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Der Tag war im Begriff, sich auf bedrückende Weise zu verdüstern, nicht nur, weil es langsam Abend wurde, sondern auch wegen der grauen, schwerfälligen Wolken, die sich fast am gesamten Himmel übereinander türmten. Der in kleinen Böen auffrischende Wind versetzte Zelte und Kleidungsstücke in heftiges Flattern, ließ die Flammen der Lagerfeuer flackern und wehte Rauch mal in diese, mal in jene Richtung. Die Windstöße bewirkten, dass sich einem der faulige Gestank menschlichen und tierischen Kots auf die Zunge legte und jeden angenehmen, wenn auch zarten Essensduft erstickte, der in den Himmel aufzusteigen versuchte. Je länger die Armee an einem Ort verweilte, desto schlimmer wurde es.

Weiter vorne erhoben sich die eleganten Gebäude des Anwesens über dem trostlosen Unrat zu ihren Fundamenten; dort lauerte Jagang. Da er Zugang zu Schwester Georgias, Rochelles und Aubreys Verstand hatte, würde er wissen, dass Nicci zurück war, und sie erwarten.

Doch der Kaiser musste sich gedulden; sie hatte vorher noch etwas anderes zu erledigen. Da Jagang nicht in ihren Verstand eindringen konnte, stand es ihr frei, dem nachzugehen.

In einiger Entfernung erspähte Nicci, was sie suchte; weil sie die kleineren Zelte überragten, konnte sie sie gerade eben erkennen. Die Straße verlassend, schlängelte sie sich durch das dichte, wirre Gedränge der Soldaten und konnte schon von weitem die charakteristischen Geräusche ausmachen, die von dieser speziellen Gruppe von Zelten herüberwehten – sie hörte es über dem Gelächter und Gesinge, dem Knacken der Lagerfeuer, dem Brutzeln des Fleisches in den Kesseln, dem kratzenden Scharren von Schleifstein auf Metall, dem Klirren von Hämmern auf Stahl und dem Rhythmus der Sägen.

Ausgelassen johlende Soldaten packten sie an Armen und Beinen oder versuchten, als sie, sich einen Weg durch das Chaos bahnend, vorüberkam, ihr Kleid zu fassen zu bekommen. Die rüpelhaften Soldaten lohnten kaum einen Gedanken; sie riss sich einfach los und überhörte ihre spöttischen Liebesbeteuerungen, während sie sich durch das Gedränge schob. Packte ein stämmiger Soldat ihr Handgelenk mit kräftigem Griff und riss sie schwungvoll herum, blieb sie gerade lange genug stehen, um ihre Kraft zu entfesseln und das heftig schlagende Herz in seiner Brust zum Platzen zu bringen. Die anderen Soldaten lachten, wenn sie ihn dumpf aufschlagend zu Boden sinken sahen, denn sie wussten noch nichts von seinem Tode, trotzdem versuchte keiner von ihnen, ihm die Beute, auf die er es abgesehen hatte, streitig zu machen. Sie hörte, wie die getuschelten Worte ›Gespielin des Todes‹ unter den Männern die Runde machten.

Schließlich fand sie ihren Weg durch diese Spießrutengasse. Soldaten würfelten, aßen Bohnen oder lagen schnarchend auf ihrem Bettzeug neben den Zelten, in denen Gefangene unter Folterqualen schrien. Zwei Soldaten zerrten eine ihre eigenen Eingeweide hinter sich herschleifende Leiche aus einem großen Zelt heraus und wuchteten den erschlafften Körper zu einem wirren Knäuel anderer auf einen Karren.

Mit dem Finger schnippend winkte Nicci einen unrasierten Soldaten zu sich, der sich von einem anderen Zelt her näherte. »Lasst mich einen Blick auf die Liste werfen, Captain.« Am blauen Leinenumschlag des Rapportbuchs, das er bei sich trug, sah sie, dass er der Dienst habende Offizier war.

Er musterte sie einen Moment mit finsterer Miene, doch als sein Blick an ihrem schwarzen Kleid hinabwanderte, ging ein Ausdruck des Wiedererkennens über sein Gesicht. Er reichte ihr das speckige, abgegriffene Buch, das in der Mitte einen tiefen Knick aufwies, so als hätte sich aus Versehen jemand darauf gesetzt. Die herausgefallenen Seiten waren wieder hineingesteckt worden, passten aber nirgendwo richtig, so dass da und dort die Kanten überstanden, allmählich ausfransten und ebenso speckig wurden wie der Einband.

»Viel zu berichten gibt es nicht, Herrin, aber richtet Seiner Exzellenz bitte aus, dass wir so ziemlich jeden bekannten Trick versucht haben, sie aber noch immer nicht redet.«

Nicci klappte das Buch auf und begann, die Listen mit den neuesten Namen, und was man über sie wusste, zu überfliegen.

»Sie? Von wem redet Ihr, Captain?«, murmelte sie beim Lesen.

»Nun, von dieser Mord-Sith.«

Nicci hob den Blick und sah den Mann an. »Die Mord-Sith, natürlich. Wo ist sie?«

Er deutete auf ein etwas außerhalb des Durcheinanders stehendes Zelt. »Ich weiß, Seine Exzellenz sagte, er erwarte nicht, dass uns eine Hexe von ihren geheimnisvollen Fähigkeiten Informationen über Lord Rahl preisgibt, trotzdem hatte ich gehofft, ihn mit ein paar guten Neuigkeiten überraschen zu können.« Er hakte seine Daumen hinter den Gürtel und gab einen enttäuschten Seufzer von sich. »Dieses Glück ist mir verwehrt geblieben.«

Nicci musterte das Zelt einen Augenblick lang kritisch, denn Schreie waren nicht zu hören. Sie hatte noch nie eine von diesen Frauen, diesen Mord-Sith, zu Gesicht bekommen, wusste aber ein wenig über sie, zum Beispiel, dass es ein tödlicher Fehler war, ihnen mit Magie beikommen zu wollen.

Sie las weiter in den Eintragungen des Rapportbuchs. Nichts darin war für sie sonderlich von Interesse. Die meisten Leute stammten aus der Gegend; es handelte sich lediglich um einen ausgesuchten Querschnitt, den man zusammengetrieben hatte, um herauszufinden, was diese Leute möglicherweise wussten. Sie würden ihr die Information, auf die sie es abgesehen hatte, nicht liefern können.

Nicci tippte auf eine Zeile gegen Ende der Eintragungen. Dort stand ›Bote‹.

»Wo finde ich diesen hier?«

Der Captain deutete mit seinem Kopf auf ein Zelt hinter seinem Rücken. »Ich habe einen meiner fähigsten Inquisitoren auf ihn angesetzt. Als ich das letzte Mal nachsah, hatte er immer noch nichts preisgegeben – aber das war heute Morgen.«

Es war einen vollen Tag her, dass er nachgesehen hatte. Ein voller Tag konnte eine Ewigkeit bedeuten, wenn man gefoltert wurde. Wie alle übrigen für das Befragen von Gefangenen benutzten Zelte, überragte das des Boten die umstehenden Schlafzelte, die gerade groß genug waren, um sich hineinzulegen. Nicci schob dem Offizier das Buch gegen seinen feisten Wams.

»Danke. Das wäre dann alles.«

»Ihr werdet Seiner Exzellenz Bericht erstatten?« Auf seine Frage reagierte Nicci mit einem geistesabwesenden Nicken, sie war mit den Gedanken woanders. »Werdet Ihr ihm erklären, dass man aus dieser Bande so gut wie nichts herausbekommen kann?«

Niemand war erpicht darauf, vor Jagang zu stehen und die eigene Unfähigkeit bei der Ausführung eines Befehls gestehen zu müssen, selbst wenn es nichts auszuführen gab. Jagang schätzte Ausreden nicht. Nicci nickte, während sie sich bereits entfernte und auf das Zelt des Boten zuhielt. »Ich werde ihn in Kürze sehen und ihm Euren Bericht geben, Captain.«

Kaum hatte sie den Zelteingang zurückgeschlagen und war eingetreten, wurde ihr bewusst, dass sie zu spät gekommen war. Die blutverschmierten Überreste des Boten lagen auf einem schmalen, mit den glänzenden Werkzeugen dieses Gewerbes bestückten Holztisch. Seine Arme hingen an den Seiten schlaff herab, aus ihnen tropfte warmes Blut.

Nicci sah, dass der Inquisitor ein gefaltetes Stück Papier in Händen hielt. »Was habt Ihr da?«

Er hielt den Zettel in die Höhe und ließ sie ein kurzes Grinsen sehen. »Etwas, das Seine Exzellenz überaus erfreuen wird, sobald er davon erfährt. Eine Karte.«

»Eine Karte wovon?«

»Von der Gegend, wo dieser Bursche hier sich rumgetrieben hat. Ich habe sie nach dem gezeichnet, was er alles so zum Besten gab.« Er lachte über seinen eigenen Scherz, sie nicht.

»Was Ihr nicht sagt«, erwiderte Nicci. Das Grinsen des Mannes war es, das ihre Aufmerksamkeit fesselte. Ein Mann wie er grinste nur, wenn er etwas in Händen hielt, auf das er es abgesehen hatte, etwas, das ihm die Gewogenheit seiner Vorgesetzten eintragen würde. »Und wo hat sich dieser Mann ›rumgetrieben‹?«