Abron wagte nicht, seinen Vater anzusehen, als er entgegnete: "Es gibt Gerüchte in der Stadt, von einer Rebellion, und daß der Kaiser abdanken muß… Wer kann denn noch Haarteppiche bezahlen, wenn der Kaiser nicht mehr da ist?"
"Eher verlöschen die Sterne, als daß der Ruhm des Kaisers erlischt!" dröhnte Ostvan. "Habe ich dir diesen Satz nicht schon beigebracht, als du noch kaum neben mir am Knüpfrahmen sitzen konntest? Glaubst du, irgendwer kann einfach daherkommen und die Ordnung umstoßen, wie Gott sie gefügt hat?"
"Nein, Vater", murmelte Abron. "Natürlich nicht."
Ostvan betrachtete ihn. "Geh jetzt und arbeite am Entwurf deines Teppichs."
"Ja, Vater."
Am späten Abend setzten bei Garliad die Wehen ein. Die Frauen begleiteten sie in das vorbereitete Gebärzimmer; Ostvan und Abron blieben in der Küche.
Ostvan holte zwei Becher und eine Flasche Wein, und sie tranken schweigend. Gelegentlich hörten sie Garliad im Gebärzimmer schreien oder stöhnen, dann geschah wieder lange Zeit nichts. Es würde eine lange Nacht werden.
Als sein Vater die zweite Flasche Wein holte, fragte Abron:
"Was, wenn es ein Junge ist?"
"Das weißt du so gut wie ich", erwiderte Ostvan dumpf.
"Was wirst du dann tun?"
"Seit ewigen Zeiten gilt das Gesetz, daß ein Teppichknüpfer nur einen Sohn haben darf, weil ein Teppich nur eine Familie ernähren kann." Ostvan deutete auf ein altes, fleckiges Schwert, das an der Wand hing. "Damit hat dein Großvater meine zwei Brüder am Tag ihrer Geburt getötet."
Abron schwieg. "Du hast gesagt, Gott hat diese Ordnung gefügt", brach es schließlich aus ihm heraus. "Das muß ein grausamer Gott sein, findest du nicht?"
"Abron!" donnerte Ostvan.
"Ich will nichts zu tun haben mit deinem Gott!" schrie Abron und stürzte aus der Küche.
"Abron! Bleib hier!"
Aber Abron rannte die Treppe zu den Schlafräumen hinauf und kam nicht mehr zurück.
So wartete Ostvan alleine, aber er trank nicht mehr. Die Stunden vergingen, und seine Gedanken verdüsterten sich. Schließlich mischten sich die ersten Schreie eines Kindes in die Schreie der Gebärenden, und Ostvan hörte die Frauen klagen und weinen. Er stand schwerfällig auf, als bereite ihm jede Bewegung Schmerzen, nahm das Schwert von der Wand und legte es auf den Tisch. Dann stand er da und wartete mit dumpfer Geduld, bis die Weise Frau aus dem Gebärzimmer kam, das Neugeborene im Arm. "Es ist ein Junge", sagte sie gefaßt. "Werdet Ihr ihn töten, Herr?"
Ostvan sah in das rosige, zerknitterte Gesicht des Kindes. "Nein", sagte er. "Er soll leben. Ich will, daß er Ostvan heißt, genau wie ich. Ich werde ihn das Handwerk eines Haarteppichknüpfers lehren, und wenn ich nicht mehr lange genug leben sollte, wird ein anderer seine Ausbildung abschließen. Bring ihn wieder zu seiner Mutter, und sag ihr, was ich dir gesagt habe."
"Ja, Herr", sagte die Weise Frau und trug das Kind wieder hinaus.
Ostvan aber nahm das Schwert vom Tisch, ging hinauf damit in die Schlafräume und erschlug seinen Sohn Abron.
© 1995
Das fliegende Auge
Mister President, meine Damen und Herren, ich will die Zeit des Anflugs nutzen, um die technischen Hintergründe dieses Projekts genauer zu erläutern. Wie Sie sich vielleicht erinnern – es ging damals durch die Presse – ist es Ende 1999 in Berkeley Wissenschaftlern erstmals gelungen, die Augen einer Katze so an einen Computer anzuschließen, daß auf dem Bildschirm erschien, was diese Augen sahen. Kurze Zeit später – wie soll ich sagen? – fanden die wichtigsten Mitglieder dieses Forscherteams das Angebot attraktiv, von Berkeley nach Langley zu wechseln und die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht mehr zu publizieren, im Austausch für die Gewißheit, ihrem Land und der Freiheit zu dienen – und für eine Menge Geld, natürlich. Im Jahr darauf funktionierte das, was mit Katzenaugen geglückt war, auch mit den Augen von Vögeln, und 2001 waren die zugehörigen Sender klein und leicht genug, um sie den Tieren auch einzupflanzen. Sie erinnern sich an die Aufnahmen aus Muammar Ghaddafis Garten? Ein Falke, den wir ihm über einen Mittelsmann zukommen ließen. Ein schönes Tier. Und Sie wissen ja, wie diese Orientalen sind – vernarrt in Falken und Hengste und all solches Zeug.
Hmm, ja. Das ist leider wahr – man hatte vergessen, die Ohren des Tieres anzuschließen. Wir konnten Ghaddafi bei zahlreichen Gesprächen beobachten, aber nichts hören. Ja, korrekt; das führte zu einem überraschenden Wechsel an der Spitze des CIA. Nein, wir haben natürlich Lippenleser eingesetzt, auch solche, die des Arabischen mächtig sind, aber diese Schnauzbärte… Aussichtslos.
So, wir sehen nun Peking, meine Damen und Herren, aus etwa fünfzig Metern Höhe. Das Auge einer Fliege an einen Computer anzuschließen, ich kann es Ihnen versichern, ist eine technische Meisterleistung. Wie Sie vielleicht wissen, hat eine Fliege, wie alle Insekten, Facettenaugen, die völlig anders funktionieren als die Augen von Säugetieren oder Vögeln. Eine Vielzahl von einzelnen starren Augen, nicht wahr, die eine Vielzahl von einzelnen Bildern liefern… Aber da sie alle an einen Computer angeschlossen sind, kann man mit entsprechender Software die Informationen der einzelnen Facetten zu einem Gesamtbild umrechnen, das uns Menschen verständlich ist.
Ja, richtig, das ist das, was Sie hier auf dem Bildschirm sehen, Herr Verteidigungsminister. Peking, wie es eine Fliege sieht. Das, was wir gerade überfliegen, müßte der T’ien-T’an-Park sein, dieses Gebäude da unten die Gebetshalle für gute Ernten… Stammt natürlich noch aus der Zeit vor der Revolution. Dort vorne sieht man schon das große Mao-Standbild, wir sind also tatsächlich im Ch’ung-Wen-Distrikt… Achten Sie auf das niedrige gelbe Gebäude schräg dahinter, ungefähr in Bildmitte, das ist der Sitz des chinesischen Ministerpräsidenten. Wir halten direkt darauf zu.
Wie bitte? Ja, selbstverständlich, wir können die Fliege steuern. Sonst würden wir wahrscheinlich im nächsten Misthaufen landen, nicht wahr, ha ha? Dirigieren ist das bessere Wort, ja. Kleine elektrische Impulse, die die Flugrichtung beeinflussen. Es funktioniert ziemlich gut – jedenfalls haben die Jungs eine Menge erstklassiger Aufnahmen aus Damenumkleideräumen… Oh, Verzeihung, Frau Außenminister.
Wie auch immer, diese Fliege ist vor einigen Tagen von einem ferngelenkten Miniatur-U-Boot an der nordchinesischen Küste ausgesetzt worden und hat sich in langen Flugetappen Richtung Peking bewegt. Die Funksignale sind natürlich verschlüsselt und werden per Satellit… Die Energie? Ja, Sie haben recht. Das ginge nicht, wenn wir der Fliege auch noch eine Batterie hätten aufbürden müssen; damit wäre sie auch nicht weit gekommen. Nein, die elektrischen Anschlüsse im Körper der Fliege beziehen ihre Energie direkt aus den Zellen, über einen elektrochemischen Prozeß, den ich, ehrlich gesagt, nicht verstanden habe. Der Professor kann Ihnen das nachher sicher besser erklären als ich. Nein, billiger ist es auf keine Fall. Die Umrüstung dieser Fliege hat ungefähr fünfzehn Millionen US-Dollar gekostet. Wobei man berücksichtigen muß, daß sich dieser Betrag reduzieren wird, sobald wir über das Prototyp-Stadium hinaus sind. Ich sage das, weil der Herr Staatssekretär hier einen Moment blaß wurde… Nichts für ungut, Jim!