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»Bei seinem Anführer.«

Er wedelte mit dem Stück Papier, als sei es eine Schatzkarte. Des Spiels müde, riss Nicci ihm die Beute aus der Hand. Sie faltete das zerknitterte gelbe Blatt Papier auseinander und sah, dass es sich tatsächlich um eine Karte handelte, auf der Flüsse, Küstenverlauf und Berge gewissenhaft eingezeichnet waren. Sogar Gebirgspässe waren vermerkt.

Nicci sah sofort, dass die Karte echt war. Während ihrer Zeit im Palast der Propheten war die Neue Welt ein ferner und geheimnisumwitterter Ort gewesen, in den sich, von ein paar Schwestern abgesehen, nur selten ein Mensch verirrte. Jede Schwester, die sich dorthin wagte, machte sich gewissenhaft Notizen, die im Palast auf Karten übertragen wurden. Im Laufe ihrer Studien lernten alle Novizinnen diese Karten und zahlreiche andere geheime Dinge auswendig. Obwohl sie damals zu keinem Zeitpunkt damit gerechnet hatte, in die Neue Welt zu reisen, war sie mit den örtlichen Gegebenheiten dort bestens vertraut. Nicci unterzog das Stück Papier in ihren Händen einer genauen Prüfung, sah sich genau die geographischen Verhältnisse an und legte, was neu daran war, über die in ihrem Gedächtnis bereits vorhandene Karte.

»Was hat dieser Mann gestanden, bevor er starb?« Sie sah auf. »Seine Exzellenz erwartet meinen Bericht, ich bin gerade auf dem Weg zu ihm.« Sie schnippte ungeduldig mit den Fingern. »Lasst hören, und zwar alles.«

Der Mann kratzte sich am Bart. Seine Fingernägel waren verkrustet von getrocknetem Blut.

»Ihr werdet es ihm doch berichten, oder? Ihr werdet Seiner Exzellenz ausrichten, dass es Sergeant Wetzel war, der diese Information aus dem Boten herausbekommen hat?«

»Selbstverständlich«, versicherte ihm Nicci. »Das Verdienst dafür gebührt allein Euch. Für diese Art der Anerkennung habe ich keinerlei Verwendung.« Sie tippte gegen den goldenen Ring in ihrer Unterlippe. »Der Kaiser weilt zu jeder Tages- und Nachtzeit in meinem Verstand. Zweifellos sieht er jetzt, in diesem Moment, mit meinen Augen, dass Ihr es wart, der diese Information beschafft hat, und nicht ich. Also, was hat dieser Mann gestanden?«

Sergeant Wetzel kratzte sich abermals am Bart, offensichtlich versuchte er zu entscheiden, ob er ihr, was das Verdienst betraf, trauen konnte, oder ob er auf Nummer sicher gehen und Jagang die Information persönlich überbringen sollte. Innerhalb der Imperialen Ordnung war Vertrauen rar, und es gab guten Grund, jedem zu misstrauen. In seinem Bart blieben Schuppen getrockneten Blutes hängen, als er sich dort kratzte.

Nicci blickte unverwandt in seine rot umrandeten Augen. Er stank nach Schnaps. »Wenn Ihr mir nicht vollständig Bericht erstattet, Sergeant Wetzel, und zwar auf der Stelle, werde ich Euch als Nächsten auf diesen Tisch dort legen und mir Euren Bericht zwischen Euren Schreien geben lassen. Und wenn ich mit Euch fertig bin, wird man Euch zusammen mit den anderen Leichen auf den Karren werfen.«

Er senkte zweimal rasch den Kopf, zum Zeichen, dass er sich geschlagen gab. »Selbstverständlich. Ich wollte doch nur sichergehen, dass Seine Exzellenz von meinem Erfolg erfährt.« Auf Niccis Nicken fuhr er fort: »Er war nichts weiter als ein Bote. Ein kleiner Trupp von sechs Mann befand sich, tief hinter den feindlichen Linien, auf Erkundungsgang. Sie umgingen die gesamten Streitkräfte des Feindes weit oben im Norden und hatten eine dieser Frauen mit der Gabe bei sich, die ihnen helfen sollte, Abstand zu wahren, um nicht entdeckt zu werden. Irgendwo im Nordwesten der Streitkräfte stießen sie zufällig auf diesen Mann. Sie brachten ihn zu mir, damit ich ihn verhöre. Ich fand heraus, dass er zu einer Gruppe von regulären Boten gehört, die Lord Rahl in regelmäßigem Austausch Bericht erstatten.«

Nicci deutete mit einer ungeduldigen Handbewegung auf das Blatt Papier. »Aber das hier unten scheinen die feindlichen Truppen zu sein. Wollt Ihr etwa behaupten, Rich … Lord Rahl befindet sich nicht bei seinen Soldaten? Bei seiner Armee?«

»Genau. Der Bote wusste auch nicht, warum. Sein Auftrag bestand ausschließlich darin, die Truppenpositionen und die üblichen Informationen über ihren Zustand seinem Vorgesetzten zu überbringen.« Er tippte auf die Karte in ihrer Hand. »Dabei befindet sich Lord Rahls Versteck – und das seiner Gemahlin – genau hier.«

Nicci hob den Kopf, ihr klappte der Unterkiefer herunter. »Seine Gemahlin.«

Sergeant Wetzel nickte. »Der Mann behauptete, Lord Rahl habe eine Frau geheiratet, die als Mutter Konfessor bekannt ist. Sie ist schwer verletzt, und dort oben in den Bergen verstecken sie sich.«

Jetzt erinnerte sich Nicci wieder, was Richard für sie empfunden hatte und auch wie sie hieß: Kahlan. Dass Richard verheiratet war, ließ alles in einem neuen Licht erscheinen. Das besaß Sprengkraft, die Niccis Pläne vereiteln konnte. Oder aber…

»Sonst noch etwas, Sergeant?«

»Der Mann sagte, Lord Rahl und seine Gemahlin würden von einer dieser Frauen, dieser Mord-Sith, bewacht.«

»Was tun sie dort oben? Warum sind Lord Rahl und die Mutter Konfessor nicht bei ihrer Armee? Oder unten in Aydindril? Oder, was das anbelangt, in D’Hara?«

Er schüttelte den Kopf. »Dieser Bote war nur ein einfacher Soldat, der schnell reiten konnte und sich darauf verstand, die örtlichen Gegebenheiten zu deuten. Er wusste nicht mehr, als dass sie sich dort oben aufhalten und vollkommen auf sich gestellt sind.«

Diese Entwicklung verwirrte Nicci.

»Sonst noch etwas? Irgendwas?« Er schüttelte den Kopf. Sie legte dem Mann eine Hand auf den Rücken, zwischen die Schulterblätter. »Danke, Sergeant Wetzel. Ihr wart eine größere Hilfe, als Ihr jemals wissen werdet.«

Als er daraufhin zu grinsen begann, entfesselte Nicci einen Strom ihrer Kraft, der durch sein Rückgrat nach oben schoss und das Hirn in seinem Schädel augenblicklich zu Asche verglühen ließ. Krachend schlug er auf den harten Boden, während die Luft mit einem Stöhnen aus seinen Lungen entwich.

Nicci hielt die Karte, die sie sich bereits eingeprägt hatte, in die Höhe und setzte sie mit ihrer Gabe in Brand. Das Papier knisterte und verfärbte sich schwarz, als das Feuer über all die sorgfältig eingezeichneten Flüsse, Städte und Gebirge vorrückte, bis die heiße Glut den blutigen Fingerabdruck über einer Stelle im Gebirge einzukreisen schien. Als das Stück Papier in einer Wolke aus Rauch endgültig vernichtet wurde, ließ sie es aus ihren Händen aufsteigen. Die Asche rieselte herab wie schwarzer Schnee und legte sich auf den Leichnam zu ihren Füßen.

Vor dem Zelt, in dem die Mord-Sith gefangen gehalten wurde, prüfte Nicci mit einem aufmerksam über das umliegende Feldlager schweifenden Blick, ob sie beobachtet wurde. Niemand schenkte den Vorgängen in den Folterzelten irgendwelche Beachtung. Sie schlüpfte durch die Zeltöffnung hinein.

Nicci zuckte innerlich zusammen, als sie die ausgestreckt auf dem Holztisch liegende Frau gewahrte. Schließlich zwang sie sich, Luft zu holen.

Ein Soldat, die Hände von der Arbeit rot verschmiert, bedachte Nicci mit einem finsteren Blick. Sie gab ihm gar nicht erst Gelegenheit zu protestieren, sondern kommandierte schlicht: »Berichtet.«

»Aus ihr ist nichts rauszubekommen«, knurrte er.

Nicci nickte, dann legte sie ihre Hand auf den breiten Rücken des Soldaten. Die Hand war ihm unheimlich, daher machte er Anstalten, ihr auszuweichen, jedoch zu spät. Der Mann brach tot zusammen, noch bevor er wusste, dass er in Schwierigkeiten steckte. Hätte sie mehr Zeit gehabt, sie hätte ihn zuvor noch leiden lassen.

Nicci musste sich überwinden, an den Tisch zu treten und in die blauen Augen zu blicken. Der Kopf der Frau zitterte leicht.

»Gebraucht Eure Kraft … und tut mir weh, Hexe.«

Der Anflug eines Lächelns kam über Niccis Lippen. »Ihr würdet bis zum bitteren Ende kämpfen, hab ich Recht?«

»Gebraucht Eure Magie, Hexe.«

»Ich denke, das werde ich nicht tun. Ich weiß nämlich ein wenig über Euch Frauen, müsst Ihr wissen.«