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Der Halbkreis aus Mauern auf dem Vorplatz stand noch, ebenso – bis auf eine – sämtliche Säulen; irgendwie herrschte hier eine andere Stimmung. Dies war der Ort, an dem die Menschen die Statue zum ersten Mal gesehen und sich für das Leben entschieden hatten. Dieser Teil des Palastes sollte nicht der Zerstörung anheim fallen.

Richard scharrte mit dem Stiefel durch den Marmorstaub. Die Schicht aus weißem Staub war alles, was in der Platzmitte übrig geblieben war. Jedes einzelne der kostbaren Trümmerstücke war als Erinnerung mitgenommen und aufbewahrt worden.

Von draußen auf dem Gelände, wo mehrere Männer zusammengekommen waren, erspähte Victor die vertrauten Gesichter von Richard, Kamil und Nicci. Rufend kamen er und Ishaq angelaufen.

»Richard!« Victor flog die Stufen hinauf. »Richard!«

Richard wurde von Cara unter dem einen und Kamil unter seinem anderen Arm gestützt. Er hatte nicht die Kraft zurückzurufen, also wartete er einfach ab, bis die beiden von ihrem Gerenne keuchenden Männer nahe genug waren.

»Wir stehen kurz vor dem Sieg, Richard!«, rief Victor auf die Hügel deutend. »All die Beamten sind erledigt, und wir…«

Der Schmied verstummte, als sein Blick auf Kahlan fiel. Auch Ishaq starrte sie an, dann riss er sich seine rote Mütze vom Kopf.

Victors Mund arbeitete einen Augenblick, bevor ihm die Worte schließlich mühsam über die Lippen kamen. Mit seiner sonst so ausdrucksstarken Hand deutete er schlicht auf sie, so als könnte sie unmöglich aus Fleisch und Blut sein.

»Ihr…«, sagte er an Kahlan gewandt, »Ihr seid Richards wahre Liebe.«

Kahlan lächelte. »Woher wisst Ihr das?«

»Ich habe die Statue gesehen.«

Richard bemerkte im Licht der morgendlichen Dämmerung, wie sie errötete.

»Sie hat nicht genau so ausgesehen wie ich«, protestierte sie.

»Nicht äußerlich, aber ihrem … Charakter nach. Ihr gleicht ihr vom Wesen her.«

Kahlan lächelte, seine Worte schmeichelten ihr.

»Victor, Ishaq, das ist Kahlan, meine Gemahlin.«

Die beiden Männer blinzelten sprachlos und wandten sich wie ein Mann herum zu Nicci.

»Wie ihr wisst«, erklärte Nicci, »bin ich kein besonders guter Mensch. Ich bin eine Hexenmeisterin und habe meine Kraft dazu missbraucht, Richard zu zwingen, mich hierher zu begleiten. Zusammen mit vielen anderen Menschen hat Richard mir die Würde des Lebens vor Augen geführt.«

»Dann seid Ihr es gewesen, die ihm das Leben gerettet hat?«, fragte Victor.

»Kamil erzählte uns, du seist verwundet, Richard«, erläuterte Ishaq, »und dass eine Hexenmeisterin im Begriff sei, dich zu heilen.«

»Nicci hat mich geheilt«, bestätigte Richard.

Victor gestikulierte ausladend – endlich. »Nun, ich schätze, es muss irgendetwas zu bedeuten haben, dass sie Richard Cypher gerettet hat.«

»Richard Rahl«, verbesserte Richard.

Victors volltönendes Lachen drang polternd tief aus seinem Innern. »Ja, richtig, an diesem Tag sind wir alle Richard Rahl.«

Nicci beugte sich vor. »Dies ist tatsächlich Richard Rahl, Mr. Cascella.«

»Lord Rahl«, verbesserte Cara übellaunig. »Erweist dem Sucher der Wahrheit, dem Herrscher über das D’Haranische Reich, dem Kriegszauberer und dem Gemahl der Mutter Konfessor höchstpersönlich die ihm gebührende Ehre.« Cara hob ihre Hand zu einer eleganten, königlichen Geste der Präsentation. »Lord Rahl.«

Richard zuckte mit den Achseln. Er hob das blinkende, mit Silberdraht umwickelte Heft des Schwertes der Wahrheit kurz an und zeigte ihnen das in Gold gehaltene Wort WAHRHEIT, bevor er es in seine Scheide zurückfallen ließ.

»Was für eine prachtvolle Waffe!«, entfuhr es Kamil.

Abermals blinzelten Victor und Ishaq fassungslos, dann ließen sie sich auf ein Knie herunter und verneigten tief ihren Kopf.

Richard verdrehte die Augen. »Werdet ihr zwei wohl sofort damit aufhören!« Er schickte einen finsteren Blick in Caras Richtung.

Victor spähte vorsichtig hoch. »Aber davon wussten wir ja gar nichts. Tut mir Leid. Ihr seid nicht wütend, weil ich mich über Euch lustig gemacht habe?«

»Victor, ich bin es, Richard. Wie oft haben wir zusammen Lardo gegessen?«

»Lardo?«, unterbrach Kahlan. »Ihr wisst, wie man Lardo herstellt, Victor?«

Victor erhob sich, und als er sie anschaute, wurde das Grinsen in seinem Gesicht noch breiter. »Ihr habt von Lardo gehört?«

»Aber ja. Die Männer, die damals kamen, um den weißen Marmor im Palast der Konfessoren zu bearbeiten, aßen gewöhnlich Lardo, den sie eigenhändig in großen Marmorbottichen hergestellt hatten. Als ich noch klein war, habe ich ihnen oft Gesellschaft geleistet und mit ihnen gegessen. Gewöhnlich behaupteten sie dann, ich würde eines Tages, wenn ich erwachsen sei, das Kleid der Mutter Konfessor tragen, weil ich ihr Lardo äße und davon groß und stark werden würde.«

Victor deutete sich mit seinem mächtigen Daumen auf die Brust. »Ich stelle Lardo auch in Marmorbottichen her.«

»Lasst Ihr ihn auch ein Jahr lang reifen?«, erkundigte sich Kahlan. »Richtigen Lardo muss man mindestens ein Jahr lang reifen lassen.«

»Aber ja, ein Jahr! Ich mache nur richtigen Lardo.«

Kahlan bedachte ihn mit ihrem bezauberndsten grünäugigen Lächeln. »Irgendwann würde ich gerne einmal davon probieren.«

Victor legte Kahlan seinen muskulösen Arm um die Schultern. »Kommt mit, Richards Gemahlin, ich werde Euch von meinem Lardo kosten lassen.«

Cara, einen finsteren Ausdruck im Gesicht, legte dem Schmied eine Hand auf die Brust, um ihn aufzuhalten, dann hob sie seinen Arm von Kahlans Schultern.

»Niemand außer dem Lord Rahl berührt die Mutter Konfessor.«

Victor warf ihr einen seltsamen Blick zu. »Habt Ihr jemals Lardo gekostet?«

»Nein.«

Daraufhin versetzte Victor ihr einen Schlag auf den Rücken und lachte. »Dann kommt, ich werde Euch auch ein Stück geben. Ihr werdet sehen – wer mit mir Lardo isst, der ist auf Lebenszeit mein Freund.«

Kahlan nahm Kamils Platz unter Richards einem Arm ein, Victor unter dem anderen, dann begaben sie sich quer über das soeben befreite Palastgelände hinauf zur Werkstatt des Schmieds, um ein Stück Lardo zu probieren.

71

Verna zog die Kerze heran. Einen Augenblick lang wärmte sie sich die Hände über ihr, dann legte sie das Reisebuch auf den Tisch. Die Geräusche des Armeelagers draußen vor ihrem kleinen Zelt waren ihr mittlerweile so vertraut, dass sie sie kaum noch wahrnahm.

Es war eine kalte d’Haranische Winternacht, aber wenigstens waren sie und all die Menschen, denen sie geholfen hatten, jenseits des Gebirges in Sicherheit. Verna hatte Verständnis für ihre stille Besorgnis: Dieses D’Hara war ein unbekanntes und rätselhaftes Land, ein Land, das einst nichts als eine Quelle von Albträumen war. Zumindest vorübergehend waren sie in Sicherheit. In der Ferne hallte das langgezogene, wehmütige Geheul der Wölfe durch das frostkalte Gebirge, zurückgeworfen von dem mondbeschienenen Schnee, der die scheinbar endlosen, einsamen und gewaltigen Hänge bedeckte.

Der Mond stand in der richtigen Phase, selbst wenn es der Mond in einem neuen Land war, einem fremden und unbekannten Land. Monatelang hatte Verna immer wieder nachgesehen, doch nie war eine Nachricht da gewesen. Im Grunde erwartete sie auch keine mehr, schließlich hatte Kahlan Anns Reisebuch, das Gegenstück, ins Feuer geworfen. Aber trotzdem war es ein Reisebuch, ein uralter magischer Gegenstand, und Ann war eine Frau, die sich zu behelfen wusste.

Ohne sich wirklich Hoffnungen zu machen, klappte Verna das kleine Buch auf.

Dort, gleich auf der ersten Seite, stand eine Nachricht.

Ihr Text lautete schlicht: Verna, ich warte, falls du da bist.

Verna zog den Stift aus dem Buchrücken und begann sofort zu schreiben. Prälatin! Ihr konntet das beschädigte Reisebuch reparieren? Das ist wunderbar. Wo seid Ihr? Habt Ihr Nathan gefunden?