»Pah«, spottete sie, »du hast nichts als Unfug im Sinn.«
»Nun ja, ich war…«
»Still jetzt«, sagte Adie. Seinen Arm mit fester Hand umklammernd, deutete sie mit den dürren Fingern ihrer anderen Hand auf die Frau neben sich. »Zedd, dies ist Verna, die Prälatin der Schwestern des Lichts.«
Dem Aussehen nach schien die Frau Ende dreißig, vielleicht Anfang vierzig zu sein; Zedd wusste, dass sie erheblich älter war. Ann, Vernas Vorgängerin, hatte ihm Vernas Alter verraten, und obwohl ihm die genaue Zahl entfallen war, wusste er, dass sie nahe bei einhundertsechzig Jahren lag – jung für eine Schwester des Lichts. Sie hatte natürliche, gewinnende Züge und braunes Haar mit gerade so vielen Locken und Fülle, dass es ihr einen Hauch von Weltklugheit verlieh. Der stechende Blick ihrer braunen Augen schien Flechten von Granit entfernen zu können. Die Falten ihres entschlossenen Gesichtsausdrucks, für immer in ihr Gesicht gegraben, deuteten auf eine Frau hin, deren äußere Schale eng saß wie die eines Käfers und ebenso undurchdringlich war.
Zedd verneigte seinen Kopf. »Prälatin, der Oberste Zauberer Zeddicus Z’ul Zorander, zu Euren Diensten.« Sein Tonfall verriet, dass es nur eine Floskel war.
Dies war die Frau, die Richard in die Alte Welt verschleppt hatte. Auch wenn sie geglaubt hatte, ihm damit das Leben zu retten, in seiner Funktion als Oberster Zauberer betrachtete Zedd eine solche Tat als verabscheuungswürdig. Die Schwestern – Hexenmeisterinnen allesamt – glaubten, einen jungen Mann mit der Gabe zum Zauberer ausbilden zu können. Das war ein Irrtum; in angemessener Form konnte eine solche Aufgabe nur von einem anderen Zauberer bewältigt werden.
Sie reichte ihm ihre Hand mit dem goldenen Sonnenbannerring ihres Amtes. Er beugte sich vor und küsste ihn, weil es, wie er vermutete, wohl so Brauch bei ihnen war. Als er fertig war, zog sie seine Hand heran und erwiderte seinen Kuss.
»Es erfüllt mich mit Demut, jenem Mann zu begegnen, der unseren Richard großgezogen hat. Bestimmt seid Ihr ein ebenso ungewöhnlicher Mensch, wie ich dies zu Beginn unserer Ausbildung bei ihm beobachten konnte.« Sie zwang sich zu einem amüsierten Lachen. »Zu unserem Leidwesen mussten wir feststellen, dass der Versuch, Euren Enkelsohn auszubilden, ein ungeheuer mühevolles Unterfangen war.«
Zedd korrigierte seine Meinung über die Frau ein wenig und begegnete ihr mit größerer Vorsicht. Die Luft im Zelt war stickig und drückend.
»Das liegt daran, dass Ihr alle Ochsen seid, die einem Pferd das Laufen beibringen wollen. Ihr Schwestern solltet Euch an Aufgaben halten, die eher Eurer Natur entsprechen.«
»Ja, sicher, du bist ein so brillanter Mann, Zedd«, spöttelte Adie. »Einfach brillant. Eines schönen Tages nehme ich dir das vielleicht sogar ab.« Ihn am Ärmel zupfend bewog sie ihn, sich von Vernas tiefrotem Gesicht abzuwenden. »Und das ist Warren«, sagte sie.
Zedd neigte seinen Kopf in Warrens Richtung, der Junge fiel jedoch bereits auf die Knie und neigte seinen blonden Schopf.
»Zauberer Zorander! Es ist mir eine große Ehre.« Er schnellte wieder hoch, ergriff Zedds Hand mit beiden Händen und schüttelte sie, bis Zedd glaubte, sein Arm werde an der Schulter ausgerenkt. »Ich bin überaus erfreut, Euch kennen zu lernen. Richard hat mir alles über Euch erzählt. Es ist mir eine große Freude, einem Zauberer von Eurem Rang und Können zu begegnen. Ich wäre glücklich, wenn ich von Euch lernen könnte!«
Je glücklicher er aussah, desto mehr verfinsterte sich Vernas Miene.
»Nun, freut mich auch, dich kennen zu lernen, Junge.« Zedd verschwieg Warren, dass Richard nie von ihm gesprochen hatte. Das war weder aus mangelndem Respekt noch aus Nachlässigkeit geschehen; Richard hatte einfach keine Gelegenheit gehabt, Zedd über zahlreiche wichtige Dinge zu unterrichten. Anhand von Warrens Griff glaubte Zedd zu spüren, dass der junge Mann ein Zauberer von ungewöhnlichen Fähigkeiten war.
Ein Bär von einem Mann mit krausem, rostfarbenem Bart und einer weißen Narbe von der linken Schläfe bis zum Kinn und buschigen Brauen, trat vor. Seine grau-grünen Augen hefteten sich mit grimmiger Eindringlichkeit auf Zedd, dabei grinste er wie ein Soldat auf einem langen Marsch, der soeben ein herrenloses Fass Bier erspäht.
»General Reibisch, Kommandant der d’Haranischen Streitkräfte hier im Süden«, stellte der Mann sich vor und ergriff Zedds Hand, nachdem Warren sie endlich freigegeben hatte und wieder an Vernas Seite getreten war. »Lord Rahls Großvater! Welch großes Glück, Euch hier zu sehen, Sir.« Sein Griff war fest, aber nicht schmerzhaft. Er wurde fester. »Welch überaus großes Glück!«
»Ja, gewiss«, murmelte Zedd. »So unglücklich die Umstände auch sind, General Reibisch.«
»Unglücklich?«
»Nun, macht Euch im Augenblick nichts daraus«, tat Zedd die Frage ab und stellte stattdessen eine andere. »Verratet mir nur eins, General, habt Ihr eigentlich schon damit begonnen, all die Massengräber auszuheben? Oder gedenkt Ihr etwa, ihr wenigen, die man verschonen wird, die Leichen einfach liegen zu lassen?«
»Leichen?«
»Nun ja … gewiss, die Leichen all Eurer Soldaten, die in Kürze sterben werden.«
16
»Ich hoffe doch, Ihr mögt Eier«, verkündete Schwester Philippa lauthals, als sie, einen dampfenden Teller in den Händen, ins Zelt hereingerauscht kam.
Zedd rieb sich die Hände. »Köstlich.«
Alle anderen standen immer noch wie erstarrt und betreten schweigend da. Schwester Philippa schien die offenen Münder überhaupt nicht zu bemerken.
»Ich bat den Koch, etwas Schinken und ein paar andere Kleinigkeiten hinzuzufügen, die er noch herumliegen hatte.« Mit einem prüfenden Blick auf Zedds Figur fügte sie hinzu: »Ich dachte mir, ein wenig Fleisch auf den Knochen könnte Euch nicht schaden.«
»Fantastisch!« Zedd grinste, als er ihr den mit Bergen von Rühreiern und Schinken überhäuften Teller aus den Händen nahm.
»Äh…«, setzte der General an, offenkundig etwas unschlüssig, wie er seine Frage in Worte kleiden sollte. »… würdet Ihr freundlicherweise erläutern … was Ihr damit sagen wollt, Zauberer Zorander?«
»Zedd genügt vollkommen.« Zedd, eben noch damit beschäftigt, den betörenden Duft der Mahlzeit einzuatmen, schaute hoch. »Tot.« Er fuhr sich mit der Gabel über die Kehle. »Ihr wisst schon, tot. Praktisch die gesamte Truppe. Tot.« Er wandte sich wieder Schwester Philippa zu. »Es riecht ausgezeichnet.« Abermals sog er den von seinem Teller mit Eiern aufsteigenden Dampf ein. »Einfach köstlich. Dass Ihr daran gedacht habt, den Koch zu bitten, diese vorzüglichen Zutaten beizugeben, weist Euch aus als eine Frau von Herzensbildung und Verstand. Einfach köstlich.«
Die Schwester strahlte.
Der General hob eine Hand. »Zauberer Zorander, wenn ich bitten dürfte…«
Adie fiel dem beleibten General ins Wort. »Gegen eine Mahlzeit seid Ihr eine erbärmliche Konkurrenz. Habt Geduld.«
Zedd nahm eine Gabel voll und verfiel in ein verzücktes Summen ob des Geschmacks, der sich ihm offenbarte. Während er eine zweite Gabel voll kostete, führte Adie ihn zu einer schlichten Bank an der Seitenwand des Zeltes. Dort, auf einem Tisch in der Mitte, standen ein paar Krüge sowie eine Lampe, der das gemütliche Zelt nicht nur seine Beleuchtung, sondern auch seinen öligen Geruch verdankte.
Trotz Adies Bitte, Geduld zu bewahren, begannen alle gleichzeitig durcheinander zu reden, Fragen zu stellen und Einwände vorzubringen. Zedd nahm keinerlei Notiz von ihnen, während er das Rührei in sich hineinschaufelte; die großen Schinkenstücke waren köstlich. Zum Zeichen seines Wohlbefindens fuchtelte er mit einem besonders saftigen Stück vor den Augen seines verdutzten Publikums herum. Die Gewürze, die Zwiebeln, Paprikaschoten und die warmen Käsestückchen waren wunderbar. Die Augen verdrehend, stöhnte er leise vor Entzücken.
Es war die beste Mahlzeit seit Tagen. Seine Verpflegung für unterwegs war schlicht und daher längst eintönig geworden. Oft hatte er sich murrend darüber beklagt, Spinne bekomme besseres Essen als er, zumal Spinne sich auch noch etwas darauf einzubilden schien, was er stets als Ärgernis empfunden hatte. Überheblichkeit seinem Reiter gegenüber tat einem Pferd nicht gut.