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Die Männer blinzelten verständnislos. Commander Kardeefs Gesicht wurde rot vor Wut. »Das reicht! Diesmal habt Ihr den Bogen endgültig überspannt!« Er wirbelte zu seinen Soldaten herum – der ganze Platz war voll von ihnen, zweitausend Mann. Mit dem Daumen deutete er über seine Schulter auf Nicci. »Schnappt Euch diese verrückte Hexe!«

Ein halbes Dutzend Männer, die ihr am nächsten standen, zogen die Waffen und stürzten sich auf sie. Wie alle Fußtruppen der Imperialen Ordnung waren sie groß, kräftig und schnell. Und außerdem erfahren.

Nicci streckte dem Nächsten ihre Faust entgegen, als dieser seine Peitsche hob. Gedankenschnell verbanden sich, als sie einen gebündelten Strahl ihrer Kraft entfesselte, additive und subtraktive Magie zu einer tödlichen Mixtur. Er erzeugte eine Explosion aus Licht, so heiß und grell, dass das Licht der Sonne für einen Augenblick fahl und kalt dagegen wirkte.

Die Explosion sprengte ein melonengroßes Loch mitten in die Brust des Soldaten. Einen Augenblick lang, bevor der innere Druck die Organe zwang, die plötzliche Leere auszufüllen, konnte sie durch die klaffende Öffnung in seiner Brust Soldaten erkennen.

Das Nachbild des Aufloderns hielt sich noch eine Weile als Lichtblitz auf ihrer Netzhaut. Der beißende Gestank versengter Luft stach ihr in die Augen. Der krachende Donner ihrer Kraft rollte über die umliegenden Weizenfelder.

Noch bevor der Soldat auf den Boden schlug, entfesselte Nicci ihre Kraft gegen drei weitere Angreifer, riss einem von ihnen die gesamte Schulter fort, mit einem wuchtigen Schlag, der ihn wie eine schauderhafte Fontäne herumwirbelte, während das schlaffe Glied in die Menge geschleudert wurde. Ein dritter Soldat wurde fast entzwei gerissen. Tief in ihrer Brust spürte sie die Erschütterung des nächsten Blitzes, als der Kopf des vierten Soldaten in einem gleißenden Lichtblitz zu einer Wolke aus feinem roten Sprühregen und Knochensplittern zerplatzte.

Ihr warnender Blick begegnete den Augen zweier Soldaten mit Messern in den Fäusten, die Knöchel weiß um deren Heft geschlossen. Die beiden zögerten. Zahlreiche andere traten einen Schritt zurück, während die vier Donnerschläge, die für sie beinahe zu einem einzigen, ohrenbetäubenden Knall verschmolzen, noch immer von den Häuserwänden widerhallten.

»So«, sagte sie mit leiser, ruhiger und gefasster Stimme, deren schiere Sanftheit bereits den tödlichen Ernst ihrer Drohung verriet, »falls ihr Männer meinen Befehlen nicht Folge leistet und Commander Kardeef ergreift, werde ich ihn mir selber schnappen. Aber selbstverständlich erst, nachdem ich euch bis zum letzten Mann getötet habe.«

Das einzige Geräusch war das Heulen des Windes zwischen den Gebäuden.

»Tut, was ich sage, oder sterbt. Ich warte nicht.«

Die großen, kräftigen Kerle kannten sie. Sie fällten ihren Entschluss in jenem winzigen Augenblick, den sie ihnen, wie sie ganz genau wussten, bestenfalls gewähren würde, und stürzten sich auf den Kommandanten, um ihn zu ergreifen. Es gelang ihm noch, sein Schwert zu ziehen, denn Kadar Kardeef war die offene Feldschlacht durchaus vertraut. Befehle brüllend schlug er sie zurück, und mehr als ein Soldat stürzte in dem Handgemenge tot zu Boden, andere schrien auf, als sie verwundet wurden. Schließlich bekamen einige Soldaten den tödlichen Schwertarm von hinten zu fassen. Immer mehr Männer warfen sich auf den Kommandanten, bis sie ihn endlich entwaffnet, zu Boden gerungen und überwältigt hatten.

»Was glaubt Ihr eigentlich, was Ihr tut?«, brüllte Kadar Kardeef sie an, als die Männer ihn auf die Beine rissen.

Nicci trat näher heran, während die Soldaten ihm die Arme auf den Rücken drehten. Sie blickte in seine wutentbrannten Augen.

»Wieso, Commander, ich befolge lediglich Eure Befehle.«

»Was redet Ihr da?«

Sie setzte ein freudloses Lächeln auf, wohl wissend, dass ihn dies zusätzlich in Rage bringen würde.

Einer der Soldaten blickte über seine Schulter hinter sich. »Was soll mit ihm geschehen?«

»Tut ihm nicht weh – ich möchte, dass er bei vollem Bewusstsein ist. Zieht ihn aus und bindet ihn an die Stange.«

»An die Stange? An welche Stange?«

»An die Stange, an der die Schweine hingen, die ihr Soldaten vorhin verspeist habt.«

Auf ein Fingerschnippen von Nicci hin begannen sie, dem Kommandanten die Kleider herunterzureißen. Ungerührt verfolgte sie, wie er schließlich ganz entkleidet wurde. Seine Ausrüstung und die kostbaren Waffen wurden zu Beute und verschwanden rasch in den Händen von Soldaten, die unter seinem Kommando gestanden hatten. Vor Anstrengung stöhnend bemühten sie sich, den sich wehrenden, nackten und behaarten Kommandanten an die Stange hinter seinem Rücken zu fesseln.

Nicci wandte sich an die verblüffte Menschenmenge. »Commander Kardeef möchte, dass ihr wisst, wie skrupellos wir sein können. Ich werde diesem Befehl Folge leisten und es euch demonstrieren.« Wieder an die Soldaten gewandt, sagte sie: »Hängt ihn übers Feuer und röstet ihn wie ein Schwein.«

Die Soldaten schleppten den sich heftig wehrenden, vor Wut rasenden Kadar Kardeef, den Helden des Feldzuges ›Kleine Bresche‹, zur Feuergrube. Sie wussten, dass Jagang sie durch ihre Augen beobachtete, und hatten allen Grund darauf zu vertrauen, dass der Kaiser ihnen Halt gebieten würde, sollte er dies wünschen. Schließlich war er ein Traumwandler, außerdem hatten sie gesehen, wie er sie und die anderen Schwestern gezwungen hatte, sich seinen Wünschen zu fügen, so entwürdigend diese Wünsche auch sein mochten.

Sie konnten nicht wissen, dass Jagang just in diesem Augenblick keinen Zugang zu ihrem Verstand hatte.

Die hölzernen Enden der Stange fielen klappernd in die Halterung der steinernen Stützen zu beiden Seiten der Feuergrube. Die Stange federte unter dem Gewicht ihrer Last. Schließlich kam die Last zur Ruhe, und Kadar Kardeef blieb mit dem Gesicht nach unten hängen. Er hatte praktisch keine andere Wahl, als in die glühenden Kohlen unter ihm zu starren.

Obwohl das Feuer heruntergebrannt war, dauerte es nicht lange, bis die Hitze der zögernden, niedrigen Flammen ihn in Bedrängnis zu bringen begann. Unter den Augen der in stummem Entsetzen zusehenden Menschen wand sich der Kommandant, kreischte Befehle, verlangte, seine Soldaten sollten ihn herunternehmen, und drohte sie zu bestrafen, sollten sie damit zögern. Sein Ausfall ebbte ab, als er begann, seine immer größer werdende Angst schwer atmend unter Kontrolle zu bekommen.

Die Augen der Stadtbewohner beobachtend, deutete Nicci hinter sich.

»Hier zeigt sich, wie skrupellos die Imperiale Ordnung ist: Sie ist bereit, einen großen Kommandanten, einen Kriegsheld, einen landauf, landab bekannten und verehrten Mann, einen Mann, der ihr gute Dienste geleistet hat, langsam und qualvoll zu verbrennen, nur um euch, den Bewohnern einer kleinen, unbedeutenden Ortschaft, zu beweisen, dass sie nicht zögert, einen Menschen umzubringen. Unser Ziel ist das Wohl aller, und dieses Ziel wird bei uns höher eingeschätzt als das Leben eines einzelnen Mannes. Dies ist der Beweis. Habt ihr Leute jetzt noch immer Grund zu glauben, wir würden davor zurückschrecken, einem oder allen von euch Schaden zuzufügen, falls ihr nichts zum allgemeinen Wohl beitragt?«

Nahezu ein jeder verneinte kopfschüttelnd, während alle gemeinsam murmelten: »Nein, Herrin.«

Hinter ihr wand sich Commander Kardeef vor Schmerzen. Er brüllte seine Männer abermals an und befahl ihnen, ihn herunterzunehmen und die ›verrückte Hexe‹ umzubringen. Keiner der Soldaten machte Anstalten, seinen Befehlen nachzukommen. Wenn man sie ansah, konnte man meinen, dass sie ihn nicht einmal hörten. Mitleid war diesen Männern unbekannt, es gab nur Leben oder Tod. Sie hatten sich für das Leben entschieden; diese Entscheidung machte seinen Tod erforderlich.

Nicci beobachtete die Augen der Menschen, während sich die Minuten dahinschleppten. Der Kommandant hing ein gutes Stück oberhalb des heruntergebrannten Feuers, doch das Bett aus glühend heißen Kohlen war sehr groß. Sie wusste, dass der gelegentlich aufkommende Wind die erbarmungslose Hitze zur Seite lenkte und ihm damit für kurze Zeit eine Atempause verschaffte. Es würde seine Qualen nur verlängern; die Hitze war unerbittlich. Dennoch würde es einige Zeit dauern. Sie verzichtete darauf, mehr Feuerholz zu verlangen. Sie hatte es nicht eilig.