„Subraumfunkübertragung in fünf Sekunden“, sagte die gedämpfte Stimme von Lieutenant Haslam aus dem Kabinenlautsprecher. „Bereiten Sie sich auf die üblichen Schwankungen in den Beleuchtungs- und künstlichen Schwerkraftsystemen vor.“
Als die Kabinenbeleuchtung flackerte und das Deck unter den Füßen zu rucken schien, war Conway schließlich gezwungen, sich anderen Gedanken zuzuwenden — insbesondere den Problemen, die bei der Übertragung von Nachrichten über interstellare Entfernungen auftraten, gegen die das Senden eines Notsignals ein vergleichsweise einfaches Verfahren war.
So, wie man nur eine Methode kannte, schneller als Licht zu reisen, gab es auch nur ein Verfahren, Hilfe herbeizurufen, wenn ein Schiff durch einen Unfall oder technischen Defekt zwischen den Sternen gestrandet war. Der mit festem Leitstrahl arbeitende Subraumfunk konnte unter Notfallbedingungen nur selten eingesetzt werden, da er durch dazwischenliegende Sternkörper Störungen ausgesetzt war und überdies Unmengen von Schilfsenergie benötigte — Energie, die ein in Not geratenes Schiff zumeist gar nicht mehr aufbringen konnte. Doch eine relativ simple ’Notsignalbake’ brauchte keine Nachrichten zu übermitteln — sie war einfach ein nuklearbetriebenes Gerät, das ein Peilsignal sendete, einen Hilferuf im Subraum, der immer wieder sämtliche verwendbaren Funkfrequenzen durchlief, bis er einige Stunden später verstummte. Und in diesem Fall war der Ruf mitten in einer Wolke aus Wrackteilen verstummt, zwischen denen sich ein Überlebender befunden hatte, der sich wirklichsehr glücklich schätzen konnte, überhaupt noch am Leben zu sein.
Wenn man allerdings das Ausmaß der Verletzungen des Wesens bedenkt, kann man eigentlich kaum noch von Glück sprechen, ging es Conway durch den Kopf. Er schüttelte diese für ihn untypisch düsteren Gedanken schnell wieder ab und begab sich nach unten auf das Unfalldeck, um den Zustand des Patienten zu überprüfen.
Der Überlebende war ein warmblütiger Sauerstoffatmer von annähernd doppeltem Körpergewicht eines erwachsenen Terrestriers und physiologisch als EGCL klassifiziert worden. Optisch glich er einer riesigen Schnecke mit hohem, kegelförmigem Haus, das um die Spitze herum durchlöchert war, wo sich auch die vier ausstreckbaren Augen befanden. Am unteren Rand dieses Panzers waren im gleichen Abstand wie die Löcher in der Spitze acht dreieckige Schlitze, aus denen die Greiforgane heraushingen. Der Panzer ruhte auf einem dicken, runden Muskelballen, der das Fortbewegungssystem des EGCL darstellte. Um den Rand des Ballens herum befand sich eine Anzahl von fleischigen Fortsätzen, Vertiefungen und Schlitzen, die mit den Nahrungsaufnahme-, Atmungs-, Ausscheidungs- und Fortpflanzungsorganen sowie mit Fühlern verbunden waren, die nicht der visuellen Wahrnehmung dienten. Nachdem man die vom Überlebenden benötigten Schwerkraft- und Atmosphärebedingungen abgeschätzt hatte, war die Gravitation mit Rücksicht auf den ernsthaft geschwächten Zustand und zur Unterstützung der Herztätigkeit des Patienten verringert worden. Gleichzeitig hatte man den Druck erhöht, damit die Blutung nicht durch die Auswirkungen eines Druckabfalls vergrößert werden konnte.
Während Conway neben der Drucktragbahre stand und auf den schrecklich zugerichteten EGCL hinabblickte, kamen die Pathologin Murchison und Oberschwester Naydrad hinzu. Es handelte sich dabei um dieselbe Bahre, mit der man den Verletzten schon aus dem Wrack geborgen hatte, und die bald noch einmal für den Transport des EGCL ins Hospital eingesetzt werden würde, da der Patient keiner unnötigen Bewegung ausgesetzt werden sollte. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Transporten bestand darin, daß man den Patienten für den zweiten zurechtgemacht hatte.
Trotz seiner beträchtlichen Erfahrung mit Raumunfallopfern aller Gestalten, Größen und physiologischen Klassifikationen zuckte Conway noch immer unwillkürlich zusammen, wenn er daran dachte, was sie am Unglücksort vorgefunden hatten. Zu dem Zeitpunkt als sie die Kabine entdeckten, in der sich der EGCL befand, drehte sie sich mit rasender Geschwindigkeit um die eigene Achse. Das Unfallopfer im Innern war bereits viele Stunden lang wie wild hin- und hergeworfen worden und hatte dabei mit seinem massiven Körper die Einrichtungs- und Ausrüstungsgegenstände zerstört, bevor es endlich unter einigen dieser von ihm verursachten Trümmer in einer Ecke steckengeblieben war.
Bei diesem Vorgang hatte der Rückenpanzer drei Brüche davongetragen, von denen einer so tief eingedrückt war, daß auch das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen worden war. Obendrein fehlte ein Auge, und zwei der dünnen Greiftentakel waren von scharfkantigen Hindernissen gewaltsam abgetrennt worden. Diese Glieder hatte man aber aus dem Wrack bergen können und für ein mögliches Wiederannähen eingefroren. Zudem befanden sich zahlreiche Stich- und Schnittwunden im Ballen am unteren Rand des Panzers.
Außer einer Notoperation, um den Druck auf das Gehirn zu beheben und der Eindämmung der stärksten Blutungen mit Klammern und provisorischen Nähten sowie einer Unterstützung der Atmung, indem man der noch unbeschädigten Lunge durch Druck Sauerstoff zuführte, konnte man für den Patienten nur sehr wenig tun. Mit Gewißheit gab es an Bord der Rhabwar keine Möglichkeit, die Schädelverletzung zu operieren, denn schon die Bemühungen, das Ausmaß dieser Schädigung zu erfassen, führten lediglich zu widersprüchlichen Ergebnissen zwischen der Biosensorenanalyse und Dr. Priliclas empathisch erlangten Erkenntnissen. Den Sensoren zufolge hatte die Gehirntätigkeit praktisch aufgehört, während der Empath auf das Gegenteil beharrte — soweit der ängstliche, schüchterne und zurückhaltende Prilicla überhaupt auf etwas beharren konnte.
„Keine Körperregung und keine Änderung des Krankheitsbilds, seitdem du weggegangen bist“, sagte Murchison leise und kam damit Conways Frage zuvor. „Allerdings bin ich darüber überhaupt nicht glücklich“, fügte sie mit besorgter Miene hinzu.
„Und ich bin sogar das Gegenteil von glücklich, Doktor“, schloß sich Oberschwester Naydrad an, und ihr Fell sträubte sich und wogte wie in einem starken Wind. „Meiner Meinung nach ist der Patient klinisch tot, und wir sorgen lediglich dafür, daß Thornnastor ein frischeres Exemplar zum Sezieren erhält als sonst üblich.
Bei allem Respekt, aber Doktor Prilicla sagt häufig durchaus unzutreffende Sachen, nur um die Leute in seiner Umgebung zufriedenzustellen“, fuhr die Kelgianerin fort. „Außerdem hat er bei dem Patienten Schmerzen als vorherrschende emotionale Ausstrahlung festgestellt. Wie Sie sich bestimmt erinnern können, war das Gefühl so stark, daß Prilicla gleich nach Abschluß der Operation um sofortige Beurlaubung bat. Meiner Meinung nach ist dieser Patient zu keiner geistigen Reflexion mehr fähig und hat, jedenfalls nach Priliclas Reaktion zu urteilen, obendrein auch noch ungeheure Schmerzen. Ihnen ist doch wohl klar, was Sie zu tun haben, oder etwa nicht?“
„Naydrad!“ begann Conway wütend, verstummte dann aber. Murchison und die Oberschwester hatten exakt die gleiche Meinung geäußert. Der Unterschied bestand lediglich darin, daß die Kelgianerin wie der Rest ihrer Spezies überhaupt kein Taktgefühl besaß.
Conway starrte einen Augenblick lang das zwei Meter lange, raupenähnliche Wesen an, dessen dichtes, silbriges Fell sich in ständiger wellenförmiger Bewegung befand. Diese Bewegung war bei Kelgianern vollkommen unwillkürlich und wurde durch Reaktionen auf innere und äußere Reize ausgelöst. Mit seiner Fähigkeit zu emotionalem Ausdruck ergänzte der Pelz den Sprechapparat, dem es an einer gewissen Flexibilität des Tonfalls mangelte. Doch durch die Bewegungsmuster des Fells wurde sofort jedem Kelgianer klar, wie sein Partner über das jeweilige Gesprächsthema dachte. Aus diesem Grund konnten diese Wesen also immer offen aussprechen, was sie meinten, und deshalb waren ihnen Begriffe wie Diplomatie, Taktgefühl oder Lügen vollkommen fremd. Conway seufzte.
Er versuchte, seine eigenen Zweifel bezüglich dieses Falls zu verbergen, indem er mit fester Stimme sagte: „Thornnastor setzt viel lieber ein lebendiges Exemplar zusammen, als daß er ein totes seziert. Außerdem haben sich Priliclas empathische Fähigkeiten in einer ganzen Anzahl von Fällen als weit zuverlässiger erwiesen als medizinische Meßgeräte. Schon deshalb können wir uns gar nicht absolut sicher sein, daß es sich hier um einen hoffnungslosen Fall handelt. Und solange wir noch nicht im Hospital sind, bin allein ich für die Behandlung verantwortlich.