicht hin und her, so nah, dass sie die entsetzliche Hitze auf ihrer Haut spüren konnte. Brennendes Pech troff herunter und landete auf ihrem Bein.
Nicci schrie vor Schmerz, als sich das Pech in die Haut ihres Oberschenkels brannte.
»Was lange währt, wird endlich gut«, sprach Kadar ihr ins Ohr.
»Es ist mir egal, was Ihr mir antut«, schrie Nicci wütend. »Ich bin froh, dass ich Euch verbrannt habe. Ich bin froh, dass Ihr habt betteln müssen.«