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Um ihn herum waren Menschen; Leichen lagen auf dem nassen Boden. Er merkte, dass er auf einem Brett und damit im Trockenen lag. Er war mit einem warmen Umhang zugedeckt worden und konnte die dunklen Umrisse von Personen erkennen, die sich überall in dem winzigen Raum aneinanderkauerten.

Unter seinen Fingern lag das Heft des Schwertes der Wahrheit. Da das Tosen seiner Magie verebbt war, wusste er, dass es in seiner Scheide steckte.

Er hob den Blick und konnte durch die Lücken zwischen den Deckenbalken, durch geborstenes Gestein und gesplittertes Holz hindurch den rosa Hauch der Morgendämmerung erkennen.

»Kahlan?«, rief er leise.

Drei Gestalten in der Kammer sprangen auf, als wäre das Gestein plötzlich zum Leben erwacht.

Die, die am nächsten war, beugte sich über ihn. »Lord Rahl? Seid Ihr wach?«

»Was ist passiert?«

»Oh, Richard, es tut mir so Leid. Ich bin untröstlich. Ich habe dich niedergestochen; es war allein meine Schuld. Ich hätte mir einen Augenblick Zeit lassen sollen, um ganz sicher zu sein, bevor ich es tat. Es tut mir so Leid.«

Richard runzelte die Stirn. »Ich habe dich gewinnen lassen, Kahlan.«

Stille schlug ihm entgegen.

»Richard«, antwortete Kahlan schließlich, »du musst nicht versuchen, meine Schuld zu lindern. Ich weiß, dass es mein Fehler war. Ich habe dich mit einem Schwert durchbohrt.«

»Aber nein«, beharrte Richard. »Ich habe dich gewinnen lassen.«

Cara tätschelte seine Schulter. »Selbstverständlich habt Ihr das, Lord Rahl. Selbstverständlich habt Ihr das.«

»Nein, ich meine es ernst.«

Als sich die dritte Gestalt zu ihm herumwandte, umschlossen Richards Finger das Heft seines Schwertes fester.

»Wie fühlst du dich?«, erkundigte sich Nicci mit jener seidenweichen Stimme, die ihm so vertraut war.

»Hast du die Verbindung zu Kahlan aufgehoben?«

Nicci machte eine scherenartige Bewegung mit zwei Fingern. »Sie ist gekappt, endgültig.«

Richard atmete erleichtert auf. »In diesem Fall geht es mir ausgezeichnet.« Er versuchte, sich aufzusetzen, doch Nicci hielt ihn mit der Hand zurück.

»Ich werde dich niemals um Verzeihung bitten können, Richard, weil ich dir niemals zurückgeben kann, was ich dir genommen habe, aber du sollst wissen, dass ich jetzt begreife, wie sehr ich mich getäuscht habe. Mein Leben lang bin ich blind gewesen. Das soll keine Ausrede sein, ich möchte dir aber sagen, dass du mir die Augen geöffnet hast. Mit der Antwort, nach der ich gesucht habe, hast du mir mein Leben zurückgegeben. Du hast mir einen Grund gegeben, leben zu wollen.«

»Und was hast du nun gesehen, Nicci?«

»Das Leben. Du hast es so groß in Stein gehauen, dass selbst jemand, der in seiner Verblendung dem Bösen gedient hat, es nicht übersehen konnte. Du brauchst dich mir nicht länger zu beweisen. Jetzt ist es an mir und an denen, denen du neuen Mut gegeben hast, sich dir zu beweisen.«

»Damit haben du und diese Menschen längst begonnen, sonst wäre ich nicht mehr am Leben.«

»Dann … seid Ihr jetzt also wieder eine Schwester des Lichts?«, fragte Kahlan.

Nicci schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin Nicci. Meine Begabung als Hexenmeisterin gehört mir allein; sie macht aus, was ich bin. Meine Begabung macht mich nicht zur Sklavin anderer, nur weil diese es so wollen. Sie ist mein Leben und gehört keinem anderem – außer vielleicht euch beiden.

Ihr beide habt mir den Wert des Lebens, das Prinzip der Freiheit, vor Augen geführt. Wenn ich jetzt anderen zur Seite stehen sollte, dann denen, die dieselben Werte in Ehren halten.«

Richard legte seine Hand über Niccis. »Danke, dass du mir das Leben gerettet hast. Eine Zeit lang dachte ich dort drinnen, es wäre ein Fehler gewesen, mich von Kahlan verwunden zu lassen.«

»Richard«, wandte Kahlan ein, »du brauchst nicht zu versuchen, meine Schuld zu lindern, indem du das sagst.«

Nicci schaute ihm in die Augen, als sie das Wort an Kahlan richtete. »Das tut er gar nicht. Er spricht die Wahrheit. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Damit zwang er mich, die Entscheidung zu treffen, ihn zu retten, wofür ich den Bann brechen musste, der Euch gefangen hielt. Es tut mir Leid, dass du das über dich ergehen lassen musstest; ich hatte meine Entscheidung längst getroffen – in dem Augenblick, als ich deine Statue sah.«

Richard versuchte abermals, sich aufzusetzen, doch Nicci hielt ihn wiederum zurück.

»Es wird eine Weile dauern, bis du vollständig genesen bist, denn du leidest noch immer unter den Nachwirkungen der Verwundung. Dass du lebst, bedeutet noch lange nicht, dass du völlig wiederhergestellt bist. Du hast eine ungeheure Zerreißprobe überstanden, eine Menge Blut verloren und wirst erst einmal wieder zu Kräften kommen müssen. Du bist noch längst nicht außer Lebensgefahr, wenn du nicht auf dich Acht gibst.«

»Also gut«, gab Richard sich geschlagen. Mit Kahlans Hilfe setzte er sich vorsichtig auf. »Ich werde an deine Worte denken, aber trotzdem muss ich dorthin.« Er wandte sich zu Kahlan. »Übrigens, was tust du eigentlich hier unten? Woher wusstest du, wo ich mich befinde? Was tut sich oben im Norden, in der Neuen Welt?«

»Darüber werden wir uns später unterhalten«, erwiderte sie. »Ich musste einfach bei dir sein, deshalb habe ich mich entschieden, dass dieses Leben mir allein gehört – und dass ich bei dir sein will. Du hattest Recht, was den Krieg in der Neuen Welt anbelangt. Ich habe lange gebraucht, um das endlich zu begreifen, aber schließlich ist es mir gelungen. Ich bin hergekommen, um bei dir zu sein, weil das alles ist, was mir noch bleibt.«

Er sah Cara an. »Und Ihr?«

»Ich wollte schon immer etwas von der Welt sehen.«

Schmunzelnd erhob sich Richard mit Kahlans und Caras Hilfe. Ihm war ein wenig schwindelig zumute, aber das tauschte er mit Freuden gegen das Gefühl davor ein. Kahlan reichte ihm sein Schwert, er streifte den Waffengurt über seinen Kopf, legte den Lederriemen über seine Schulter und schob die Scheide an seine Hüfte. Jetzt, da er auf ein wenig vertrauterem Fuß mit der Waffe stand, hatte er neuen Respekt vor ihr gewonnen.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie gerne ich es dir zurückgebe«, sagte Kahlan. Verlegen lächelnd fügte sie hinzu: »Auf diese Weise, meinte ich.«

Ein Stück weiter unten im Flur wartete Kamil in der nur von ein paar Kerzen erhellten Dunkelheit. Bei ihm waren mehrere Leute; Richard kannte außer Kamil keinen von ihnen. Er legte dem grinsenden jungen Mann eine Hand auf die Schulter.

»Schön, dich zu sehen, Kamil.«

»Ich habe sie gesehen, Richard, ich habe die Statue gesehen.« Sein Lächeln erlosch. »Tut mir Leid, dass sie zerstört wurde.«

»Sie war nichts weiter als ein Brocken Stein. Ihre eigentliche Schönheit lag in den Ideen, für die sie stand.«

Die Leute in dem schwach beleuchteten Flur nickten. Da erblickte Richard die Frau mit dem verletzten Bein. Er lächelte ihr zu. Sie antwortete, indem sie ihre Fingerspitzen küsste und sie ihm auf die Stirn legte.

»Seid gesegnet für Euren Mut, diese Statue zu meißeln«, sagte sie. »Zu wissen, dass Ihr die Nacht überlebt habt, Richard, erfüllt uns alle mit großer Freude.«

Er bedankte sich bei ihnen allen für ihre Anteilnahme.

Der Boden erzitterte erneut.

»Was ist das?«, fragte Richard.

»Die Mauern«, antwortete einer der Männer. »Die Menschen reißen die Mauern mit den Bildwerken des Todes darauf ein.«

Während also einige die Mauern niederrissen, waren andere noch immer in eine offene Schlacht verwickelt. Richard konnte im fahlen Licht der Morgendämmerung erkennen, dass auf den fernen Hängen der Hügel nach wie vor gekämpft wurde. Dem Anschein nach waren viele mit den Ideen, für die Richards Statue gestanden hatte, nicht einverstanden. Es waren jene, die sich vor der Freiheit fürchteten und das abgestumpfte Dasein des Nicht-für-sich-selber-denken-Müssens vorzogen.

Das Palastgelände selbst dagegen war in sicheren Händen. Die Feuer der Freiheit breiteten sich von dort aus und entzündeten eine wahre Feuersbrunst der Veränderung.