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In gewisser Hinsicht verwirrte es sie, dass sie Richard schließlich doch in einem ihrer gespielten Schwertkämpfe besiegt hatte. Vielleicht war er müde gewesen, weil er den schwersten Rucksack getragen und einige der steileren Pfade erst allein erkundet hatte und sie anschließend holen gekommen war; dennoch war er keineswegs langsamer geworden, und sie hatte ihn trotzdem besiegt. Sie konnte nichts dagegen tun, sie war zufrieden mit sich, auch wenn sie ihren Sieg in Zweifel zog. Aus den Augenwinkeln hatte sie ihn dabei ertappt, wie er lächelnd zu ihr herüberblickte. Kahlan wusste, Richard war stolz darauf, dass sie ihn besiegt hatte. In gewisser Hinsicht war seine Niederlage für ihn ein Sieg.

Nach allem, was Richard sie hatte durchmachen lassen, glaubte Kahlan, sie müsse stärker sein als je zuvor in ihrem Leben. Einfach war es nicht gewesen, aber wenn sie sich am Ende so fühlte wie die Schnitzfigur in ihrem Schlafzimmerfenster, dann hatte sich die Mühe gelohnt.

Kahlan legte Richard eine Hand auf die Schulter, als er Cara über zerklüftete, vom Zufall zu einer Treppe aus mächtigen, ungleichmäßigen Stufen angeordnete Granitblöcke nach unten folgte. »Richard, wieso habe ich dich besiegt?«

Er sah ihren Augen an, wie ernst ihr diese Frage war. »Du hast mich getötet, weil ich einen Fehler gemacht habe.«

»Einen Fehler? Willst du damit sagen, du bist vielleicht zu selbstsicher geworden? Vielleicht warst du einfach müde, oder du warst mit den Gedanken woanders.«

»Das ist doch eigentlich egal, oder? Was immer es war, es war ein Fehler, der mich im Spiel den Sieg gekostet hat. In einem echten Kampf wäre ich ums Leben gekommen. Du hast mir die wertvolle Lektion erteilt, meine Entschlossenheit zu verdoppeln und stets mit all meiner Kraft aufs Ganze zu gehen. Es hat mich einfach daran erinnert, dass ich jederzeit einen Fehler machen und verlieren kann.«

Kahlan konnte sich nicht dagegen wehren, dass ihr die nahe liegende Frage in den Sinn kam: Beging er vielleicht auch einen Fehler, wenn er sich aus den Bemühungen raushielt, die Midlands vor der Tyrannei der Imperialen Ordnung zu bewahren? Kahlan konnte sich dieses Gefühls nicht erwehren, sie spürte den Drang, ihrem Volk beizustehen, auch wenn Richard immer noch der Ansicht war, dass sein Eingreifen, so lange das Volk seine Führerschaft nicht wollte, nichts Gutes bewirken konnte. Als Mutter Konfessor war Kahlan sich darüber im Klaren, dass man sein Volk nicht im Stich lassen durfte, nur weil es nicht immer verstand, dass sein Anführer in seinem besten Interesse handelte.

Da es allmählich Winter wurde, hoffte sie, die Imperiale Ordnung würde in Anderith bleiben. Kahlan musste Richard unbedingt davon überzeugen, umzukehren und den Midlands beizustehen, doch wusste sie beim besten Willen nicht, wie. Er blieb standhaft bei seiner Argumentation, und sie vermochte keine Lücke im Panzer seiner Logik zu entdecken. Mit Gefühlen war ihm in diesem Punkt nicht beizukommen.

Cara führte sie den felsigen Abhang hinunter und musste nur zwei Mal denselben Weg zurückgehen. Der Abstieg war schwierig. Cara war mit sich und damit, dass Richard sie die Route selbst hatte aussuchen lassen, zufrieden. Schließlich war es ihr Fell, dem sie hinterher jagten, daher hatte er ihr gestattet, sie durch das Unterholzgewirr in der Senke auf dem Talgrund und den sich daran anschließenden Ausläufer des Einschnitts zu führen, wo die Bäume sich mit ihren Wurzeln an den felsigen Steilhang klammerten.

Der durch die Schlucht heraufwehende Wind war bitterkalt geworden, die Wolken waren immer dichter geworden, bis die letzten goldenen Strahlen der Sonne erloschen waren. Ihr Anstieg führte sie hinauf in einen düsteren, dunklen Wald aus hoch aufragenden Nadelhölzern. Hoch über ihren Köpfen schwankten die Wipfel im Wind, unten auf dem Boden jedoch regte sich kein Lüftchen. Eine dichte, weiche Schicht aus braunen Nadeln dämpfte ihre Schritte.

Der Anstieg war steil, aber nicht schwierig. Je höher sie stiegen, desto weiter wurden die Abstände zwischen den riesigen Bäumen; ihre Zweige wurden spärlicher, so dass immer mehr des trüben Lichts durchsickern konnte. Die weiter oben gelegenen Felsen waren größtenteils frei von Moos und Blättern. An manchen Stellen mussten sie sich an den Felsen oder Wurzeln festhalten, um sich beim Hinaufklettern hochzuziehen. Kahlan zog die kalte Luft in tiefen Zügen ein, es tat gut, ihre Muskeln auf die Probe zu stellen.

Sie verließen den Wald und traten hinaus in das stahlgraue Licht des späten Nachmittags und in den stöhnenden Wind. Sie befanden sich im Krüppelwald.

Geröll und Felsen fehlte jener dichte Moosbewuchs, der weiter unten am Berg weit verbreitet war, stattdessen wiesen sie gelbliche, schwarz umrandete Flechtenkleckse auf. Nur wenig verkrüppeltes Gestrüpp klammerte sich da und dort in tiefer gelegene Stellen. Am seltsamsten jedoch waren die Bäume, denen dieser Ort oberhalb der Baumgrenze seinen Namen verdankte. Sie waren sämtlich verkümmert – nur wenige überragten Kahlan oder Richard. Wegen der vorherrschenden Winde wuchsen die meisten Äste nur zu einer Seite hin, was den Bäumen das Aussehen von grotesken, fliehenden, in ihrer Qual erstarrten Skeletten verlieh.

Oberhalb des Krüppelwaldes wuchs außer Seggen und Flechten kaum etwas. Und darüber führte die ewige Schneedecke das Regiment.

»Hier ist es«, rief Cara.

Sie entdeckten den Wolf dahingestreckt auf dem Geröll unterhalb eines Felsbrockens, an dessen scharfer Kante man einen dunklen Fleck getrockneten Blutes sah. Weiter oben hatte das Rudel grauer Wölfe ein Berglandkaribu zu schlagen versucht, und der alte Bulle hatte den unglücklichen Wolf mit einem Tritt gestreift. Das allein wäre vermutlich kaum mehr als schmerzhaft gewesen, aber der Wolf war von dem höher gelegenen Felssims abgerutscht und in den Tod gestürzt. Kahlan fuhr mit den Fingern durch das dichte, gelblichgraue Fell mit den schwarzen Spitzen. Es war in gutem Zustand und würde ihren Winterüberwurf erheblich wärmer machen.

Richard und Cara gingen daran, das verhältnismäßig große Weibchen aus dem Fell zu schlagen, während Kahlan an den äußeren Rand eines Überhangs trat. Sie zog ihren Überwurf bis zu den Ohren hoch, stand im bitterkalten Wind und nahm die heraufziehenden Wolken in Augenschein. Was sie dort sah, alarmierte sie ein wenig.

»Das ist kein Nieselregen, der auf uns zukommt, Richard«, sagte Kahlan. »Es ist Schnee.«

Er sah von seiner blutigen Tätigkeit auf. »Kannst du unten im Tal Launenfichten erkennen?«

Sie schaute mit zusammengekniffenen Augen hinunter in den sich vor ihr ausbreitenden Talgrund.

»Ja, ein paar kann ich erkennen. Der Schnee ist noch ein gutes Stück entfernt. Wenn ihr nicht zu lange braucht, schaffen wir es vielleicht bis hinunter und können noch etwas Holz sammeln, bevor es feucht wird.«

»Wir sind fast fertig«, rief Cara.

Richard stand auf, um sich kurz mit eigenen Augen zu überzeugen. Mit blutverschmierter Hand hob er gedankenverloren sein echtes Schwert ein paar Zoll aus der Scheide und ließ es anschließend wieder zurückgleiten, eine Angewohnheit von ihm, mit der er sich vergewisserte, dass die Waffe sicher in ihrer Scheide steckte. Die Geste hatte etwas Beunruhigendes. Seit jenem Tag, als er gezwungen gewesen war, all die Männer zu töten, die sie unten in der Nähe von Kernland überfallen hatten, hatte er die Waffe nicht mehr blank gezogen.

»Stimmt etwas nicht?«

»Was?« Richard bemerkte, wohin sie geschaut hatte, und warf einen Blick auf das Schwert an seiner Hüfte. »Ach, nein, es ist nichts. Vermutlich nur eine Angewohnheit.«

Kahlan streckte die Hand vor. »Dort unten steht eine Launenfichte. Es ist die Nächste von hier aus, und ziemlich groß ist sie auch.«

Richard wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und strich sich die Haare aus den Augen. Seine Finger glänzten von Blut.

»Noch bevor es dunkel wird, werden wir dort unten im Schutz einer Launenfichte an einem gemütlichen Lagerfeuer sitzen und Tee trinken. Ich kann das Fell unter dem Baum über die Zweige spannen und es dort ausschaben. Der Schnee wird uns unter den Asten zusätzlich gegen die Kälte schützen. Wir werden uns ordentlich ausruhen und uns dann morgen auf den Rückweg machen. Weiter unten wird es schlimmstenfalls regnen.«