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Zedd antwortete ihr nicht. Er vermochte sich nicht vorzustellen, wie Ann auf diese Entwicklung reagieren würde. Jahrhundertelang hatte sie die Prophezeiungen in der Hoffnung auf jenen Kriegszauberer durchkämmt, der geboren werden würde, um sie in diesem Kampf um die nackte Existenz der Magie anzuführen. Dieser Kriegszauberer war Richard, geboren für den Kampf, den er so überraschend aufgegeben hatte.

»Was ist deiner Meinung nach das Problem?«, fragte Adie mit ihrer leisen, schnarrenden Stimme.

Zedd besah sich die Briefe ein letztes Mal, dann löste er seinen Blick von den Zeilen und richtete sich auf. Aller Augen in dem schwach beleuchteten Zelt waren auf ihn gerichtet, als hofften sie, er könne sie auf irgendeine Weise vor einem Schicksal bewahren, das ihnen unbegreiflich war, das sie aber instinktiv fürchteten.

»Dies ist eine Zeit der Prüfung, in der Richards Seele bis auf den Grund ausgelotet wird.« Zedd schob seine Hände in die gegenüberliegenden Ärmel, bis der Silberbrokatbesatz der Manschetten aneinander stieße. »Eine Art Übergangszeit – die man ihm aufzwingt, weil er etwas begreift, das zu sehen allein er im Stande ist.«

Warren räusperte sich. »Um was für eine Art Prüfung handelt es sich, Zedd? Könnt Ihr uns das sagen?«

Zedd machte eine unbestimmte Handbewegung, als ihm die Erinnerung an schlimme Zeiten durch den Kopf schoss. »Ein Kampf … eine Aussöhnung…«

»Was für eine Aussöhnung?«, hakte Warren nach.

Zedd blickte in die blauen Augen des jungen Mannes und wünschte sich, er stellte nicht so viele Fragen. »Worin liegt der Sinn Eurer Gabe?«

»Der Sinn? Na ja, ich nehme an … sie soll … nun ja, sie existiert einfach. Die Gabe ist einfach eine Fähigkeit.«

»Ihr Sinn liegt darin, anderen zu helfen«, stellte Verna entschieden fest. Sie raffte ihr hellblaues Gewand fester um die Schultern wie einen Panzer, der sie vor Zedds Antwort schützen sollte.

»Aha, und was tut Ihr dann hier?«

Die Frage überraschte sie. »Hier?«

»Ja.« Mit einer Armbewegung beschrieb Zedd einen unbestimmten, fernen Ort. »Wenn die Gabe dazu da ist, anderen zu helfen, warum seid Ihr dann nicht dort draußen und tut es? Es gibt Kranke, die geheilt, Unwissende, die unterrichtet, und Hungrige, die gespeist werden müssen. Wieso sitzt Ihr, eine gesunde, kluge, wohlgenährte Frau, dann einfach hier herum?«

Verna richtete ihr Gewand, drückte die Schultern durch und nahm eine entschlossene Haltung an. »Wenn man in der Schlacht das Tor verlässt, um einem gefallenen Kameraden beizustehen, dann gibt man damit einer Schwäche nach: der Unfähigkeit, sich gegen unmittelbares Leid zu wappnen, um so ein viel größeres Leid zu verhindern. Liefe ich los, um den wenigen Menschen beizustehen, denen ich auf diese Weise helfen kann, müsste ich meinen Posten hier, bei dieser Armee zu einem Zeitpunkt aufgeben, da sie den Feind daran zu hindern versucht, die Tore in die Neue Welt zu erstürmen.«

Die Frau stieg ein wenig in Zedds Ansehen. Sie war dem Kernpunkt einer entscheidenden Wahrheit beängstigend nahe gekommen. Er bedachte sie mit einem feinen, respektvollen Lächeln und nickte, was sie mehr zu überraschen schien als seine Frage.

»Mir leuchtet durchaus ein, warum die Schwestern des Lichts weithin als die eigentlichen Dienerinnen der Not gelten.« Zedd strich sich übers Kinn. »Dann ist es also Eure Überzeugung, dass wir, die wir die Fähigkeit – die Gabe – besitzen, als Sklaven der Bedürftigen in die Welt hineingeboren wurden?«

»Nun, das nicht … aber wenn große Not besteht –«

»… dann fesseln uns die Ketten der Sklaverei umso fester an die noch Bedürftigeren«, beendete Zedd den Satz für sie. »Demzufolge wird jeder Bedürftige – Eurem Verständnis nach – zu unserem rechtmäßigen Herrn und Meister? Und wir zu gewissermaßen vertraglich an ein bestimmtes Ziel, oder an irgendein anderes, noch größeres, das sich zufällig ergibt, gebundenen Dienern, aber Leibeigene nichtsdestoweniger. Meint Ihr das?«

Diesmal beschloss Verna, ihm nicht auf eine Eisfläche zu folgen, die sie selbst ganz offensichtlich als sehr dünn ansah, was sie aber nicht hinderte, ihn wütend anzufunkeln.

Zedd blieb dabei, dass es auf diese Frage nur eine philosophisch stichhaltige Antwort geben könne; falls Verna sie wusste, so behielt sie sie für sich.

»Richard ist offenbar an einen Punkt gelangt, an dem er seine Möglichkeiten einer kritischen Prüfung unterziehen und herausfinden muss, welches der rechte Weg in seinem Leben ist«, erläuterte Zedd. »Vielleicht haben Umstände ihn gezwungen, Fragen nach dem richtigen Gebrauch seiner Fähigkeiten, und im Hinblick auf seine Wertmaßstäbe, nach seinem eigentlichen Ziel zu stellen.«

Verna breitete die Hände in einer Geste der Hilflosigkeit aus. »Ich sehe nicht, wie er ein höheres Ziel haben kann, als hier zu sein und die Armee im Kampf gegen die Bedrohung aus der Neuen Welt zu unterstützen – einer Bedrohung für das Überleben freier Menschen.«

Zedd ließ sich auf die Bank zurücksinken. »Ihr seht es nicht, ich sehe es nicht, aber offenbar sieht Richard etwas.«

»Das bedeutet nicht, dass er Recht hat«, warf Warren ein.

Zedd musterte kurz das Gesicht des jungen Mannes. Warrens Züge waren unverbraucht, gleichzeitig hatte er einen wissenden Blick in seinen Augen, der mehr verriet als bloße Jugend. Zedd fragte sich, wie alt Warren sein mochte.

»Nein, das bedeutet es nicht. Vielleicht begeht er einen grandiosen Fehler, der unsere Überlebenschance zunichte macht.«

»Kahlan glaubt selbst, es könnte vielleicht ein Fehler sein«, warf Adie schließlich ein, so als bedauere sie, es ihm erzählen zu müssen. »Sie schrieb mir eine kurze Notiz – ich glaube, ohne Richards Wissen, da ganz offensichtlich Cara ihre Worte für sie niedergeschrieben und dem Boten mitgegeben hat. Darin schreibt sie, sie befürchte, das, was ihr zugestoßen ist, sei zum Teil der Grund für Richards Handeln. Außerdem vertraute mir die Mutter Konfessor an, sie befürchte, Richard könnte den Glauben an die Menschen verloren haben und sich wegen seiner Ablehnung durch die Bevölkerung Anderiths als gescheiterter Anführer betrachten.«

»Unfug.« Zedd tat dies mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. »Ein Führer kann den Menschen nicht mit eingekniffenem Schwanz hinterher hecheln, ihre flüchtigen Launen und Wünsche zu wittern versuchen und winselnd darum betteln, ihnen auf ihrem ziellosen Weg durchs Leben mal hierhin und mal dorthin folgen zu dürfen. Diese Sorte Mensch sucht keinen Führer, sondern einen Herrn und Meister, und irgendwann wird einer sie finden.

Ein wahrer Anführer schlägt einen deutlich erkennbaren Pfad durch einen moralischen Dschungel, damit die Menschen wissen, wo es langgeht. Das liegt ihm, und deshalb war Richard auch Waldführer. Vielleicht hat er sich in diesem dunklen Wald verlaufen. Wenn, dann muss er einen Ausweg finden, und dieser Ausweg muss, wenn er der wahre Führer eines freien Volkes sein will, klar durchdacht sein.«

Alle dachten schweigend darüber nach, welche Schlüsse daraus zu ziehen seien. Der General war dem Lord Rahl zutiefst ergeben und wartete einfach dessen Befehle ab. Die Schwestern dagegen hatten ihre eigenen Vorstellungen. Zedd und Adie wussten, dass der vor ihnen liegende Weg anders war, als manche ihn sich vorstellten.

»Genau das hat Richard in meinem Fall getan«, sagte Warren leise, den Blick in die eigene Vergangenheit gerichtet. »Er hat mir den Weg gewiesen – und in mir den Wunsch geweckt, ihm aus den Gewölbekellern nach oben zu folgen. Ich war dort unten bequem geworden und hatte mich mit meinen Büchern und meinem Schicksal abgefunden, dabei war ich ein Gefangener dieser Dunkelheit und lebte mein Leben durch die Ziele und Erfolge anderer. Ich habe nie so recht verstanden, wie es ihm gelungen ist, mich dafür zu begeistern, ihm nach oben und nach draußen zu folgen.« Warren sah Zedd in die Augen. »Vielleicht braucht er jetzt selbst eine solche Hilfe. Könnt Ihr ihm helfen, Zedd?«

»Er ist in eine Zeit hineingeraten, die für jeden düster wäre, erst recht für einen Zauberer. Er muss den Ausweg auf der anderen Seite aus eigenem Antrieb finden. Wenn ich ihn an die Hand nehme und hindurchführe, könnte es geschehen, dass ich ihn auf einen Weg bringe, für den er sich allein vielleicht nicht entschieden hätte, und die Entscheidung, die ich ihm damit abgenommen hätte, könnte ihn für immer lähmen … schlimmer noch, was ist, wenn er Recht hat? Wenn ich ihm, ohne zu wissen, einen anderen Weg aufnötige, könnte das unser aller Untergang zur Folge haben und dazu führen, dass die Imperiale Ordnung die Welt unterjocht.« Zedd schüttelte den Kopf. »Nein. Eins weiß ich: Man muss Richard die Freiheit geben, das zu tun, was er tun muss. Wenn er uns tatsächlich in diesem Kampf um die Zukunft der Magie und der Menschheit anführen soll, dann geht dies nur auf einem Abschnitt jenes Weges, den er selbst gehen muss.«