„Die Landefähre ist abflugbereit, Sir“, meldete der Astronavigator. In seiner Stimme lag ein gewisses Zögern, als er fortfuhr: „Ich fürchte, bis Sonnenuntergang bleibt nur noch Zeit für einen einzigen Hin- und Rückflug.
Vielleicht könnten Sie und der Doktor schon mal einteilen, welche Verletzten beim letzten Flug mitkommen sollen und welche bis morgen auf dem Planeten bleiben. Mit Ihnen dreien und Haslam an Bord können wir etwas mehr als die Hälfte der Verletzten abtransportieren, sofern Sie nicht die gesamte transportable Ausrüstung wieder mitnehmen wollen.“
„Ich lasse keine unbehandelten Verletzten auf diesem Planeten zurück“, entgegnete Conway in bestimmtem Ton. „Sie würden den Temperatursturz und die Sandstürme wahrscheinlich nicht überleben.“
„Vielleicht nicht“, merkte Murchison nachdenklich an. „Aber wenn wir schon ein paar Verletzte hier lassen müssen — und anscheinend haben wir gar keine andere Wahl —, dann könnten wir sie wenigstens mit Sand bedecken. Die Wesen haben eine hohe Körpertemperatur, der Sand isoliert gut, und außerdem sind die Verletzten sowieso luftdicht mit eigenem Sauerstofffvorrat eingeschlossen.“
„Ich hab schon von Ärzten gehört, die ihre Fehler einfach begraben“, entgegnete Conway zynisch, wurde aber von Dodds an weiteren Einwänden gehindert.
„Entschuldigen Sie, aber es gibt da bei Ihnen ein Problem, Murchison“, sagte er. „Auf das Wrack kommen nämlich vier Dornbüsche zu. Natürlich geht das bei denen nicht so schnell, aber wir schätzen, die Büsche werden das Wrack bis kurz vor Mitternacht erreicht haben. Meinen Informationen zufolge sind diese Pflanzen Allesfresser und locken ihre bewegliche Beute durch langsames und oftmals großräumiges Einkreisen in die Falle. Dann warten sie ab, bis sich das Tier an den Dornen sticht, die ein Gift absondern, das je nach Größe des Beutetiers und Anzahl der Stiche entweder zur Lähmung führt oder sogar tödlich ist. Wenn sich die Beute schließlich nicht mehr bewegen kann, dringen die Dornbüsche mit ihren Wurzeln in den Körper ein und saugen ihm sämtliche vorhandenen Nährsubstanzen aus.
Deshalb glaube ich auch nicht, daß Ihre eingegrabenen Verletzten bis morgen früh überleben würden“, schloß er mürrisch.
Murchison fluchte in für sie äußerst untypischer Weise, und Conway antwortete: „Wir könnten sie hier in den Laderaum des Wracks bringen und die Luke schließen. Dann brauchten wir aber Heizgeräte und ein medizinisches Überwachungsgerät und. tut mir leid, aber ich kann mich noch immer nicht mit dem Gedanken anfreunden, die Verletzten unbeaufsichtigt auf diesem Planeten zurückzulassen.“
„Offensichtlich handelt es sich hierbei um eine sorgfältig abzuwägende Angelegenheit, Doktor“, sagte der Captain. „Denn Ihre Patienten wird man nicht nur beaufsichtigen, sondern vielleicht auch verteidigen müssen. Dodds, wie lange können Sie den Start der Fähre noch verschieben?“
„Eine halbe Stunde, Sir“, antwortete der Astronavigator. „Dann bleibt noch eine halbe Stunde für den Hinflug und mindestens eine Stunde auf dem Planeten zum Einladen und um Vorsorge für die zurückbleibenden Verletzten zu treffen. Aber wenn die Fähre den Planeten nicht in zweieinhalb Stunden wieder verläßt, bekommen wir beim Start ernsthafte Schwierigkeiten mit dem Wind und dem Sand.“
„Na schön“, erwiderte Fletcher. „In einer halben Stunde sollten wir zu einer Entscheidung gekommen sein. Warten Sie bis dahin mit dem Start.“
Aber es fand eigentlich gar keine richtige Diskussion statt, und die Entscheidung wurde, allen Einwendungen von Murchison und Conway zum Trotz, vom Captain im Alleingang getroffen. Fletcher stellte fest, die beiden Ärzte hätten auf dem Planeten das Menschenmögliche für die Verunglückten getan und könnten ohne die Einrichtungen auf der Rhabwar nichts weiter unternehmen, außer die Verletzten unter Beobachtung zu stellen. Genau dazu aber, so beteuerte der Captain, sei er selbst aber auch in der Lage, und im Falle eines erneuten Angriffs könne er die Opfer obendrein noch verteidigen.
Nach seiner felsenfesten Überzeugung hielt sich der für den Zustand der Aliens verantwortliche Täter gegenwärtig nicht mehr im Schiff auf, würde aber bei Eintritt der Kälte und der Sandstürme oder sogar auf der Flucht vor den näherrückenden Dornbüschen möglicherweise wieder den Schutz des Wracks suchen. Der Platz des medizinischen Teams sei auf der Rhabwar, fügte er hinzu, nur dort könne man sich den Patienten mit der angemessenen Aufmerksamkeit widmen.
„Captain“, entgegnete Conway, wobei er sich ärgerte, Fletchers Argumente kaum widerlegen zu können, „was den medizinischen Bereich angeht, liegt die Verantwortung allein bei mir.“
„Und warum üben Sie diese Verantwortung dann nicht in entsprechend verantwortungsbewußter Weise aus, Doktor?“ konterte Fletcher.
„Captain“, mischte sich Murchison schnell ein, um einen drohenden Streit abzuwenden, der das Klima auf dem Ambulanzschiff wochenlang hätte belasten können. „Der DCLG, den Sie gefunden haben, war zwar, verglichen mit einigen anderen, nicht besonders schwer verletzt, dafür aber leider tot. Die Entzündung der Atemwege und die Lungenschäden waren genauso schwer wie bei der Leiche, die Sie vorher im Laderaum gefunden haben. In beiden Lungenpaaren hab ich Spuren von der Probe entdeckt, die Sie aus dem hydraulischen Druckbehälter genommen haben. Diese Flüssigkeit ist absolut tödlich, Captain, öffnen Sie also bloß nicht in der Nähe eines Lecks das Visier.“
„Vielen Dank, Murchison, das werde ich bestimmt nicht tun“, entgegnete Fletcher ruhig. Dann fuhr er fort: „Dodds, Sie können ja sehen, daß der vor mir liegende Abschnitt des Gangs fast vollkommen eingedrückt ist. Für die Besatzungsmitglieder dieses Schiffs ist zwar noch genügend Platz zum Durchzwängen, aber ich werde eine ganze Menge von diesem ausgefransten Metall wegschneiden müssen, wenn.“
Conway schaltete sein Funkmikrofon ab und preßte den Helm gegen den von Murchison, um ein Gespräch unter vier Augen mit ihr führen zu können. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ fragte er sie wütend.
Sie lächelte ihn durch das Visier hindurch an, doch bevor sie antworten konnte, schnarrte zaghaft Priliclas Stimme in den Kopfhörern. Wie zuvor Murchison bemühte sich nun der Empath, eine potentiell unangenehme Quelle emotionaler Ausstrahlungen zum Versiegen zu bringen.
„Freund Conway“, sagte er, „auch wenn die Argumente meines Freunds Fletcher stichhaltig sind und ich persönlich Murchisons und Ihre Rückkehr an Bord begrüßen würde, kommen Freundin Naydrad und ich doch mit den Patienten gut zurecht. Sie befinden sich alle in stabiler Verfassung, bis auf drei, bei denen ein leichter Rückgang der Körpertemperatur zu verzeichnen ist.“
„Glauben Sie, das liegt an einer zunehmenden Schockwirkung?“ fragte Conway.
„Nein, mein Freund“, antwortete Prilicla. „Vielmehr bessert sich anscheinend ihr Allgemeinzustand allmählich.“
„Wie sieht es mit der emotionalen Ausstrahlung aus?“
„Es gibt zwar noch nichts auf bewußter Ebene, mein Freund“,
entgegnete der Empath, „aber dafür strahlen die Patienten ein unbewußtes Gefühl aus, als ob ihnen irgend etwas fehlte, auf das sie ganz begierig sind.“
„Kein Wunder, bis auf einen haben die alle Hunger“, erwiderte Conway trocken.
„Der Gedanke an diesen einen ist mir ebenfalls ziemlich zuwider“, antwortete Prilicla. „Aber um auf den Zustand der Patienten zurückzukommen: Auch bei den Verletzten hier oben sind Lungenschäden und Atemwegsentzündungen zu beobachten, wie sie bereits von Freundin Murchison festgestellt worden sind und die sie ganz richtig auf die beschädigten Hydraulikbehälter zurückgeführt hat, allerdings in weit geringerem Maße. Aber unter den Bedingungen, die auf dem Planeten herrschen, zu operieren, und das mit der sehr viel weniger spezialisierten transportablen Ausrüstung, ist vielleicht nicht unbedingt.“