Fletcher blickte zum Astronavigator hinüber, und Lieutenant Dodds antwortete: „In zwei Stunden sieben Minuten, Sir.“
„Warten Sie“, bat die Anmeldezentrale.
Es gab eine erneute, diesmal viel längere Pause, bevor die Stimme wieder erklang. „Diagnostiker Thornnastor möchte so bald wie möglich mit Ihnen und Pathologin Murchison über den Gesundheitszustand und das Stoffwechseldiagramm des Patienten sprechen. Chefarzt Doktor Edanelt ist Thornnastor als OP-Assistent zugewiesen worden. Beide Ärzte benötigen Informationen über Art und Ausmaß der Verletzungen des EGCL und bitten Sie, Ihnen unverzüglich Scannerbilder von der äußeren und inneren Beschaffenheit des Körpers zu übermitteln. Bis zum Erhalt anderslautender Instruktionen sind Sie selbst für den cinrusskischen Patienten verantwortlich. Chefpsychologe O’Mara will sich mit Ihnen so schnell wie möglich über Prilicla unterhalten.“
Die zwei Stunden und sieben Minuten bis zum Hospital versprachen sehr arbeitsreich zu werden.
Auf dem Frontbildschirm der Rhabwar wuchs das Hospital vor dem stellaren Hintergrund von einem verschwommenen Lichtfleck rasch zu einem immer größeren Gebilde heran, bis es den gesamten Weltraum wie ein riesiger, zylindrischer Weihnachtsbaum auszufüllen schien. Die meisten der zigtausend Fenster waren fast durchgehend hell erleuchtet, wobei die Beleuchtung in den verrücktesten Farbkombinationen und unterschiedlichsten Stärken ausfiel, um den jeweiligen Ansprüchen der Sehorgane der Patienten und Mitarbeiter gerecht zu werden.
Wenige Minuten nach dem Andocken der Rhabwar an Schleuse neun hatte man den EGCL und Prilicla in den Operationssaal drei beziehungsweise auf das Krankenzimmer sieben auf Ebene einhundertdreiundsechzig gebracht. Conway war mit dieser Ebene nicht mehr richtig vertraut, denn die einst auf ihr gelegenen Unterkünfte der FROB-, FGLI- und ELNT-Ärzte hatten sich noch im Umbau befunden, als er zum Dienst auf dem Ambulanzschiff abkommandiert worden war. Die hudlarischen, tralthanischen und melfanischen Ärzte verfügten nun über geräumigere Quartiere, und aus ihren alten Wohnungen war inzwischen die Notaufnahme- und Behandlungsebene für warmblütige Sauerstoffatmer geworden. Die umgebaute Ebene verfügte jetzt über eigene Operationssäle, Intensiv-, Beobachtungs- und Genesungsstationen sowie über eine Diätküche, die die Hauptnahrungsmittel jeder bekannten warmblütigen Spezies der Sauerstoffatmer zubereiten konnte.
Als Naydrad und Conway gerade den verunglückten EGCL von der mit Lebenserhaltungs- und Biosensorsystemen ausgerüsteten Bahre in den ebenso ausgestatteten Operationssaal verlegten, trafen Thornnastor und Edanelt ein.
Daß man Chefarzt Dr. Edanelt für diesen Fall ausgewählt hatte, war nicht nur eine selbstverständliche, sondern fast zwangsläufige Entscheidung gewesen. Der krabbenähnliche Melfaner galt nicht nur als einer der besten Chirurgen des Hospitals, der ständig vier Physiologiebänder gespeichert hatte und Gerüchten zufolge kurz vor der Beförderung zum Diagnostiker stand, sondern kam auch mit seiner physiologischen Klassifikation ELNT von allen Lebensformen des medizinischen Personals der Spezies des überlebenden EGCL wahrscheinlich am nächsten — ein äußerst wichtiger Faktor, wenn kein Physiologieband über den zu behandelnden Patienten zur Verfügung stand. Thornnastor, der elefantenartige leitende Diagnostiker der Pathologie, hatte dagegen keinerlei körperliche Gemeinsamkeiten mit dem Patienten, außer daß er die gleiche Luft atmete.
Obwohl er ein FGLI von Traltha war und als solcher einer der körperlich größeren intelligenten Spezies angehörte, war Thornnastor alles andere als ein Chirurg mit nur durchschnittlichen Fähigkeiten. Doch bei diesem Fall bestand seine Hauptaufgabe darin, rasch die Physiologie und den Stoffwechsel des Überlebenden zu untersuchen und unter Anwendung seiner großen Erfahrung auf dem Gebiet der ET-Pathologie und mit den seiner Abteilung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die benötigten Medikamente herzustellen — wozu sichere Betäubungs-, Gerinnungs- und Geweberegenerationsmittel gehören würden.
Conway hatte den Fall mit Edanelt bereits kurz nach dessen Erscheinen im OP in allen Einzelheiten besprochen, genauso wie dies Murchison mit ihrem Chef Thornnastor getan hatte. Der Chefdiagnostiker wußte, daß sich ihre Bemühungen zuerst auf die Behebung der gröberen Verletzungen richten mußten. Erst danach konnte man mit der äußerst heiklen, gefährlichen und vielleicht sogar unmöglichen Operation beginnen, mit der der Druck auf das Gehirn und die von der stark eingedrückten Panzerfraktur hervorgerufenen Verletzungen des Gehirns und der benachbarten Organe behoben werden sollte. In dieser Phase würde man zur Überwachung der Operation die Hilfe von Prilicla und seinen äußerst feinfühligen und präzisen empathischen Fähigkeiten brauchen, um dem EGCL ein zukünftiges Dahinvegetieren als geistiger Krüppel zu ersparen.
Conways Anwesenheit war nicht länger erforderlich, deshalb würde es sinnvoller für ihn sein, sich mit O’Mara über Priliclas Gesundheitszustand zu unterhalten.
Als er sich entschuldigte und den OP verließ, winkte Edanelt zum Abschied mit einer seiner krebsähnlichen Scheren, die er mit einem schnelltrocknenden Plastikfilm besprühte, den melfanische Ärzte Handschuhen vorzogen. Thornnastors vier Augen hingegen blickten auf den Patienten, auf Murchison und auf zwei verschiedene Gegenstände seiner Ausrüstung, so daß er Conway nicht hinausgehen sah.
Im Flur blieb Conway einen Moment lang stehen, um über den schnellsten Weg zum Büro des Chefpsychologen nachzudenken. Wie er wußte, gehörten die drei Ebenen über seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort zum Bereich der chloratmenden Illensaner — wäre ihm das nicht bekannt gewesen, dann hätten ihn die über den Luftschleusen zwischen den Ebenen angebrachten Warnungen vor Vergiftungsgefahr darüber aufgeklärt. Von den unter ihm liegenden Ebenen ging jedoch keine Verseuchungsgefahr aus, da die beiden oberen davon mit den sauerstoffatmenden MSVK- und LSVO-Lebensformen belegt waren, dieein Viertel der normalen Erdanziehungskraft benötigten und Ähnlichkeit mit dünnen, dreifüßigen Störchen hatten. Unter den beiden Ebenen dieser Spezies befanden sich die wassergefüllten Stationen der Chalder, denen sich schließlich ein Stockwerk tiefer die erste nichtmedizinische Behandlungsebene anschloß, auf der O’Maras Abteilung lag.
Auf seinem Weg nach unten zwitscherte ihm eine Gruppe MSVK-Ärzte vom Planeten Nallajim einen Gruß zu und um ein Haar wäre ihm ein Patient gegen die Brust geflogen, der sich schon auf dem Weg der Besserung befand, kurz bevor er die Schleuse zur AUGL-Abteilung erreicht hatte. Für den nun vor ihm liegenden Abschnitt mußte er einen leichten Schutzanzug anlegen und durch die gewaltigen Becken schwimmen, in denen die bis zu zwölf Meter langen wasseratmenden Wesen von Chalderescol II schwerfällig wie gepanzerte Krokodile durch ihre warme, grüne Welt trieben. Von seinem Anzug tröpfelte noch immer chalderisches Wasser, als er nur fünfundzwanzig Minuten später in O’Maras Büro eintraf.
Major O’Mara deutete auf ein zur Bequemlichkeit von DBLFs konstruiertes Sitzmöbel und sagte griesgrämig: „Höchstwahrscheinlich waren Sie in Ihrer Eigenschaft als Arzt wieder einmal viel zu beschäftigt, um sich mit mir in Verbindung zu setzen, Doktor. Verschwenden wir also erst gar keine Zeit mit Entschuldigungen, sondern berichten Sie mir gleich von Doktor Prilicla.“
Conway wand sich vorsichtig in den Kelgianerstuhl hinein und beschrieb umfassend den Gesundheitszustand des Cinrusskers, und zwar vom ersten Auftreten der Krankheitssymptome bis hin zu dem Punkt, an dem nur noch eine Behandlung mit Beruhigungsmitteln angezeigt gewesen war, wobei er auch auf die äußeren Begleitumstände zu sprechen kam. Während Conways Bericht blieben die zerfurchten Gesichtszüge des Chefpsychologen vollkommen reglos, und in seinen Augen, die einen so scharf analytischen Verstand enthüllten, daß O’Mara das besaß, was man fast als telepathische Fähigkeiten bezeichnen konnte, war genausowenig zu lesen.