„Trugdils sind eine kelgianische Nagetierspezies“, erklärte sie, „und haben die besonders widerliche Angewohnheit, jeden.“
„Ich weiß“, unterbrach sie der Astronavigator schnell. „Diesen Planeten hat nämlich ein mit Kelgianern bemanntes Aufklärungsschiff des Monitorkorps entdeckt. Beim Korps ist es eigentlich üblich, daß der Captain des Entdeckerschiffs dem neu ermittelten Planeten seinen Namen gibt. Aber in diesem Fall verzichtete der Offizier lieber auf sein Recht und bot es der Reihe nach seinen Untergebenen an, die sich jedoch ebenso allesamt weigerten, ihren Namen für den Planeten herzugeben. Dem endgültigen Namen nach zu urteilen, scheinen sie nicht allzuviel von dieser Welt gehalten zu haben. Es gibt da übrigens noch ein anderes Beispiel, wo die.“
„Sehr interessant“, stellte Conway in ruhigem Ton fest. „Aber wir verschwenden dabei kostbare Zeit. Prilicla?“
Sofort konnte er die Stimme des Empathen in seinem Helmkopfhörer hören. „Ich hab alles mitbekommen, mein Freund. Lieutenant Haslam überträgt mir mit dem Teleskop eine Totale von der Gegend, und durch Ihre Helmkameras bin ich in der Lage, all das mitzuverfolgen, was Sie selbst sehen. Ich bleibe auf Empfang.“
„Sehr gut“, bedankte sich Conway und an die anderen gewandt, fuhr er fort: „Naydrad begleitet mich mit der Bahre. Der Rest teilt sich auf und wird einen kurzen Blick auf die übrigen Verunglückten werfen. Falls sich eins dieser Wesen regen sollte oder Sie Anzeichen für eine vor kurzem erfolgte Bewegung feststellen, rufen Sie sofort Pathologin Murchison oder mich.“
Als sich die anderen daraufhin entfernten, fügte er hinzu: „Es ist äußerst wichtig, daß wir nicht auf Kosten möglicher Überlebender kostbare Zeit mit Leichen verschwenden. Aber seien Sie vorsichtig, denn diese Wesen gehören einer uns unbekannten Spezies an, und wir sind denen umgekehrt genauso fremd. Äußerlich erinnern wir sie vielleicht an irgend etwas, vor dem diese Aliens Angst haben. Obendrein ist ein eventueller Überlebender körperlich geschwächt, zumeist geistig leicht verwirrt und hat Schmerzen. Nehmen Sie sich also vor einer instinktiven, gewalttätigen Reaktion dieser Wesen in acht, mit der man unter normalen Umständen gar nicht rechnen müßte.“ Er hörte schließlich zu reden auf, da die Teilnehmer der Rettungsaktion bereits ausschwärmten. Das erste Unfallopfer lag nur wenige Meter entfernt vollkommen reglos da und war teilweise von Sand bedeckt.
Nachdem Conway zusammen mit Naydrad den Körper vom Sand befreit hatte, sah er ein sechsbeiniges Wesen mit einem gedrungenen, zylindrischen Körper vor sich liegen, an dessen einem Ende sich ein kugelförmiger Kopf und am anderen etwas Ahnliches wie ein Schwanz befand, obwohl man sich wegen der schweren Verletzungen diesbezüglich kaum sicher sein konnte. An den beiden Vordergliedern saßen lange, gelenkige Finger. Am Körper selbst waren zwei Augen zu erkennen, die teilweise von dicken Lidern verdeckt waren. Zudem gab es verschiedene Schlitze und Löcher, die zum einen zweifellos dem Gehör- und Geruchssinn dienten und zum anderen Öffnungen zur Atmung und Nahrungsaufnahme waren. Die Haut, deren blasses Braun an der oben liegenden Seite des Körpers in einen kräftigeren Rotton überging, wies zahlreiche Schnittwunden und Abschürfungen auf, die anfangs zwar reichlich geblutet haben mußten, seit längerer Zeit aber schon von einer Kruste aus geronnenem Blut und Sand überzogen waren — vielleicht hatte der Sand sogar zur Blutgerinnung beigetragen. Selbst die große Wunde am hinteren Teil des Körpers, die so aussah, als würde sie von einer durch Gewalteinwirkung verursachten Amputation herrühren, war bemerkenswert trocken.
Conway beugte sich tiefer über das Wesen und tastete den Körper mit dem Scanner ab. Soweit er feststellen konnte, gab es keinerlei Hinweise auf Frakturen oder Organverletzungen und — verschiebungen. Es war also möglich, das Wesen zu bewegen, ohne dadurch eine Verschlimmerung der Verletzungen zu riskieren. Naydrad wartete noch mit der Bahre, bis endgültig geklärt war, ob es sich um den Körper eines Überlebenden zum sofortigen Abtransport oder um den eines Toten für die spätere Sezierung handelte, als die Sensoren von Conways Scanners plötzlich eine extrem schwache, aber ohne Zweifel vorhandene Herztätigkeit und eine so langsame und flache Atmung feststellten, daß er sie beinahe übersehen hätte.
„Bekommen Sie alles mit, Prilicla?“ fragte Conway aufgeregt.
„Ja, mein Freund“, antwortete der Empath. „Eine äußerst interessante Lebensform.“
„Ich stelle einen beachtlichen Gewebeschwund fest“, fuhr Conway fort. „Womöglich ist das eine Folge des Austrocknungsprozesses. Außerdem besteht eine meines Erachtens nach höchst merkwürdige Ähnlichkeit bezüglich des Ausmaßes und der Art der Verletzungen, die.“ Er verstummte und half Naydrad, den verletzten Alien auf die Bahre zu heben.
„Ganz bestimmt ist Ihnen auch schon in den Sinn gekommen, mein Freund“, sagte Prilicla und bediente sich dabei einer Formulierung, die für seine Verhältnisse schon überdeutlich darauf anspielte, daß jemand die offenkundigste aller Tatsache übersehen hatte, „daß die Austrocknung und die kräftigere Färbung der Epidermis mit Faktoren der hiesigen Umweltbedingungen zusammenhängen könnten und die Rötung der Haut auf Sonnenbrand zurückzuführen ist.“
Darauf war Conway wirklich noch nicht gekommen, aber glücklicherweise befand er sich weit außerhalb der Reichweite des Empathen, so daß dieser seine von Verlegenheit geprägte emotionale Ausstrahlung nicht mitbekommen konnte. Er deutete einfach auf die Bahre und sagte: „Naydrad, vergessen Sie bitte nicht, den Sonnenfilter einzusetzen.“
Im Kopfhörer hörte er Murchison leise lachen, dann sagte sie: „Ich bin auch nicht darauf gekommen, also mach dir bloß keine Gedanken darüber. Aber bei mir hier drüben liegen zwei Wesen, die du dir mal ansehen solltest. Die beiden sind kaum noch am Leben und haben zahlreiche Schnittwunden. Von der Körpergröße her unterscheiden sie sich ziemlich stark. Außerdem ist bei dem größeren Wesen die Anordnung der Innenorgane ziemlich, nun ja, eigenartig. Der Verdauungskanal ist zum Beispiel überhaupt nicht.“
„Im Moment haben wir uns darauf zu beschränken, die Lebenden von den Toten zu trennen“ unterbrach Conway sie. „Ausführliche Untersuchungen und Diskussionen müssen warten, bis wir aufs Schiff zurückgekehrt sind. Also wende für die einzelnen Wesen so wenig Zeit wie möglich auf. Aber ich kann durchaus nachvollziehen, wie dir gerade zumute ist. An meinem Verletzten ist nämlich auch einiges recht seltsam.“
Trotz seiner halben Entschuldigung antworte Murchison nur kühclass="underline" „Jawohl, Herr Doktor!“ Nach Conways Dafürhalten waren Pathologen schon sonderbare Leute, selbst wenn sie so hübsch wie Murchison waren.
„Captain? Lieutenant Dodds? Gibt’s noch irgendwo Überlebende?“ fragte Conway gereizt.
„Ich hab mir die Wesen nicht so genau angeguckt“, antwortete Fletcher mit einer seltsam heiseren Stimme. Vielleicht war der Zustand der Verunglückten für einen Nichtmediziner sehr erschütternd, dachte Conway, denn einige der Verletzten waren wirklich übel zugerichtet. Aber bevor er eine Antwort geben konnte, führ der Captain fort: „Ich hab die ganze Gegend erst einmal überall abgesucht, die Verletzten gezählt und nachgeschaut, ob noch welche unterm Sand begraben oder zwischen den Felsen versteckt waren. Insgesamt sind es siebenundzwanzig. Aber die Lage der einzelnen Körper ist schon merkwürdig, Doktor. Es sieht ganz so aus, als ob unmittelbare Explosions- oder Feuergefahr bestand und die Besatzung mit letzter Kraft aus dem Schiff geflüchtet ist.
Die Sensoren zeigen allerdings keine solche Gefahr an“, fügte er hinzu.
Dodds wartete ein paar Sekunden lang, bis er absolut sicher war, daß der Captain nichts mehr sagen wollte, und meldete dann: „Ich hab drei Überlebende entdeckt, die sich sogar noch bewegen, und einen, der tot aussieht, aber Sie sind der Arzt, Doktor.“ „Danke“, entgegnete Conway trocken. „Wir werden uns die vier so bald wie möglich ansehen. Helfen Sie bitte inzwischen Naydrad beim Einladen der Bahre, Lieutenant.“