»Philippa«, knurrte Verna, »ist es unbedingt erforderlich, dass Ihr über einen Teller Rührei derart in Verzückung geratet?«
»Aber der arme Mann stand kurz vor dem Verhungern.« Verwirrt von Vernas finsterem Blick, deutete sie mit fahriger Hand auf Zedd. »Schaut Ihn doch an. Ich freue mich einfach, wenn ich sehe, wie es ihm schmeckt, außerdem macht es mich glücklich, wenn ich einem mit der Gabe gesegneten Mann des Schöpfers helfen kann.«
Als das viel zu schnelle Ende seiner Mahlzeit nahte, mäßigte sich Zedd und zögerte die letzten Bissen hinaus. Ohne weiteres hätte er noch einen zweiten Teller von denselben Ausmaßen verdrücken können. General Reibisch, auf einer Bank auf der gegenüberliegenden Seite des Zeltes sitzend, hatte die ganze Zeit über wütend eine Strähne seines Bartes um den Finger gezwirbelt. Jetzt beugte er sich vor, den angespannten Blick auf Zedd geheftet.
»Zauberer Zorander, ich benötige…«
»Zedd. Schon vergessen?«
»Also gut, Zedd. Zedd, ich bin für das Leben dieser Soldaten verantwortlich. Würdet Ihr mir bitte verraten, wieso Ihr glaubt, sie seien in Gefahr?«
Zedd antwortete mit vollem Mund: »Das habe ich bereits getan.«
»Aber … welcher Art ist diese Gefahr?«
»Die mit der Gabe. Ihr wisst schon, die Magie.«
Der General richtete sich auf. Sein Gesicht war ernst, und seine Finger krallten sich in seine muskulösen Oberschenkel. »Die mit der Gabe?«
»Ganz recht. Der Feind hat Personen mit der Gabe in seinen Reihen. Ich dachte, das sei Euch bekannt.«
Ein paar Mal mit den Augen zwinkernd, ließ er sich die Bemerkung offensichtlich noch einmal durch den Kopf gehen und versuchte das Körnchen jener unsichtbaren Gefahr zu entdecken, das sich hinter Zedds schlichter Bemerkung verbarg.
»Selbstverständlich ist uns das bekannt.«
»Aha. Und wieso habt Ihr dann keine Massengräber ausgehoben?«
Verna sprang auf. »Im Namen der Schöpfung, für wen haltet Ihr uns eigentlich, für irgendwelche Dienstmädchen, die dazu da sind, Euch das Essen vorzusetzen? Wir sind Schwestern mit der Gabe, deren Aufgabe es ist, die Armee gegen die von Jagang gefangenen Schwestern zu verteidigen!«
Adie bedeutete Verna mit einem heimlichen Wink, sich hinzusetzen und den Mund zu halten. Ihre Stimme klang wie in Honig eingelegter Kies. »Warum erzählst du uns nicht, was du herausgefunden hast, Zedd? Ich bin sicher, der General und die Prälatin würden gerne hören, wie sie unsere Verteidigung verbessern können.«
Zedd schob die winzigen gelblichen Krümel auf dem Teller zu einem letzten erbärmlichen kleinen Happen zusammen. »Ich wollte damit keinesfalls andeuten, Ihr hättet Euch einer bewussten Unzulänglichkeit schuldig gemacht, Prälatin.«
»Nun, jedenfalls habt Ihr…«
»Ihr seid alle viel zu gut, das ist alles.«
»Ich bitte um Verzeihung?«
»Zu gut. Ihr und Eure Schwestern habt Euer ganzes Leben lang versucht, den Menschen zu helfen.«
»Nun … äh, ich … wir … selbstverständlich helfen wir den Menschen. Das ist unsere Berufung.«
»Aber nicht das Töten. Jagang wird fest entschlossen sein, Euch alle umzubringen.«
»Das ist uns bekannt, Zedd.« Der General kratzte sich am Bart, während sein Blick zwischen Verna und Zedd hin und her wanderte. »Dadurch, dass sie eine Reihe feindlicher Kundschafter und dergleichen mehr aufgespürt haben, haben uns die Prälatin und ihre Schwestern sehr geholfen. Ganz so wie Schwester Philippa hier Euch bei der Annäherung an unser Lager entdeckt hat, haben sie andere aufgespürt, die uns übel mitspielen wollten. Sie haben ihre Schuldigkeit getan, Zedd, und zwar ohne ein einziges Wort der Klage. Jeder einzelne Soldat im Lager ist froh, sie hier zu haben.«
»Alles gut und schön, aber wenn die Armee der Imperialen Ordnung angreift, wird es anders aussehen. Sie werden die mit der Gabe dazu benutzen, Eure Streitkräfte völlig zu vernichten.«
»Das werden sie versuchen«, beharrte Verna, die überzeugend zu sein versuchte ohne loszubrüllen, wonach es sie zweifellos gelüstete, »aber wir sind darauf vorbereitet, genau das zu verhindern.«
»Das stimmt«, bestätigte Warren mit einem Nicken, das Zuversicht verbreiten sollte. »Es stehen jederzeit Personen mit der Gabe bereit.«
»Gut so, das ist gut«, meinte Zedd gedehnt, so als sei er eventuell gewillt, seine Einschätzung noch einmal zu überdenken. »Dann habt Ihr Euch mit den einfachen Gefahren also schon befasst, mit den Albino-Moskitos und Ähnlichem.«
General Reibischs buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. »Den was?«
Zedd fuchtelte mit seiner Gabel. »Verratet mir eins – nur um meine Neugier zu stillen –, was beabsichtigen die mit der Gabe zu tun, wenn der Feind unsere Streitkräfte attackiert? Sagen wir, mit einer Kavallerieformation?«
»Sie werden vor seiner Kavallerie eine Feuerfront legen«, antwortete Warren ohne Zögern. »Wenn die Reiter herangestürmt kommen, werden wir sie zu Asche verbrennen, bevor sie auch nur einen einzigen Speer schleudern können.«
»Aha«, machte Zedd. »Mit Feuer also.« Er schob zum letzten Mal die Gabel in seinen Mund. Alles sah schweigend zu, wie er kaute. Er hielt plötzlich inne. »Mit einem großen Feuer, nehme ich an? Mit gewaltigen, lodernden Flammen und allem, was dazugehört?«
»Von welchen Mücken redet er überhaupt?«, wandte sich General Reibisch tuschelnd an Verna und Warren, die neben ihm, gegenüber Zedd und Adie, auf der Bank saßen.
»So ist es«, erwiderte Verna, ohne auf den General einzugehen, der daraufhin seufzend die Arme vor seiner mächtigen Brust verschränkte. »Mit einer regelrechten Feuerfront.« Verna wartete, bis Zedd geschluckt hatte. »Erscheint Euch das in irgendeiner Weise unzureichend, Oberster Zauberer?«
Zedd zuckte mit den Achseln. »Nun ja…« Er hielt inne, runzelte die Stirn, beugte sich zum General hinüber und sah genauer hin. Mit einem knochendürren Finger fuchtelnd, deutete er auf die verschränkten Arme des Mannes.
»Da ist schon eine. Soeben ist eine Mücke dabei, Euer Blut auszusaugen, General.«
»Was? Oh.« Er zerquetschte sie. »In diesem Sommer wimmelt es nur so von diesen Biestern, aber ich denke, ihre Saison geht allmählich zu Ende. Wir werden verdammt froh sein, diese winzigen Quälgeister los zu sein, das kann ich Euch sagen.«
Zedd fuchtelte erneut mit seinem Finger. »Sahen sie alle so aus wie diese?«
General Reibisch hob seinen Unterarm und betrachtete das zerquetschte Insekt. »Ja. Diese blutrünstigen, kleinen…« Er verstummte und sah genauer hin. Mit Zeigefinger und Daumen packte er das Insekt an einem Flügel und hielt es in die Höhe, um es besser begutachten zu können.
»Ich will ver … dieses Biest ist« – sein Gesicht wurde einen Hauch blasser – »weiß.« Er blickte mit seinen graugrünen Augen auf und sah Zedd an. »Was sagtet Ihr gerade über…«
»Albinomücken«, bestätigte Zedd, während er seinen leeren Teller auf den Boden stellte. Mit einem zweigdürren Finger deutete er auf den plattgedrückten Angreifer des Generals. »Habt Ihr das Albinofieber jemals erlebt, General? Oder einer von Euch anderen? Eine entsetzliche Geschichte, das kann ich Euch verraten.«
»Was hat es mit diesem Albinofieber auf sich?«, wollte Warren wissen. »Ich habe noch nie davon gehört und übrigens auch nichts darüber gelesen, da bin ich sicher.«
»Wirklich? Dann tritt es offenbar nur in den Midlands auf.«
Es in die Höhe haltend, betrachtete der General das winzige weiße Insekt genauer. »Wie äußert sich dieses Albinofieber bei Menschen?«
»Oh, ihre Haut nimmt eine grässlich leichenblasse Färbung an.« Zedd fuchtelte mit seiner Gabel. »Wisst Ihr eigentlich«, sagte er und legte – den Blick nach oben gegen das Dach des Zeltes gerichtet, so als lenke ihn dort etwas ab – die Stirn in Falten, »dass ich einmal Zeuge wurde, wie ein Zauberer eine geradezu prachtvolle Feuerwand vor einer heranstürmenden Kavallerieformation errichtete?«