In diesem Augenblick fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie hatte es von der völlig falschen Seite betrachtet. Es war keineswegs so, dass Richard gut mit dem Schwert kämpfen oder wundervolle Figuren mit Messer und Meißel schaffen konnte, nein, es verhielt sich so, dass Richard eins mit der Klinge wurde – der Klinge in jeder Erscheinungsform: egal ob Schwert, Messer, Meißel oder Weidenrute. Er war ein Meister – nicht des Schwertkampfes oder mit dem Schnitzmesser, sondern auf viel grundsätzlichere Weise, er war ein Meister der Klinge selbst.
Kämpfen war nur eine Art, eine Klinge zu gebrauchen. Sein Ausgleich für den zerstörerischen Gebrauch des Schwertes – Magie strebte stets nach Ausgewogenheit – bestand darin, mit Hilfe einer Klinge schöne Dinge herzustellen. Sie hatte die einzelnen Bereiche seines Schaffens gesehen und sie von einander getrennt zu verstehen versucht; Richard dagegen sah nur das vereinte Ganze.
Alles an ihm, die Art, wie er einen Pfeil abschoss, wie er schnitzte oder sein Schwert gebrauchte, ja sogar seine Art, sich fließend und mit wohl durchdachter Zielstrebigkeit fortzubewegen – all das war untrennbar miteinander verknüpft, das waren keine separaten Fähigkeiten … sondern alles ein und dasselbe.
Richard hielt inne. »Was ist? Dein Gesicht wird ja ganz blass.«
Kahlan stand da und hatte ihr Weidenschwert gesenkt. »Du tanzt mit dem Tod. Das ist es, was du mit dem Schwert tust.«
Richard blinzelte sie verständnislos an, als hätte sie soeben verkündet, der Regen sei nass. »Aber ja, natürlich.« Richard berührte das auf seiner Brust hängende Amulett. In der Mitte, umgeben von einem Gefüge aus goldenen und silbernen Linien, befand sich ein tränenförmiger Rubin von der Größe ihres Daumennagels. »Das habe ich dir doch schon vor langer Zeit erklärt. Glaubst du mir etwa erst jetzt?«
Sie sah ihn offenen Mundes an. »Ja, ich glaube, genau so ist es.«
Kahlan erinnerte sich nur zu deutlich an seine frösteln machenden Worte, als sie das Amulett an seinem Hals zum ersten Mal gesehen und ihn gefragt hatte, was das sei.
»Der Rubin stellt einen Blutstropfen dar. Es handelt sich um die symbolische Darstellung der Funktionsweise des Ersten Edikts. Sie hat nur eine einzige Bedeutung, und in ihr ist alles enthalten: schneide. Hast du dich einmal darauf festgelegt zu kämpfen, schneide. Alles andere ist zweitrangig. Schneide, das ist deine Pflicht, dein Ziel, dein Verlangen. Es gibt keine Regel, die wichtiger wäre, keine Verpflichtung, die diese eine außer Kraft setzen könnte. Schneide. Die Linien sind ein Abbild des Tanzes. Schneide aus der Leere, nicht aus dem Gefühl der Verwirrung. Schneide den Feind so schnell und unmittelbar wie möglich. Schneide mit Gewissheit. Schneide fest und entschlossen. Schneide in seine Stärke. Fließe durch die Lücken seiner Wachsamkeit und schneide ihn. Schneide ihn und mache ihn vollkommen kampfunfähig. Gestatte ihm keinen einzigen Atemzug. Schneide ihn ohne Erbarmen bis in die Tiefen seiner Seele. Das ist der Ausgleich für das Leben: der Tod. Das ist der Tanz mit dem Tod.« Richard machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: »Das ist das Gesetz, nach dem ein Kriegszauberer lebt, oder er stirbt.«
Der Tanz war Kunst. Im Grunde war es nichts anderes als die Schnitzerei. Eine Kunst, die ihren Ausdruck in der Klinge fand. Für ihn war es alles ein und dasselbe. Er sah keinen Unterschied, denn in seinem Innern gab es ihn nicht.
Sie teilten sich die Wiese mit einem Rotfuchs, der dort hauptsächlich Jagd auf Nagetiere machte, aber auch nicht abgeneigt war, die saftigen Insekten in Betracht zu ziehen, die er dort fing. Ihre Pferde störte der Fuchs nicht sonderlich, die Kojoten aber, die gelegentlich des Weges kamen, mochten sie gar nicht. Kahlan bekam sie nur selten zu Gesicht, wusste aber, dass sie in der Nähe waren, wenn die Pferde ihrem Unbehagen schnaubend Luft machten. Oft hörte sie nachts die Kojoten weiter oben auf den umliegenden Hängen bellen. Gewöhnlich gaben sie ein langes, gleichbleibendes Jaulen von sich, gefolgt von einer Serie von hellen, kläffenden Lauten. In manchen Nächten sangen die Wölfe, dass ihr lang gezogenes, monotones Geheul, allerdings ohne die Kläfflaute der Kojoten, durch die Berge hallte. Einmal sah Kahlan ein Stück entfernt zwischen den Bäumen einen Bären vorübertrotten, der sie nur eines flüchtigen Blickes würdigte, ein anderes Mal streifte ein Rotluchs an ihrer Hütte vorbei, woraufhin die Pferde panikartig die Flucht ergriffen. Richard brauchte fast einen ganzen Tag, um die Tiere wieder einzufangen.
Backenhörnchen fanden sich bettelnd vor ihrer Tür ein und huschten hin und wieder auch in die Hütte hinein, um sich ein wenig umzusehen. Oft ertappte Kahlan sich dabei, wie sie mit ihnen sprach und ihnen Fragen stellte, so als könnten sie jedes ihrer Worte verstehen. Ihre Art, wie sie in der Tür innehielten und den Kopf zur Seite neigten, ließ sie fast glauben, sie seien tatsächlich dazu fähig. Häufig suchten in den frühen Morgenstunden kleine Rotwildherden die Wiese auf, manchmal frische Spuren in Gestalt eines umgedrehten Herzens in der Nähe ihrer Tür zurücklassend. In letzter Zeit hatten sich gelegentlich auch aggressive, brünftige Rehböcke mit mächtigen Geweihen gezeigt. Eines der Felle, die Kahlan trug, stammte von einem Wolf, der von einem dieser Böcke in einem nicht weit entfernten Eichenwäldchen verwundet worden war. Richard hatte dem verletzten Tier einen langsamen, qualvollen Tod erspart.
Neben den Schwertkämpfen unternahmen sie Fußmärsche hinauf in die Berge, um Kahlans Glieder zu kräftigen. Diese Spaziergänge beanspruchten ihre Beinmuskeln so stark, dass sie manchmal vor Schmerzen nicht schlafen konnte. Gewöhnlich rieb Richard dann ihre Füße, Fesseln und Schenkel mit Öl ein. Meist funktionierte das, sie entspannte sich, wurde schläfrig und konnte schließlich einschlafen.
Sie erinnerte sich noch deutlich an jenen verregneten Abend, als sie bei Nässe und Kälte nach Hause gekommen waren und sie mit geschlossenen Augen auf dem Rücken in ihrem Bett lag, nachdem Richard ihre Beine mit warmem Öl eingerieben hatte. Leise erklärte er, dass seiner Meinung nach ihre Beine endlich ihre ganze Fülle und Spannkraft zurückgewonnen hatten. Kahlan schaute hoch und sah den verlangenden Blick in seinen Augen. Sie hatte fast vergessen, wie erregend es war, zu wissen, dass er sie begehrte. Und sie war so erschrocken, dass ihr vor Freude, sich plötzlich wieder wie eine Frau, eine begehrenswerte Frau, zu fühlen, die Tränen über die Wangen rollten.
Richard hob ihr Bein an seinen Mund und küsste sachte ihren entblößten Knöchel. Als seine sanften, warmen Küsse ihre Schenkel erreichten, keuchte sie vor ebenso plötzlich wie unerwartet erwachtem Verlangen. Er öffnete ihr Nachthemd und rieb das warme Öl auf ihren nackten Bauch. Seine großen Hände wanderten ihren Körper hinauf und liebkosten ihre Brüste. Offenen Mundes atmend nahm er ihre Brustwarzen zwischen Daumen und Zeigefinger, bis sie hart wurden.
»Vorsicht, Lord Rahl«, hauchte sie leise, »ich glaube fast, du lässt dich hinreißen.«
Er hielt inne, schien sich zu fangen und zu merken, was er dort tat, und wich zurück.
»Ich werde schon nicht zerbrechen, Richard«, sagte sie, ergriff seine Hand und zog sie wieder nach unten. »Es geht mir wieder gut. Es würde mir sehr gefallen, wenn du dich hinreißen ließest.«
Sie packte sein Haar mit beiden Händen, während er erst ihre Brust, dann ihre Schultern mit Küssen bedeckte und sich dann ihren Hals hinaufarbeitete. Sein keuchender Atem war warm an ihrem Ohr, seine forschenden Finger machten sie verrückt vor Verlangen. Das Gefühl, ihn mit dem ganzen Körper zu spüren, war hemmungslos erotisch; ihre Müdigkeit war verflogen. Schließlich küsste er sie zärtlich auf die Lippen. Die Art, wie sie seinen Kuss erwiderte, sagte ihm, dass er nicht gar so rücksichtsvoll sein musste.
Als der Regen auf das Dach trommelte, ein Blitz die Umrisse und die geballte Kraft der Figur im Fenster beleuchtete und ein Donnern durch die Berge rollte, schloss Kahlan, ganz ohne Angst, ganz ohne sich Gedanken zu machen und ohne sich zu fragen, ob sie dazu fähig sei, Richard fest in ihre Arme, und sie liebten sich leise, hemmungslos und voller Zärtlichkeit. Noch nie hatten sie einander so sehr gebraucht wie in jener Nacht. All ihre Ängste und Sorgen verdampften in der Hitze des überwältigenden Verlangens, das durch ihren Körper schoss. Sie weinte, so gewaltig war ihr Vergnügen, so erlösend die Befreiung ihrer Gefühle.