Versuchten hier zwei Kämpfer mitten in den Trümmern eines Kriegsschiffs das Gefecht Mann gegen Mann fortzusetzen?
Dutzende von Gedenktafeln, die um den Sockel der Plastik herum gruppiert waren, beschrieben den Vorfall in allen Schriftsprachen der Föderation.
Sie berichteten von dem gewaltigen Zweikampf zwischen dem orligianischen und terrestrischen Schiff. Die beiden Kommandanten waren derart ebenbürtige Gegner gewesen, daß sie nach dem Tod sämtlicher Besatzungsmitglieder, dem völligen Durchlöchern der Schiffe, dem Abfeuern der gesamten Munition und dem Verbrauch der gesamten Restenergie dicht nebeneinander auf einem ihnen gänzlich unbekannten Planeten bruchgelandet waren. Von einer eher persönlichen Neugier auf seinen Gegner getrieben und begierig darauf, soviel wie möglich über feindliche Schiffssysteme in Erfahrung zu bringen, begab sich damals der Orligianer an Bord des zerstörten terrestrischen Schiffs, und die beiden Gegner trafen aufeinander.
Aber für sie war der Krieg vorbei, denn der schwerverletzte Terrestrier wußte nicht, wie lange er noch zu leben hatte, und der Orligianer hatte keine Ahnung, wann — falls überhaupt — auf sein Notsignal hin Retter zu Hilfe kommen würden. Der zuvor noch gegenseitig empfundene, wenn auch nicht persönlich gemeinte Haß war von den ungeheuren Anstrengungen des sechsstündigen Zweikampfs wie weggeblasen und hatte sich in gegenseitigen Respekt vor dem bewiesenen Maß an fachlicher Kompetenz verwandelt. Deshalb versuchten sie, sich zu verständigen, was ihnen auch schließlich gelang.
Für beide handelte es sich dabei um einen außerordentlich schmerzhaften Prozeß, der nur langsam und unter großen Anstrengungen vonstatten ging, aber als sie miteinander sprachen, verschwiegen sie nichts. Der Orligianer wußte, daß jede von ihm eventuell geäußerte aufsässige Bemerkung oder Befehlsverweigerung von dem Terrestrier mit in den Tod genommen werden würde. Der Terrestrier wiederum verspürte zum einen die Sympathie, die ihm sein Gegner entgegenbrachte, und hatte zum anderen viel zu große Schmerzen, um sich darum zu scheren, welche Äußerungen er seinerseits über die eigenen Vorgesetzten machte. Und während sich die beiden unterhielten, erfuhr der Terrestrier etwas von entscheidender Bedeutung: Er sah einmal aus der Sicht des Feindes den relativ einfachen, fast lächerlichen Vorfall, den beide Seiten mißverstanden hatten und der in erster Linie für den Kriegsausbruch verantwortlich gewesen war.
Ein zufällig in dieser Region kreuzendes orligianisches Schiff war gegen Ende dieser Unterhaltung auf dem Planeten gelandet und hatte — nach Abschätzung der Lage — seinen ’Freezer’ gegen das terrestrische Wrack eingesetzt.
Selbst heute noch war MacEwan die Funktionsweise dieser wichtigsten orligianischen Raumwaffe unklar. Der Freezer konnte ein kleines Schiff oder die wichtigsten Teile eines großen Raumfahrzeugs in eine Art Stauungs- oder Stasisfeld einschließen, in dem jede Bewegung zum Stillstand kam. Dabei wurden weder die Schiffe beschädigt noch deren Besatzungen körperlich verletzt. Wenn allerdings jemand die Oberfläche eines dieser zum Stillstand gebrachten Rümpfe auch nur ritzte oder versuchte, eine Nadel in die Haut einer der zur Bewegungslosigkeit erstarrten Personen zu stechen, dann hatte das eine Explosion von fast nuklearem Ausmaß zur Folge.
Aber der orligianische Stasisfeldprojektor diente nicht nur kriegerischen, sondern auch friedlichen Zwecken.
Unter großen Schwierigkeiten hatte man einen Teil des Cockpits und die zwei darin enthaltenen, zum Stillstand gebrachten Körper nach Orligia gebracht, um diese Gruppe als das auf schauerliche Weise eindrucksvollste Kriegsmahnmal, das man je gekannt hatte, für 236 Jahre auf dem Platz im Zentrum der Hauptstadt aufzustellen. In der Zwischenzeit entwickelte sich der unsichere Frieden, den die beiden eingefrorenen Wesen zwischen Orligia und der Erde gestiftet hatten, zu Freundschaft, und die Medizin machte so große Fortschritte, daß der schwerverwundete Terrestrier sogar gerettet werden konnte. Obwohl Grawlya-Kis Verletzungen nicht tödlich gewesen waren, hatte er doch darauf bestanden, zusammen mit seinem Freund MacEwan im erstarrten Zustand zu bleiben, um dessen zukünftige Heilung miterleben zu können.
Und dann wurden die beiden größten Helden des Kriegs — Helden deshalb, weil sie ihn beendet hatten — aus dem erstarrten Zustand geholt und auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus gebracht und geheilt. Es hieß, zum erstenmal würden wahrhaft große Gestalten der Geschichte die Belohnung von der Nachwelt erhalten, die sie verdient hätten — und all dies hatte sich vor etwas über dreißig Jahren auch so abgespielt.
Seitdem waren die beiden Helden, übrigens die einzigen Wesen mit direkter Kriegserfahrung in der gesamten Föderation, immer mehr vom Friedensgedanken besessen, bis die ihnen entgegengebrachte Ehrerbietungund der Respekt nach und nach in Abneigung und offene Behinderung ihrer Bemühungen umschlugen.
„Manchmal frage ich mich, Ki, ob wir nicht wirklich lieber aufgeben und endlich nach unserem inneren Frieden suchen sollten, wie der Colonel es uns geraten hat“, sagte MacEwan, während er sich von den erstarrten Verkörperungen Grawlya-Kis und seines eigenen früheren Ichs abwandte. „Niemand hört uns mehr zu, obwohl wir den Leuten doch nicht mehr zu sagen versuchen, als endlich die Zügel lockerer zu lassen, sich freundschaftlich die Hände zu reichen, und zwar ohne diese bürokratischen Fehdehandschuhe, und daß sie in ihren Äußerungen und Handlungen aufrichtig und ehrlich sein sollen, damit sie.“
„Mir sind all diese Punkte durchaus bekannt“, unterbrach ihn Grawlya-Ki gereizt. „Es ist völlig überflüssig, mir das alles noch mal lang und breit zu erzählen. Ich sehe die Sache doch genauso wie du. Allmählich scheinst du wirklich senil zu werden.“
„Hör mal zu, du verlauster Riesenpavian!“ setzte MacEwan wütend zu einer Schimpftirade an, aber der Orligianer hörte ihm überhaupt nicht zu.
„Unglücklicherweise gehört Senilität zu jenen Leiden, die die Psychiater des Colonels nicht heilen können“, fuhr Grawlya-Ki unbeirrt fort. „Ich möchte sogar behaupten, daß sie Leuten wie dir, dessen Verstand ansonsten noch einigermaßen intakt ist, nicht einmal mehr psychiatrischen Beistand leisten können. Außerdem hast du es gerade nötig, auf meinen leichten Fellausfall da und dort anzuspielen! Bei dir reichen die männlichen Hormone ja gerade mal für einen spärlichen Fellwuchs auf dem Kopf aus, ansonsten ist da.“
„Dafür haben bei euch die Frauen mehr Haare als die Männer“, gab MacEwan bissig zurück und verstummte. Grawlya-Ki hatte ihn wieder einmal aufgezogen.
Seit ihrem ersten, mittlerweile historischen Treffen in MacEwans Cockpitwrack hatten sich die beiden sehr gut kennengelernt. Nach Abschätzung der aktuellen Lage stellte Grawlya-Ki damals rasch fest, daß MacEwan viel zu niedergeschlagen war, um sich über sein eigenes zukünftiges Wohlergehen zu sorgen. Daraufhin leitete der Orligianer in Form von therapeutischen Gesprächen erste Heilmaßnahmen ein und machte dem Terrestrier so auf subtile Weise klar, daß er zumindest geistig gesund war.
MacEwan mußte jetzt lächeln und sagte leise: „Die anderen Fluggäste sind durch unsere offene und ehrliche Art, miteinander zu reden, schon ganz nervös geworden. Die glauben wahrscheinlich, der Krieg zwischen Orligia und der Erde bricht demnächst wieder aus — so etwas würden die sich nicht einmal im Traum gegenseitig an den Kopf werfen.“
„Aber trotzdem haben all diese Wesen Träume“, entgegnete Grawlya-Ki, dessen Gedanken plötzlich zu einem der spezifisch orligianischen Themen abschweiften. „Alle intelligenten Lebensformen benötigen Perioden, während der sich ihr Unterbewußtsein in Träumen oder auch Alpträumen ausleben kann.“
„Das Problem ist nur, daß all die anderen leider nicht den gleichen, ganz spezifischen Alptraum haben wie wir“, erwiderte MacEwan.
Grawlya-Ki entgegnete nichts und beobachtete durch die transparenten Außenwände der Halle das rasche Herannahen des Bodentransporters von der illensanischen Fähre. Das Gefährt war ein großes Silberprojektil mit vielen Rädern und auffälligen Markierungen, die auf die Chloratmosphäre im Innern aufmerksam machten. An der Spitze befand sich eine durchsichtige Steuerkanzel mit einer auf den nidianischen Fahrer abgestimmten Atmosphäre. Warum verspürten bloß alle kleineren intelligenten Lebensformen unabhängig von ihrer Spezies den unwiderstehlichen Drang, schnell zu fahren? fragte sich MacEwan. War er mit dieser Beobachtung womöglich auf eine der großen kosmischen Wahrheiten gestoßen?