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James White

Sector General

Den Freunden von Kilgore Traut gewidmet, die das Unmögliche mit jener Geringschätzung behandelt haben, die es verdient

Orbit Hospital 05

HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY

Band 06/4978

Titel der englischen Originalausgabe Sector General 1993 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

EIN UNFALL

ACCIDENT

Der Retlin-Komplex war zugleich der größte Terminal und der einzige Raumhafen auf Nidia und, so dachte MacEwan spöttisch, obendrein auch noch der beliebteste Zoo. In der großen Wartehalle wimmelte es von den hier einheimischen, pelzigen Flugpassagieren sowie von Touristen und Bodenpersonal. Aber der größte Andrang herrschte draußen vor den transparenten Wänden der Abflughalle, wo sich Nidianer jeden Alters vor Neugierde fast umrempelten, um einen Blick auf die wartenden Raumpassagiere werfen zu können.

Vor den Angehörigen des Monitorkorps, die MacEwan und seinen Gefährten eskortierten, ging die Menge jedoch sofort auseinander — kein Einheimischer würde es jemals wagen, bei einem Fremdweltler Ärgernis zu erregen, und sei es auch nur durch einen unbeabsichtigten Körperkontakt. Vom Eingang der Abflughalle wurden die beiden in ein kleines Bürogebäude geführt, dessen transparente Wände sich bei ihrem Herannahen bis zur Undurchsichtigkeit trübten.

Der Mann, der ihnen gegenüberstand, war zwar Colonel und damit der ranghöchste Offizier des Monitorkorps auf Nidia, blieb aber dennoch respektvoll stehen, bis sich seine Besucher gesetzt hatten, wie es bei der ersten Begegnung mit dem namhaften Terrestrier MacEwan und dem nicht weniger berühmten Orligianer Grawlya-Ki angemessen war. Der Colonel verharrte noch einen Augenblick lang in dieser Stellung und musterte mit höflicher Mißbilligung die Uniformen seiner Gäste — zerschlissene und verschmutzte Relikte eines fast vergessenen Kriegs. Dann warf er einen flüchtigen Blick auf den Solidographen, der auf einer Ecke des Schreibtischs stand, und setzte sich.

Mit ruhiger Stimme sagte er: „Die Planetenversammlung hat beschlossen, daß Sie auf Nidia nicht länger erwünscht sind, und ersucht Sie deshalb, den Planeten unverzüglich zu verlassen. Man hat meineOrganisation mit der Durchführung dieses Ersuchens beauftragt, da sie nach unseren Maßstäben einer neutralen außerplanetarischen Polizeitruppe am nächsten kommt. Mir wäre es angenehm, Sie würden Nidia ohne Anwendung physischer Gewalt verlassen. Es tut mir leid. Das alles ist auch für mich höchst unerfreulich, aber ehrlich gesagt, muß ich den Nidianern recht geben. Ihre ursprünglich friedensstiftenden Aktivitäten sind in letzter Zeit viel zu… ahm… kriegerisch geworden.“

Grawlya-Kis Brustumfang schwoll plötzlich so bedrohlich an, daß der starre, stachelige Pelzbesatz knirschend am alten Kampfharnisch entlangschabte. Der Orligianer sagte jedoch nichts.

MacEwan hingegen entgegnete müde: „Wir haben nur versucht, den Leuten begreiflich zu machen, daß sie.“

„Ich weiß, was Sie versucht haben“, unterbrach ihn der Colonel. „Aber während einer Probe gleich ein halbes Fernsehstudio auseinanderzunehmen, war wohl nicht der richtige Weg. Abgesehen davon wissen Sie genausogut wie ich, daß Ihre Anhänger in Wirklichkeit viel größeres Interesse an Krawall als an der Verbreitung Ihrer Ideen hatten. Durch Ihre Schuld haben die einen Vorwand gefunden, alles kurz und.“

„Immerhin hat das Stück den Krieg verherrlicht“, verteidigte sich MacEwan.

Der Blick des Monitors huschte kurz zum Solidographen hinüber und richtete sich dann wieder auf Grawlya-Ki und MacEwan. Die Stimme des Colonels klang jetzt sanfter: „Glauben Sie mir, es tut mir wirklich leid, aber Sie müssen Nidia verlassen. Ich kann Sie natürlich nicht dazu zwingen, aber Sie sollten am besten auf Ihre Heimatplaneten zurückkehren, wo Sie sich erholen und den Rest Ihres Lebens in Frieden verbringen können. Wahrscheinlich haben die Kriegsverletzungen bei Ihnen tiefe seelische Narben hinterlassen, womöglich brauchen Sie sogar psychiatrische Hilfe. Naja, und außerdem glaube ich, verdienen Sie beide jetzt selbst ein bißchen von dem Frieden, den Sie so verzweifelt für die gesamte Föderation herbeisehnen.“

Als er keine Antwort erhielt, seufzte der Colonel und fragte: „Wohin wollen Sie also diesmal fliegen?“

„Nach Traltha“, antwortete MacEwan.

Der Monitor machte ein erstauntes Gesicht. „Das ist ein heißer und stark industrialisierter Planet mit hoher Gravitation, der von schwerfälligen, sechsbeinigen Elefanten bevölkert ist. Das sind doch fleißige, friedliebende und zivilisatorisch völlig stabile Wesen. Auf Traltha hat es seit tausend Jahren keinen Krieg mehr gegeben. Dort würden Sie nur Ihre Zeit verschwenden und sich im übrigen überhaupt nicht wohl fühlen. Nun gut, aber das ist schließlich Ihre persönliche Entscheidung.“

„Der Wirtschaftskrieg hört auf Traltha niemals auf“, widersprach MacEwan, „und eine Kriegsart kann zur anderen führen.“

Der Colonel versuchte erst gar nicht, seinen Unmut zu verbergen. „Sie machen sich völlig grundlos Sorgen. Außerdem ist es sowieso Sache des Monitorkorps, den Frieden aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zu Ihnen gehen wir dabei ruhig und besonnen vor, indem wir potentielle Störenfriede und gefährliche Situationen genau beobachten und frühzeitig, noch bevor die Vorgänge außer Kontrolle geraten können, mit geringstmöglicher Stärke reagieren. Wir leisten gute Arbeit, wenn ich das selbst einmal sagen darf. Aber Traltha stellt nun wirklich keine Gefahr dar, weder jetzt noch in absehbarer Zukunft.“ Er lächelte. „Da wäre sogar ein zweiter Krieg zwischen Orligia und der Erde wahrscheinlicher.“

„Den wird es garantiert nicht mehr geben, Colonel“, erwiderte Grawlya-Ki, wobei er die ausdruckslose Translatorstimme mit einem gedämpften Brummen unterlegte, das wie eine unterschwellige Drohung klang.

„Feinde, die sich gegenseitig bis aufs Blut bekämpft haben, werden später meistens die besten Freunde. Aber es muß auch noch einen einfacheren Weg geben, neue Freundschaften zu stiften.“

Bevor der Offizier etwas entgegnen konnte, fuhr MacEwan schnell fort: „Ich kann die Vorgehensweise des Monitorkorps durchaus nachvollziehen, Colonel, und ich billige sie sogar. Das tun wir alle. Das Korps wird zwar von allen Spezies stets rasch als die einzige Organisation anerkannt, die die administrativen und polizeilichen Aufgaben wahrnimmt und dem Gesetz der Föderation Geltung verschafft, aber dennoch kann daraus niemals eine Truppe entstehen, die sich aus wirklich vielen verschiedenen Spezies zusammensetzt. Die Offiziere werden zwangsläufig fast ausschließlich von Terrestriern gestellt. Wenn aber eine einzige Spezies so viel Macht besitzt, birgt das die Ge…“

„Wir sind uns dieser Gefahr sehr wohl bewußt“, unterbrach ihn der Colonel. „Unsere Psychologen arbeiten bereits an den sich daraus ergebenden Problemen, und im übrigen sind unsere Monitore für die Kontaktverfahren mit ETs hochqualifiziert“, verteidigte er sich. „Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit sicherzustellen, daß sämtliche Mitglieder einer Schiffsbesatzung, die mit anderen Spezies Kontakt aufnimmt, die gleiche Ausbildung erhalten. Dadurch ist sich jedes einzelne Besatzungsmitglied ständig der Gefahr und auch der möglichen Konsequenzen bewußt, die unbedachte und eventuell als feindlich aufgefaßte Äußerungen oder Taten hervorrufen können. Wir reißen uns fast ein Bein dabei aus, bei niemandem Anstoß zu erregen, das wissen Sie doch genau!“

Der Colonel war eben vor allem Polizist, dachte MacEwan, und wie jeder anständige Polizist nahm er jegliche Kritik an seiner Truppe krumm. Außerdem wuchs sein Ärger über die zwei alternden Kriegsveteranen derart rasch an, daß dem Gespräch ein vorzeitiges Ende drohte.