In den blauen Augen blitzte unverhohlene Verachtung auf. »Ihr wisst überhaupt nichts.«
»Aber ja, Richard hat es mir selbst erzählt. Ihr dürftet ihn als Lord Rahl kennen, eine Zeit lang jedoch war er mein Schüler. Ich weiß, dass Frauen wie Ihr die Fähigkeit besitzen, die Kraft derer mit der Gabe einzufangen, wenn diese Kraft gegen Euch eingesetzt wird. Anschließend könnt Ihr sie dann gegen uns richten. Ihr seht also, ich werde auf keinen Fall so unklug sein, meine Kraft gegen Euch zu benutzen.«
Die Frau wandte den Blick ab. »Dann foltert mich von mir aus, falls Ihr deshalb hergekommen seid. Ihr werdet nichts aus mir herausbekommen.«
»Ich bin nicht gekommen, um Euch zu foltern«, versicherte ihr Nicci.
»Was wollt Ihr dann?«
»Erlaubt, dass ich mich vorstelle«, erwiderte Nicci. »Ich bin die Herrin des Todes.«
Die blauen Augen der Frau wandten sich abermals herum und verrieten zum ersten Mal einen Funken Hoffnung. »Gut, dann tötet mich.«
»Erst müsst Ihr mir ein paar Einzelheiten anvertrauen.«
»Ich werde … Euch … gar nichts erzählen.« Das Sprechen fiel ihr überaus schwer. »Nicht das Geringste. Tötet mich.«
Nicci nahm eine blutverschmierte Klinge vom Tisch und hielt sie ihr vor die blauen Augen. »Ich denke doch.«
Die Frau lächelte. »Nur zu. Das wird meinen Tod nur beschleunigen. Ich weiß, wie viel ein Mensch aushalten kann. Ich habe es nicht mehr weit bis in die Welt der Seelen. Aber was immer Ihr auch tut, ich werde vor meinem Tod nicht reden.«
»Ihr missversteht. Ich verlange nicht, dass Ihr Lord Rahl verratet. Habt Ihr nicht gehört, wie Euer Inquisitor zu Boden ging? Wenn Ihr Euren Kopf ein wenig mehr zur Seite dreht, könnt Ihr vielleicht sehen, dass der Mann, der Euch dies angetan hat, nicht mehr lebt. Ich verlange nicht, dass Ihr mir irgendwelche Geheimnisse anvertraut.«
So gut dies eben möglich war, warf die Frau einen flüchtigen Blick auf die am Boden liegende Leiche. Ihre Brauen zogen sich kurz zusammen. »Was wollt Ihr damit sagen?«
Nicci fiel auf, dass sie nicht darum bat, befreit zu werden; sie wusste längst, dass für sie keine Hoffnung mehr bestand. Das Einzige, worauf sie jetzt noch hoffen konnte, war, dass Nicci ihrer Qual ein Ende machte.
»Richard war mein Schüler. Wie er mir erzählte, war er einst Gefangener der Mord-Sith. Das ist doch wohl kein Geheimnis, oder?«
»Nein.«
»Darüber würde ich gerne mehr wissen. Wie lautet Euer Name?«
Die Frau drehte ihr Gesicht fort.
Nicci legte der Frau einen Finger ans Kinn und bog ihren Kopf zurück. »Ich möchte Euch ein Angebot machen. Ich werde nichts verlangen, was Ihr nicht erzählen dürft. Ich werde nicht verlangen, dass Ihr Lord Rahl verratet – das würde ich auch gar nicht wollen. Diese Dinge sind für mich nicht von Interesse. Wenn Ihr Euch behilflich zeigt« – Nicci hielt die Klinge abermals in die Höhe, damit die Frau sie sehen konnte – »werde ich Euch ein schnelles Ende bereiten. Das verspreche ich. Keine Folter mehr und keine Schmerzen. Nichts als die endgültige und bereitwillige Annahme des Todes.«
Die Lippen der Frau fingen an zu zittern. »Bitte«, wimmerte sie leise, jetzt wieder einen Funken Hoffnung in den Augen. »Bitte … werdet Ihr mich töten?«
»Wie lautet Euer Name?«, wiederholte Nicci ihre Frage.
Meist ließ der Anblick von Gefolterten Nicci völlig kalt, in diesem Fall jedoch fand sie ihn beunruhigend. Um nicht darüber nachdenken zu müssen, was man ihr angetan hatte, vermied sie es, den Blick vom Gesicht der Frau abzuwenden und über den nackten Körper wandern zu lassen. Für Nicci war es unvorstellbar, wie diese Frau es schaffte, nicht zu schreien oder alles auszuplaudern.
»Hania.« Die Frau war an Händen und Knöcheln mit eisernen Schellen an den Tisch gefesselt, so dass sie nicht viel mehr als ihren Kopf bewegen konnte. Sie starrte hoch in Niccis Augen. »Werdet Ihr mich töten … Bitte?«
»Das werde ich, Hania, mein Wort darauf. Schnell und wirkungsvoll – vorausgesetzt Ihr sagt mir, was ich wissen will.«
»Ich kann Euch nichts sagen.« In ihrer Verzweiflung schien Hania kraftlos auf den Tisch zu sacken, überzeugt, dass ihre Folter weitergehen würde. »Und ich werde es auch nicht.«
»Ich möchte lediglich etwas über die Zeit von Richards Gefangenschaft erfahren. Wusstet Ihr, dass er einst Gefangener der Mord-Sith war?«
»Selbstverständlich.«
»Darüber möchte ich etwas wissen.«
»Warum?«
»Weil ich ihn verstehen möchte.«
Hania wälzte ihren Kopf von einer Seite auf die andere. Sie lächelte tatsächlich. »Keine von uns hat Lord Rahl je verstanden. Obwohl er gefoltert wurde, hat er … sich nie dafür gerächt. Wir verstehen ihn nicht.«
»Ich auch nicht, aber das wird sich hoffentlich ändern. Mein Name ist Nicci. Ich möchte, dass Ihr das wisst. Ich bin Nicci, und ich werde Euch hiervon erlösen, Hania. Erzählt mir davon. Bitte. Ich muss es wissen. Kennt Ihr die Frau, die ihn gefangen nahm? Ihren Namen?«
Die Frau überlegte einen Augenblick, bevor sie antwortete, so als wollte sie in ihrem eigenen Verstand erst prüfen, ob diese Information in irgendeiner Weise ein Geheimnis war oder ihm schaden konnte.
»Denna«, antwortete Hania schließlich mit leiser Stimme.
»Denna. Richard tötete sie, um fliehen zu können – so viel hat er mir bereits selbst erzählt. Kanntet Ihr Denna vor ihrem Tod?«
»Ja.«
»Ich verlange doch nicht etwa irgendwelche militärischen Geheimnisse von Euch, oder?«
Hania zögerte. Schließlich schüttelte sie den Kopf.
»Ihr kanntet Denna also. Kanntet ihr damals auch Richard? Als er dort war und sie ihn in ihrer Gewalt hatte? Wusstet Ihr, dass er ihr Gefangener war?«
»Das wussten alle.«
»Und warum?«
»Lord Rahl – der damalige Lord Rahl…«
»Richards Vater?«
»Ja. Es war sein Wunsch, dass Denna ihn abrichtete, um ihn darauf vorzubereiten, ohne Zögern alle Fragen zu beantworten, die Darken Rahl ihm stellte. In dieser Hinsicht war sie die Beste von uns allen.«
»Gut. Und jetzt erzählt mir davon. Alles, was Ihr wisst.«
Hania holte stockend Luft. Es dauerte einen Augenblick, bevor sie weitersprach. »Ich werde ihn nicht verraten. Ich bin erfahren in den Dingen, die man mir antut. Ihr könnt mich nicht täuschen. Ich werde Lord Rahl nicht ans Messer liefern, nur um mir das hier zu ersparen. Ich habe nicht so lange durchgehalten, nur um ihn jetzt noch zu verraten.«
»Ich verspreche Euch, nichts zu fragen, was die Gegenwart – den Krieg – betrifft, oder was ihn an Jagang verraten könnte.«
»Wenn ich Euch nur von damals, als Denna ihn in ihrer Gewalt hatte, und nicht von jetzt, vom Krieg und wo er sich derzeit aufhält und Ähnliches mehr, erzähle, gebt Ihr mir dann Euer Wort, dass Ihr mir ein Ende machen und mich töten werdet?«
»Ihr habt mein Wort, Hania. Ich würde niemals verlangen, dass Ihr Lord Rahl verratet – ich kenne ihn und habe vor ihm viel zu viel Respekt, als das von Euch zu fordern. Ich will ihn nur verstehen; aus ganz persönlichen Gründen. Ich war letzten Winter seine Lehrerin und habe ihn in der Anwendung seiner Gabe unterwiesen. Ich möchte ihn besser kennen lernen; ich muss ihn verstehen. Wenn mir das gelingt, dann kann ich ihm, glaube ich, helfen.«
»Und danach helft Ihr mir?« Mit den Tränen ging ein Hoffnungsschimmer einher. »Danach werdet Ihr mich töten?«
Diese Frau kannte kein anderes Ziel, es war das Letzte, was ihr in diesem Leben noch geblieben war: der Wunsch nach einem raschen Tod und einem Ende der Tortur.
»Sobald Ihr mir alles darüber erzählt habt, werde ich Eurem Leiden ein Ende machen, Hania.«
»Schwört Ihr es bei Eurer Hoffnung auf ein ewiges Leben in der Unterwelt und im Glanz des Lichts des Schöpfers?«
Nicci spürte, wie ein beißend kaltes, schmerzhaftes Frösteln aus den Tiefen ihrer Seele nach oben stieg. Seit ihrem Aufbruch vor nahezu einhundertundsiebzig Jahren hatte sie keinen anderen Wunsch gekannt, als zu helfen, und doch konnte sie dem Schicksal ihres verruchten Wesens nicht entfliehen. Sie war die Herrin des Todes.