Das Tosen in MacEwans Kopf war lauter als jedes Geräusch, das er jemals in seinem Leben gehört hatte, und wegen der großen, pulsierenden Flecken vor den Augen konnte er nur noch verschwommen erkennen, wie der Hudlarer gerade einen erneuten Versuch unternahm, die Abdeckhaube zu zerbrechen. MacEwan schüttelte den Uniformrock ab, knüllte ihn fest in der Faust zusammen und preßte ihn als Behelfsfilter auf den Mund. Mit der anderen Hand drückte er sich die Nidianermaske gegen das Gesicht, um wenigstens die Augen vor dem Chlor zu schützen. Er atmete vorsichtig ein und bemühte sich, nicht zu husten, während der Hudlarer den Tentakel zu einem weiteren Versuch zurückschwang.
Diesmal schlug er wie ein Rammbock zu, und die Abdeckhaube flog samt Schaltpult und Sockel in sämtliche Einzelteile auseinander.
„Oh, ich war wohl etwas ungeschickt, tut mir leid“, entschuldigte sich der Hudlarer langsam. „Aber der Nahrungsmangel beeinträchtigt leider mein Urteilsvermögen.“
Er brach ab, als ein lauter, doppelter Gongton erklang, die Türen des Bordtunnels aufglitten, und sie alle plötzlich in einem Strom von kühler, reiner Luft badeten. Eine automatisch ausgelöste Ansagestimme verkündete: „Die Passagiere werden gebeten, sich auf das Rollband zu begeben und die Reisedokumente zur Kontrolle bereitzuhalten.“
Die zwei Hudlarer besaßen zusammen noch genügend Kraft, die schwerer Verletzten auf das Rollband zu heben, bevor sie selbst darauf stiegen. Danach fingen sie sofort an, sich gegenseitig mit dem Nahrungspräparat zu besprühen, wobei sie unübersetzbare Laute von sich gaben. Inzwischen rannten Mitglieder des nidianischen Notdienstes, gefolgt von einigen illensanischen und weiteren extraterrestrischen Ärzten, über den feststehenden Rahmen des Rollbands in die entgegengesetzte Richtung.
Durch den Zwischenfall verzögerte sich der Abflug des tralthanischen Schiffs um sechs Stunden. Man nutzte die Zeit, um die nur leicht verwundeten Wesen zu behandeln und an Bord zu bringen, während die Schwerverletzten in die verschiedenen Fremdweltlerquartiere der Stadt transportiert wurden, wo man sie unter genaue Beobachtung von Ärzten ihrer jeweils eigenen Spezies stellen konnte. Das Unfallfahrzeug war nach der geglückten Rettung der verletzten illensanischen Insassen rückwärts aus der transparenten Wand herausgezogen worden, und nun blies durch das klaffende Loch ein kalter Wind vom Vorfeld herein.
Grawlya-Ki, MacEwan und der Colonel standen neben dem Eingang zum Bordtunnel. Das Mehrfachchronometer über ihnen zeigte an, daß es nur noch knapp eine halbe terrestrische Stunde bis zum Start war.
Der Colonel streifte mit einem Stiefel an einem der Überreste des zerstörten Schaltpults entlang und sagte, ohne die beiden Kriegsveteranen anzublicken: „Sie hatten Glück. Wir alle hatten Glück. Ich mag gar nicht an die Folgen denken, wenn Sie es nicht geschafft hätten, die Verwundeten nach draußen zu schaffen. Aber Sie — Sie beide und die Hudlarer — haben zur Rettung sämtlicher Verletzten einen wesentlichen Beitrag geleistet, bis auf die fünf bedauernswerten Wesen, die so oder so gestorben wären.“
Er lachte verlegen und blickte auf. „Die extraterrestrischen Ärzte halten zwar einige Ihrer primitiven Vorstellungen von Erster Hilfe für schlichtergreifend furchterregend, aber schließlich haben Sie niemanden getötet, sondern sogar Leben gerettet, und das direkt vor den Augen der Fernsehkameras, so daß ganz Nidia und alle extraterrestrischen Besucher die Übertragungen verfolgen konnten. Auf diese Weise haben Sie Ihren Appell zu engerem und offenerem Kontakt zwischen den Spezies in einer Art an die Öffentlichkeit gerichtet, die wir bestimmt nicht vergessen werden. Sie sind wieder Helden, und ich glaube — nein, verdammt, ich bin mir sogar sicher —, daß die Nidianer ihren Ausweisungsbescheid auf der Stelle wieder aufheben werden, wenn Sie die hiesige Behörde nur darum bitten.“
„Wir fliegen lieber nach Hause“, entgegnete MacEwan entschieden. „Nach Orligia und zur Erde.“
Der Colonel blickte jetzt noch verlegener drein und erwiderte: „Ich kann Ihre Ansicht über diese plötzliche Änderung der öffentlichen Meinung gut verstehen. Aber die Regierungen sind Ihnen jetzt einfach dankbar. Außerdem brennen sämtliche Reporter darauf, seien es nun Nidianer oder Fremdweltler, mit Ihnen ein Interview führen zu können. Sie können sicher sein, daß man Ihren Ideen aufmerksam zuhört. Aber falls Sie eine Art öffentlicher Entschuldigung verlangen, könnte ich natürlich das eine oder andere arrangieren.“
MacEwan schüttelte den Kopf. „Wir fliegen ab, weil wir glauben, die Lösung des Problems gefunden zu haben. Wir kennen jetzt das gemeinsame Interessengebiet, für das sich alle intelligenten Spezies einsetzen werden, ein Vorhaben, an dem zukünftig bestimmt alle gern mitarbeiten. Die Lösung lag die ganze Zeit über direkt vor unserer Nase, aber bis zum heutigen Zeitpunkt waren wir einfach zu dumm, um darauf zu kommen.
Die Durchführung dieses Projekts ist allerdings wirklich keine Aufgabe für zwei müde, alte Veteranen, von denen die Leute langsam die Nase voll haben“, fuhr er lächelnd fort. „Denn für die Koordination dieses Vorhabens braucht man erstens eine Organisation wie Ihr Monitorkorps, zweitens dietechnischen Mittel eines halben Dutzends Planeten, drittens viel mehr Geld, als ich mir überhaupt vorstellen kann, und viertens viel, viel Zeit.“
Als er mit seinen Erläuterungen fortfuhr, war sich MacEwan durchaus der aufgeregten Geschäftigkeit unter den Mitarbeitern des Fernsehteams bewußt, das sich in der Hoffnung auf ein Interview mit ihm und Grawlya-Ki ein Stück abseits von ihnen gehalten hatte. Zwar bekamen die Journalisten kein Interview, dafür nahmen sie aber MacEwans abschließende Worte an den Colonel auf. Und als sich der Orligianer und der Terrestrier schließlich zum Gehen wandten, konnten sie auch ein nicht ganz so interessantes Bild vom ranghöchsten Offizier des Monitorkorps auf Nidia übertragen, der völlig reglos mit doppelt angewinkeltem Arm in Denkerpose dastand. In den Augen des Terrestriers aber strahlte ein seltsamer Glanz, und auf dem rosigen, pelzlosen Gesicht lag ein Ausdruck, den die anwesenden Journalisten natürlich nicht deuten konnten.
Die Durchführung des Projekts beanspruchte eine sehr lange Zeit, die selbst die großzügigsten Schätzungen bei weitem übertraf. Immer wieder mußte man die ursprünglichen und relativ bescheidenen Pläne erweitern, denn es verging kaum ein Jahrzehnt, in dem nicht gleich mehrere neuentdeckte intelligente Spezies der Föderation beitraten, für die ebenso Platz geschafft werden mußte wie für alle anderen. Die erforderliche Konstruktion fiel so gewaltig und kompliziert aus, daß letztendlich von den verschiedensten Spezies auf Hunderten von Planeten einzelne Bauteile gefertigt worden waren, die man wie Teile eines ungeheuren dreidimensionalen Puzzles zum Montageplatz transportiert hatte.
Das gewaltige Gebäude, das schließlich im galaktischen Sektor zwölf Gestalt angenommen hatte, war ein Krankenhaus, und zwar eins, das alle früheren Krankenhäuser vollkommen überflüssig machte. Auf den dreihundertvierundachtzig Ebenen dieser einmaligen Einrichtung konnten die Umweltbedingungen sämtlicher zur galaktischen Föderation gehörender Lebensformen reproduziert werden — ein biologisches Spektrum, das bei den unter extremen Kältebedingungen lebenden Methanarten begann undüber die eher normalen Sauerstoff- und Chloratmer bis zu den Exoten reichte, die von der direkten Umwandlung harter Strahlung lebten.
Das Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwölf stellte hinsichtlich seiner technischen Leistungsfähigkeit wie auch seiner psychologischen Betreuung gleich ein doppeltes Wunder dar. Für Nachschub, Wartung und Verwaltung des Krankenhauses war in erster Linie das Monitorkorps zuständig. Die sonst üblichen Reibereien zwischen militärischen und zivilen Mitarbeitern traten hier allerdings so gut wie nie auf. Genauso selten waren ernsthafte Meinungsverschiedenheiten unter den ungefähr zehntausend Angehörigen des medizinischen Personals, das sich aus mehr als sechzig verschiedenen Lebensformen mit ebenso vielen unterschiedlichen Ernährungs- und Verhaltensweisen, Körpergerüchen und Lebensanschauungen zusammensetzte. Ihr vielleicht einziger gemeinsamer Nenner war das Anliegen aller Ärzte — unabhängig ihrer Größe, Gestalt oder Anzahl der Beine —, nämlich Kranke zu heilen.