Выбрать главу

Als Chefpsychologe des größten Hospitals der Föderation mit vielfachen Umweltbedingungen war er für das geistige Wohlbefinden eines Mitarbeiterstabs verantwortlich, der sich aus mehreren tausend Wesen zusammensetzte, die wiederum mehr als sechzig verschiedenen Spezies angehörten. Obwohl er innerhalb des Monitorkorps nur den Rang eines Majors bekleidete — den man ihm sowieso lediglich aus administrativen Gründen verliehen hatte —, waren seine Machtbefugnisse innerhalb des Hospitals nur schwer einzugrenzen. Für ihn waren die Mitarbeiter, ganz unabhängig von ihrer Position, die eigentlichen Patienten. Eine seiner wichtigsten Aufgaben war sicherzustellen, daß jedem einzelnen der in ihrer Vielfalt oft seltsamen und geradezu exotisch anmutenden Patienten im Hospital der für ihn am besten geeignete Arzt zugeteilt wurde und auf keiner Seite xenophobische Komplikationen auftraten.

Zudem war er für die medizinische Elite des Hospitals, die Diagnostiker, verantwortlich. Nach O’Maras eigenen Angaben war das hohe Niveau der psychischen Stabilität innerhalb des bunten Haufens der häufig hochsensiblen Mitarbeiter allein darauf zurückzuführen, daß sie schlichtweg viel zuviel Angst vor ihm hatten, um durchzudrehen.

O’Mara beobachtete Conway bis zum Ende seiner Ausführungen genau und sagte dann: „Ihr Bericht klingt zwar einleuchtend und prägnant und ist womöglich auch zutreffend, Doktor, aber Sie sind schließlich ein enger Freund des Patienten. Deshalb besteht durchaus die Möglichkeit, daß Ihr Urteilsvermögen getrübt ist und Sie übertreiben. Außerdem sind Sie kein Psychologe, sondern Arzt und Chirurg für ETs, der allerdings offenbar bereits zu dem Schluß gekommen ist, daß dieser Fall von meiner Abteilung behandelt werden sollte. Verstehen Sie mein Problem? Beschreiben Sie mir bitte Ihre Emotionen während des gesamten Einsatzes, und zwar vom Zeitpunkt der Bergung an bis jetzt. Aber zuerst sollte ich Sie vielleicht fragen, ob Sie sich überhaupt selbst einigermaßen wohl fühlen.“

Alles, was Conway in diesem Augenblick fühlte, war ein starker Anstieg des Blutdrucks.

„Seien Sie dabei so objektiv wie möglich“, fügte O’Mara hinzu.

Conway holte tief Luft und atmete sie durch die Nase langsam wieder aus. „Nach unserer sehr schnellen Reaktion auf das Notsignal hin herrschte ein allgemeines Gefühl der Niedergeschlagenheit, da wir lediglich einen Überlebenden retten konnten, der zudem kaum noch am Leben war. Aber Sie verfolgen da eine falsche Spur, Major. Meiner Überzeugung nach teilten nämlich alle auf dem Schiff dieses Gefühl, aber das war bei weitem nicht so stark, daß man damit die überempfindlichen Reaktionen des Cinrusskers erklären könnte. Schließlich hat Prilicla sogar die emotionale Ausstrahlung von Besatzungsmitgliedern wahrgenommen, die sich am anderen Ende des Schiffs befanden, und zwar mit einer erschreckenden Stärke. Dabei ist das eine Entfernung, aus der normalerweise überhaupt keine Emotionen wahrzunehmen sind. Außerdem war mein Bericht weder von rührseliger Sentimentalität geprägt, noch hab ich die Symptome übertrieben dargestellt. Im Moment fühle ich mich so wie immer in diesem verfluchten Büro, also ziemlich.“

„Immer objektiv bleiben, bitte! Denken Sie daran“, unterbrach ihn O’Mara trocken.

„Ich hab ja gar nicht versucht, die diagnostische Arbeit für Sie zu erledigen, aber die Symptome sprechen nun einmal dafür, daß es tatsächlich ein psychologisches Problem gibt“, fuhr Conway fort, wobei seine Stimme wieder den normalen Gesprächston annahm. „Vielleicht als Folge einer bislang unbekannten Krankheit, einer Organstörung oder eines gestörten Gleichgewichts der Drüsenfunktionen. Ebenso könnte der Gesundheitszustand aber auch eine rein psychologische Ursache haben. Jedenfalls ist das eine Möglichkeit, die man nicht einfach.“

„Möglich ist alles, Doktor“, unterbrach ihn,0’Mara ungehalten. „Seien Sie doch bitte präzise. Was wollen Sie für Ihren Freund tun, und was genau soll ich für ihn tun?“

„Zweierlei“, antwortete Conway. „Zum einen möchte ich, daß Sie selbst noch einmal Priliclas Gesundheitszustand überprüfen.“

„Wie Sie wissen, tu ich das sowieso“, warf O’Mara ein.

„…und mir zum anderen das GLNO-Physiologieband geben“, fuhr Conway fort, „damit ich die nichtpsychologischen Ursachen des Problems entweder bestätigt finde oder ganz ausschließen kann.“

O’Mara schwieg einen Augenblick lang. Sein Gesicht blieb zwar weiterhin so ausdruckslos wie ein Basaltklotz, aber seine Augen verrieten echte Besorgnis. „Sie hatten zwar schon früher Schulungsbänder im Kopf gespeichert und wissen, was Sie erwartet, aber das GLNO-Band ist. ahm. anders. Sie würden sich tatsächlich wie ein todunglücklicher Cinrussker fühlen. Schließlich sind Sie kein Diagnostiker, Conway, jedenfalls noch nicht. Besser, Sie denken noch einmal darüber nach.“

Wie Conway aus eigener Erfahrung wußte, waren die Physiologiebänder irgendwo zwischen den Kategorien ’zweischneidiges Schwert’ und ’notwendiges Übel’ anzusiedeln. Während chirurgisches Können auf persönlicher Begabung, Übung und Erfahrung basierte, konnte man von keinem der Ärzte erwarten, sich in einem Hospital, in dem Wesen der verschiedenartigsten Spezies behandelt wurden, alle notwendigen physiologischen Daten der Patienten zu merken. Diese fast unvorstellbare Datenmenge, die für eine angemessene Behandlung erforderlich war, wurde mittels Schulungsbändern weitergegeben, die nichts anderes waren als die Aufzeichnung der Gehirnströme von medizinischen Kapazitäten der jeweils betreffenden Spezies. Wenn zum Beispiel ein terrestrischer Arzt einen kelgianischen Patienten medizinisch zu versorgen hatte, speicherte er bis zum Abschluß der Behandlung eins der DBLF-Schulungsbänder im Gehirn und ließ es anschließend wieder löschen. Für den betreffenden Arzt selbst war das allerdings alles andere als ein Vergnügen, egal, ob er das Band für eine mehrmonatige Weiterbildung von Mitarbeitern im Kopf speicherte oder lediglich für die Dauer einer einzigen Operation an einem Angehörigen einer anderen Spezies.

Sie konnten sich allenfalls damit trösten, daß es Diagnostikern noch schlechter erging als ihnen.

Ein Diagnostiker gehörte der geistigen Elite des Orbit Hospitals an. Er war eines jener seltenen Wesen, deren Psyche und Verstand als ausreichend stabil erachtet wurden, permanent bis zu zehn Bänder gleichzeitig im Kopf gespeichert zu haben. Ihren mit Daten vollgestopften Hirnen oblag in erster Linie die Aufgabe, medizinische Grundlagenforschung zu leisten und neue Krankheiten bislang unbekannter Lebensformen zu diagnostizieren und zu behandeln. Im Hospital gab es das geflügelte Wort — das angeblich vom Chefpsychologen selbst stammte —, daß jeder geistig Zurechnungsfähige, der freiwillig Diagnostiker werden wollte, schon von vornherein verrückt sein mußte.

Denn mit einem Schulungsband wurden einem nicht nur die physiologischen Fakten einer Spezies ins Gehirn eingeimpft, sondern auch die gesamte Persönlichkeit und das komplette Gedächtnis des Wesens, das dieses Wissen einst besessen hatte. Praktisch setzte sich ein Diagnostiker somit freiwillig einer höchst drastischen Form multipler Schizophrenie aus, zumal die fremden Persönlichkeiten, die seinen Geist scheinbar mit ihm teilten, so vollkommen verschieden waren, daß sie häufig nicht einmal dasselbe logische System anwandten. Darüber hinaus waren diese medizinischen Kapazitäten trotz ihrer führenden Rolle auf dem Gebiet der Heilkunst nur allzuoft äußerst schlechtgelaunte, unangenehme und häufig sogar aggressive Zeitgenossen.

Das alles galt natürlich nicht für das GLNO-Band, wie Conway wußte. Immerhin waren Cinrussker die schüchternsten, freundlichsten und liebenswertesten Geschöpfe, die man sich vorstellen konnte.

„Ich hab darüber nachgedacht, und ich bleibe dabei“, sagte Conway schließlich.

O’Mara nickte und sprach in sein Tischgerät. „Carrington? Chefarzt Conway erhält die Erlaubnis für das GLNO-Band, muß sich aber nach dem Löschen einer einstündigen Nachbehandlung mit Beruhigungsmitteln unterziehen, um die Eindrücke zu verarbeiten. Ich begebe mich jetzt in die Notaufnahme auf Ebene eins sechs drei.“ — plötzlich grinste er Conway an — „…und werde dort versuchen, den Ärzten keine guten Ratschläge zu geben.“