Das voll ausgefahrene Sensorennetz konnte keinerlei Spuren von einem in Not geratenen Schiff entdecken, nicht einmal von Wrack- oder Einzelteilen eines solchen Schiffs. Selbst die sich ausdehnende Wolke aus fein zermahlenen Trümmern, die ein sicheres Anzeichen für eine verheerende Funktionsstörung im Schiffsreaktor gewesen wäre, fehlte völlig. Alles, was man erkennen konnte, war die typische Form einer verstummten und teilweise geschmolzenen Notsignalbake in einer Entfernung von ein paar hundert Metern und ungefähr drei Millionen Kilometer dahinter ein heller, halbmondförmiger Körper, einer der Planeten dieses Sonnensystems.
Aus dem Lautsprecher ertönte die Stimme von Major Fletcher. Der Captain klang nicht gerade zufrieden. „Doktor“, sagte er, „wir können wohl kaum von einem simplen Fehlalarm ausgehen. Denn einerseits sind mit Hyperraumfunk arbeitende Notsignalbaken ausgesprochen kostspielige Geräte, und andererseits hab ich bis jetzt noch nie von einer intelligenten Spezies gehört, die keine Abneigung gegen die Auslösung eines Fehlalarms hegt. Ich vermute, die Besatzung ist in Panik geraten, hat dann aber festgestellt, daß der Zustand des Schiffs gar nicht so desolat war, wiezunächst angenommen wurde. Womöglich hat die Besatzung daraufhin den Flug fortgesetzt oder auf einem Planeten eine Notlandung gewagt, um das Schiff dort zu reparieren. Bevor wir wieder zurückfliegen, sollten wir auf jeden Fall die letzte Möglichkeit ausschließen. Dodds?“
„Das Sonnensystem ist schon vor längerer Zeit vermessen worden“, antwortete die Stimme des Astronavigators. „Es besteht aus einer Sonne des G-Typs und sieben Planeten, von denen einer, nämlich der, den wir sehen, auf kurze Sicht für warmblütige Sauerstoffatmer bewohnbar ist. Noch gibt es dort aber kein intelligentes Leben. Soll ich Kurs zum Nahanfug und Absuchen des Planeten nehmen, Sir?“
„Ja“, bestätigte Fletcher. „Haslam, fahren Sie die weitreichenden Sensoren ein, und bereiten Sie die Abtastung der Planetenoberfläche vor. Lieutenant Chen, ich brauche demnächst Schubkraft, auf mein Zeichen hin geben Sie vier Ge. Und Haslam, nur für den Fall, daß sich das Schiff da unten auf dem Planeten befindet und uns seinen Aufenthaltsort zu signalisieren versucht, hören Sie bitte sämtliche Frequenzen des Normalraum- und Hyperraumfunks ab.“
Als das künstliche Schwerkraftsystem ein paar Minuten später den Schub von vier Ge ausglich, konnte man kurz den Druck des Bodens gegen die Füße spüren. Conway, Pathologin Murchison und Oberschwester Naydrad gingen näher an den Repeaterschirm heran, auf dem die Einzelheiten über Gravitation, Druck und Zusammensetzung der Atmosphäre des Zielplaneten sowie Angaben über dessen Umweltbedingungen aufgelistet waren, die ihn nur mit Einschränkungen bewohnbar machten. Der Empath Dr. Prilicla hing an der für ihn sicheren Decke und betrachtete den Schirm aus etwas größerer Entfernung.
Die Oberschwester, deren silbriges Fell sich vor Aufregung leicht kräuselte, ergriff als erste das Wort. „Unser Schiff darf doch gar nicht auf vollkommen unvorbereiteten Flächen landen“, warnte Naydrad. „Der Boden auf diesem Planeten ist nämlich ziemlich. ziemlich uneben.“
„Warum konnten die nicht wie brave, kleine Aliens im All bleiben und dort auf Rettung warten?“ bemerkte Murchison an niemand Speziellen gewandt.
Conway blickte sie an und antwortete nachdenklich: „Möglicherweise hatte der Notfall gar keine technischen Ursachen. Vielleicht lag es an irgendwelchen Verletzungen, Krankheiten oder psychischen Spannungen innerhalb der Mannschaft. Probleme, die inzwischen längst beseitigt sind. Denn hätte es tatsächlich technische Probleme gegeben, wären sie bestimmt hier oben geblieben, schließlich lassen sich Reparaturen in der Schwerelosigkeit viel leichter durchführen.“
„Nicht unbedingt, Doktor“, mischte sich Fletcher in scharfem Ton vom Kommandodeck aus ein. „Wenn zum Beispiel das technische Problem ein schlimmes Loch im Rumpf war, könnte den Insassen der Aufenthalt in einer atembaren Atmosphäre womöglich sehr viel lieber sein als im schwerelosen und luftleeren Raum. Aber bestimmt haben Sie noch medizinische Vorbereitungen zu treffen.“
Conway spürte in sich die Wut über die kaum versteckte Andeutung Fletchers aufsteigen, er solle sich um seinen eigenen medizinischen Kram kümmern und sich gefälligst nicht in die Angelegenheiten des Captains einmischen. Neben ihm atmete Murchison schwer, Naydrads Fell wurde wie von einem starken Wind in zerzauste Büschel und kleine Wellen gelegt, und mitten in diesem von allen Anwesenden entfachten Gefühlssturm zitterten über ihren Köpfen die sechs insektenartigen Beine und die schillernden Flügel des für Emotionen empfänglichen Prilicla. Aber mit Rücksicht auf den Empathen bemühten sich Conway und die anderen, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
Daß Fletcher, der Kommandant des Schiffs, gern das letzte Wort hatte, war natürlich verständlich, aber er kannte und akzeptierte auch die Tatsache, daß er während einer Rettungsaktion das Kommando über das spezielle Ambulanzschiff des Orbit Hospitals an den ranghöheren Arzt, nämlich Conway, abzutreten hatte. Fletcher war ein guter Offizier, fachlich kompetent und einfallsreich, und zugleich einer der größten Experten der Föderation auf dem Gebiet der vergleichenden ET-Technologie. Aber in der kurzen Zeit, in der die Verantwortung bei Chefarzt Conway lag, nahm er ein unterkühltes und förmliches Gehabe an und schreckte selbst vor Gemeinheiten nicht zurück.
Priliclas Zittern ließ allmählich nach, und der kleine Empath bemühte sich jetzt, die Qualität der emotionalen Ausstrahlung in seiner Umgebung durch ein paar wohldurchdachte Äußerungen noch weiter zu verbessern. „Wenn das vor kurzem in Not geratene Schiff auf dem Planeten gelandet ist“, sagte er schüchtern, „dann können wir daraus ersehen, daß die Besatzung einer sauerstoffatmenden Spezies angehört, wodurch die Vorbereitungen zur eventuellen Aufnahme von Verletzten relativ einfach werden.“
„Das stimmt allerdings“, erwiderte Conway lachend. „Unter diese Kategorie fallen ja nur achtunddreißig verschiedene Spezies“, merkte Naydrad an und fügte trocken hinzu: „Jedenfalls soweit wir bislang wissen.“
Als sich die Rhabwar dem Planeten bis auf seinen doppelten Durchmesser genähert hatte, entdeckten die Sensoren dort eine räumlich stark begrenzte Ansammlung von Metall und die damit verbundene schwache Strahlung, was auf einem unbewohnten Planeten nur die Anwesenheit eines gelandeten Raumschiffs bedeuten konnte. Wegen der geringen Entfernung konnte man schon nach zwei Umläufen die Geschwindigkeit drosseln und in die Atmosphäre eintauchen, um einen genaueren Blick auf den Planeten zu werfen.
Das Ambulanzschiff war ein umgebauter Kreuzer des Monitorkorps und als solcher das größte Schiff der Föderation, das innerhalb einer planetarischen Atmosphäre manövrieren konnte. Es durchschnitt die braune, sandige Luft wie ein riesiger, weißer Dartpfeil und zog dabei eine Schall- und Druckschleppe hinter sich her, die mit ihrer Lautstärke Tote erwecken konnte; zumindest dürfte sie jedem Überlebenden, dessen Gehör auch nur noch ansatzweise funktionierte, die Ankunft des Schiffs signalisiert haben.
Als die Rhabwar das gelandete Schiff erreichte, betrug die Sicht gleich Null. Das gesamte Gebiet wurde gerade von einem der Sandstürme heimgesucht, die regelmäßig über diesen rauhen, beinahe wüstenartigen Planeten hereinbrachen, so daß die Bildschirmdarstellung von der kargen, gebirgigen Oberfläche eher eine Simulation der Sensoren als der wirkliche Anblick war. Auf dieser Abbildung war eine vom Wind zerfressene Hügelkette und zerklüftete Felsvorsprünge zu erkennen, an denen sich stellenweise Dornpflanzen festkrallten. Plötzlich schoß die Rhabwar direkt über das gelandete Schiff hinweg.
Fletcher zog das Ambulanzschiff steil nach oben und kehrte in einem schwerfälligen Looping zurück, um den Landeplatz noch einmal langsamer zu überfliegen. Als die Rhabwar dieses Mal mit geringstmöglicher Geschwindigkeit dicht über das gelandete Schiff hinwegflog, hatte sich der Sturm gerade kurzfristig gelegt, und sie konnten den sich ihnen nun bietenden Anblick fast bis aufs letzte Detail aufzeichnen.