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Ich dachte zurück an meine erste Begegnung mit einer Doll. Gerüchteweise hatte damals jeder schon davon gehört, und es hieß auch, daß viele Studenten heimliche solche künstlichen Tiere besaßen, gerade in den Studentenwohnheimen. Die Wohnheime liegen ziemlich außerhalb der Stadt, und man sieht dort fast keine Frauen.

Es war am Tag meines Einzugs. Ich suchte den Haussprecher, weil ich von ihm eine Unterschrift auf ein Formular brauchte. In der Gemeinschaftsküche war er nicht, also klopfte ich an die Tür seines Zimmers. Daraufhin raschelte etwas dahinter, und ein Geräusch war zu hören, das ich für eine Stimme hielt. Aber nichts geschah. Ich drückte die Klinke und öffnete die Tür einen Spalt weit.

Zu meinem grenzenlosen Erstaunen sah ich eine nackte Frau mit langen Haaren auf einer Decke am Boden sitzen und Obst und Brot aus einer Schüssel essen. Als sie mich sah, gab sie einen eigenartigen Laut von sich und streckte eine Hand, in der sie eine angenagte Brotrinde hielt, in meine Richtung. Ich muß sie völlig entgeistert angestarrt haben, denn schließlich packte sie Decke und Schüssel und verkroch sich damit unter den Schreibtisch.

Jemand erklärte mir danach, daß das, was ich gesehen hatte, eine ’Doll’ war, ein gentechnologisch erzeugtes Tier, das das Aussehen einer gutgebauten Frau, aber die Intelligenz und das Seelenleben eines Schimpansen besaß.

Die Doll, die ich gesehen hatte, gehörte der Hausgemeinschaft, die sie wiederum einem Gentechnik-Studenten abgekauft hatte, der nur einige Monate im Haus gewohnt hatte. Es wurde sehr gründlich ein Vormerkkalender geführt, in den man sich eintragen konnte, und jeder, der die Doll beanspruchte, mußte einen kleinen Obolus in die Hauskasse entrichten, der zur einen Hälfte zur Abzahlung der Anschaffungskosten, zur anderen Hälfte der Ernährung der Doll diente. Der Haussprecher hatte zu überwachen, daß die Doll regelmäßig gewaschen und gefüttert wurde.

Ich bekam die Doll an diesem Abend gespendet, sozusagen als Willkommensgruß. Sie war ein sehr zutrauliches Wesen, das willig alles mit sich geschehen ließ, und das sich nachher zusammengerollt an mich kuschelte und einschlief, während ich noch wach lag und traurig war, ohne daß ich hätte sagen können, warum.

"Fertig", sagte Jarmusch.

Wir betrachteten das Bild, das nun eine schwarzhaarige Frau von exotischer Schönheit zeigte.

"Jetzt wird das gespeichert und an den HXG weitergegeben, der es in genetischen Code umsetzt. Das dauert eine Weile. Dann geht’s ab damit in den Uterator, dann in die Brutkammer, und in ein paar Wochen ist’s soweit."

Eine rote Leuchtdiode an der Frontseite des Rechners kommentierte den Speichervorgang mit hektischem, unregelmäßigem Blinken, und der große grüne Apparat begann hörbar zu arbeiten.

Später, nachdem er den Computer abgeschaltet und das dünne Glasröhrchen, das die synthetisch erzeugte Zygote enthielt, in den Uterator praktiziert hatte, meinte er: "Weißt du, das Gute an den Dolls ist, daß sie einen unabhängiger machen. Es ist wirklich erstaunlich, wie sich das Verhältnis zu Frauen ändert, wenn man keine unbefriedigten Begierden mehr mit sich herumschleppen muß. Das ist wie ein gebrochenes Monopol, findest du nicht? Man ist nicht mehr auf richtige Frauen angewiesen. Sie interessieren mich kaum noch. Eine Frau muß schon etwas Besonderes bieten, um für mich noch interessant zu sein."

"Hast du eine eigene Doll?" fragte ich.

"Ja, klar, zur Zeit sogar zwei. Die eine ist ein Rasseweib, ein richtiges Meisterwerk. Auch vom Verhalten, vom Temperament her echt gelungen. Ich hab’ auch schon einen Interessenten für sie. Ich probier’ alle meine neuen Dolls aus, weißt du?"

Er starrte eine Weile gedankenverloren aus dem Fenster, über das Lichtermeer der Stadt.

"Die andere ist schon ziemlich alt; fünf Jahre. Meine erste, aus dem Praktikum. Ist mir damals eigentlich ziemlich mißlungen, aber ich hab mich eben an sie gewöhnt. Sie wird’s wohl nicht mehr lange machen, ist dauernd krank, baut ab. Viel älter werden Dolls ja nicht, auch heute noch nicht…"

Ein schmerzlicher Unterton hatte sich in den Klang seiner Stimme geschlichen. Er griff nach der Diskettenschachtel, energisch, als wollte er einen Gedanken oder ein Gefühl abschütteln.

© 1991

Garten Eden

Die Party nach der offiziellen Hochzeitsfeier war verschwenderisch ausgestattet, und die vielen Leute! Tonak kannte die wenigsten. Das sollten alles seine Verwandten sein? Kaum zu glauben.

»Tonak!« Eine tiefe Männerstimme. Tonak drehte sich um, den Teller in der Hand, den er am Buffettisch zu füllen im Begriff war.

Die gewaltige Gestalt Onkel Perets. »Tonak, mein Junge – du bist groß geworden, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe!«

Typisches Verwandtengeschwätz, dachte Tonak. Dasselbe hatte er heute schon mindestens fünf Mal zu hören bekommen, und ihm war immer noch keine geeignete Antwort darauf eingefallen. So sagte er nur: »Hallo, Onkel Peret.«

»Na, wie gefällt es dir bei uns im Amazonas? Du bist das erste Mal hier, nicht wahr?«

»Ja, stimmt.« Tonak sah sich um. Es stimmte, und es stimmte auch wieder nicht. Sein Blick ging über die Terasse, den weitläufigen Park dahinter, die anderen Wohneinheiten, die sich sanft in die Landschaft schmiegten. »Allerdings habe ich mir das Amazonasgebiet immer ganz anders vorgestellt. Anders als bei uns zuhause zumindest.«

Onkel Peret lachte. »Ja, ja, dein Vater hat mir schon von deiner Leidenschaft für die alten Abenteuerbücher erzählt. Aber diese Zeiten sind wirklich sehr, sehr lange her. Heute gibt es keine Wilden und keinen Dschungel mehr, und die gefährlichen Krankheiten sind längst ausgerottet. Auch hier hat die Kultur gesiegt, letzten Endes.«

»Ja, sieht so aus.« Sie waren alle so begeistert davon, alle, die er kannte.

»Kennst du eigentlich schon deine Cousine Gham’bia?« Er bedeutete einem schlaksigen Mädchen, herzukommen. »Gham’bia, ich möchte dir deinen Cousin Tonak aus Europa vorstellen. Er ist mit seinen Eltern erst heute angekommen, gerade noch rechtzeitig zum Fest.«

Sie musterte ihn mit einem Gesichtsausdruck, der deutlich verriet, was sie von dieser Art, ein Gespräch anzubahnen, hielt. »Hallo, Tonak.« Sie gab ihm betont artig die Hand.

Tonak war die Situation unbehaglich. »Hallo, Gham’bia.«

»Tja, ich glaube, ich muß jetzt weiter, meinen Pflichten als Gastgeber nachkommen«, meinte Onkel Peret, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. »Unterhaltet euch schön, ihr zwei. Wir sehen uns später, Tonak, ihr seid ja noch ein paar Tage hier.«

Er bedachte sie mit einem Lächeln, das wohl harmlos wirken sollte, aber nur sehr künstlich aussah, und verschwand rasch zwischen den anderen Gästen.

Die Sonne war dabei unterzugehen, und Dämmerung senkte sich über die Landschaft. Ein sanfter Wind strich durch die Bäume, fremdartiges Zirpen ertönte von irgendwoher. Auf den Tischen brannten Kerzen in gläsernen Schalen, und Fackeln beleuchteten das Buffet und die Wege.

»Tut mir leid, Tonak, daß ich gerade so pampig war«, sagte Gham’bia. »Es hat nichts mit dir zu tun. Ich hasse es nur, wie er mich dauernd umherkommandiert – tu dies, tu das! Oh Gott! Und dauernd versucht er, mich zu verkuppeln. Als ob ich wer weiß wie häßlich wäre und trickreich an den Mann gebracht werden müßte.«

»Also häßlich bist du nicht«, entfuhr es Tonak, der fast rot wurde, als ihm die Kühnheit seines spontanen Ausrufs zu Bewußtsein kam. »Entschuldige.«