Trotz der vielen Arme und Beine schien man für das Wesen nicht viel tun zu können. Außer einer großen Anzahl an der Wand angebrachter Lagerschränke enthielt der Innenraum des Schiffs nichts, das auch nur entfernt eine Ähnlichkeit mit Steuerungssystemen, Kontrollanzeigen oder einem deutlich erkennbaren Instrument zur Steuerung des Schiffs gehabt hätte — es sei denn, an der Stelle weiter vorne, die vom Körper des Überlebenden verdeckt wurde, befand sich noch eine kleine Steuerungszentrale.
Conway mußte laut gedacht haben, denn der gerade von einer Untersuchung der Schiffsaußenhaut zurückgekehrte Captain sagte in ernstem Ton: „Wir können wirklich nichts für den Alien tun, Doktor. Außer einer äußerst simplen Energiezelle, die im Moment allerdings nicht genutzt wird, ist am Rumpf absolut nichts zu entdecken. Kein Antriebsaggregat, keine Lagesteuerungsdüsen, keine erkennbaren Außensensoren oder Funkantennen und auch keine Besatzungsschleuse. Langsam frage ich mich, ob das überhaupt ein Schiff oder nicht vielmehr eine Art Rettungsinsel ist. Das würde nämlich auch die merkwürdige Schiffsform erklären, die ja nichts anderes als ein an beiden Enden vollkommen flacher Zylinder mit gleichmäßigem Durchmesser ist. Als ich eben die Außenhaut nach kleineren Ausbuchtungen untersucht hab, in denen sich Sensoren hätten befinden können, ist mir aufgefallen, daß der Zylinder entlang der Längsachse ganz leicht gekrümmt ist. Das wiederum eröffnet eine weitere Möglichkeit, die.“
„Was ist mit außenbords angebrachten Energiequellen oder Kommünikationsinstrümenten?“ fragte Conway schnell, bevor sich die Beobachtungen des Captains zu einem Vortrag über die Philosophie der verschiedenen Schifffbautechniken ausweiten konnten. „Wir selbst haben zum Beispiel synchronisierte Hyperraumantriebsgeneratoren an den Flügelspitzen, vielleicht hatten diese Aliens eine ähnliche Idee.“
„Nein, Doktor“, antwortete Fletcher in dem kühlen und formellen Ton, den er jedesmal anschlug, wenn er argwöhnte, jemand versuche ihm in seinen Zuständigkeitsbereich hereinzureden. „Ich hab die Außenholme untersucht. Leider sind die zu kurz abgebrochen, als daß man erkennen könnte, was für Konstruktionsteile die mal getragen haben. Aber die abgerissenen Kabelstränge können niemals Energie zu einem Hyperraumantriebsgenerator geleitet haben, weil sie einen viel zu geringen Durchmesser haben. Ich bin mir ziemlich sicher, daß die Aliens weder über Hyperraumantrieb noch über künstliche Schwerkraft verfügt haben. Schließlich ist das erkennbare allgemeine technische Niveau für eine raumreisende Spezies ziemlich gering. Hinzu kommt noch das offensichtliche Fehlen einer Einstiegsluke. Eine Luftschleuse für diesen Alien müßte beinahe genauso lang sein wie das Schiff selbst.“
„Es gibt ein paar raumreisende Spezies, die keine Luftschleusen benötigen“, erwiderte Conway. „Diese Lebensformen führen aus rein physiologischen Gründen keine Außeneinsätze durch und besteigen und verlassen ihre Schiffe nur vor dem Start beziehungsweise nach der Landung.“
„Angenommen, das hier ist gar nicht das Schiff, sondern der Raumanzug des Wesens“, warf Murchison ein.
„Das ist eine gute Idee, die aber leider nicht zutrifft, Murchison“, entgegnete Fletcher mit Bedauern. „Mal ganz abgesehen von den vier Sichtluken, die wegen der geringen Größe und des Abstands zwischen Innen- und Außenhaut nur ein stark begrenztes Blickfeld bieten, gibt es keine mir bekannte Art sensorischer Fühler und, was noch wichtiger ist, auch keine äußeren Greifvorrichtungen. Aber es muß irgendeine einfache Möglichkeit geben, den Alien in dieses Ding rein- und wieder rauszubekommen, ob es sich bei diesem Wrack nun um ein Schiff, eine Rettungsinsel oder irgend etwas anderes handelt.“
Lange Zeit herrschte Schweigen, dann sagte Conway: „Entschuldigen Sie, Captain. Als ich Sie vor ein paar Minuten unterbrochen hab, wollten Sie gerade eine dritte Möglichkeit erwähnen.“
„Stimmt, das wollte ich gerade“, antwortete Fletcher im Ton eines Menschen, der eine Entschuldigung gnädig annimmt. „Aber Sie werden sicher verstehen, Doktor, daß sich diese Theorie nur auf meine anfänglichen visuellen Beobachtungen stützt und — jedenfalls bis jetzt — noch nicht von genauen Messungen untermauert werden kann. Wie dem auch sei, dieses Schiff ist, wie ich schon dargelegt hab, kein echter Zylinder, sondern scheint entlang der Längsachse leicht gekrümmt zu sein.
Also, durch eine Explosion oder Kollision, die stark genug sein muß, um den Zylinder zu verbiegen, würden sich die Nähte in der Rumpfverkleidung verziehen und aufreißen. Außerdem würden deutliche Spuren einer Hitzeverfärbung sowie Dellen durch umherfliegende Trümmer zurückbleiben“, fuhr Fletcher fort, wobei er unversehens wieder in seinen üblichen Vortragston verfiel. „Solche Spuren gibt es aber nicht. Wenn also die Längsachse des Schiffs keine gerade Linie, sondern, wie es sich ja wirklich verhält, eine ganz leichte Kurve ist, dann ist diese Krümmung absichtlich so gebaut worden. Das würde auch das Fehlen von Energie, Steuerungsgestängen und einem künstlichen Schwerkraftsystem erklären, weil diese Aliens nämlich.“
„Natürlich!“ unterbrach ihn Conway. „Der Rumpf unter dem flachen Boden zeigt normalerweise nicht nach unten, sondern nach außen, und hat keine vorspringenden Bauteile, weil die Aliens Schwerkraft auf diealtmodische Art erzeugen, indem sie.“
„Könnte mir vielleicht jemand freundlicherweise erklären, wovon hier überhaupt die Rede ist?“ fragte Murchison verärgert.
„Na klar“, entgegnete Conway. „Der Captain hat mich überzeugt, daß dieses Gebilde kein Schiff oder Rettungsboot ist, sondern der Teil einer Raumstation, einem frühen kreisförmigen Typ mit riesigem Durchmesser, der einem Zusammenstoß zum Opfer gefallen ist.“
„Eine Raumstation so weit draußen?“ fragte Murchison ungläubig. Dann begriff sie jedoch allmählich die Zusammenhänge und fügte mitfühlend hinzu: „Oh je, in dem Fall kann uns ja noch eine ganze Menge Arbeit bevorstehen.“
„Vielleicht auch nicht, Murchison“, entgegnete Fletcher. „Zugegebenermaßen ist es recht wahrscheinlich, noch etliche andere Abschnitte der Raumstation zu finden, aber Überlebende wird es vielleicht nur sehr wenige geben.“ Sein Ton wurde auf einmal energisch. „Der Transport dieses Wesens auf das Unfalldeck kommt jedenfalls nicht in Frage. Ich schlage statt dessen vor, wir befestigen das Segment an unserem Rumpf, dehnen die Hyperraumhülle der Rhabwar entsprechend aus und fliegen mit dem Wrackteil im Schlepptau in null Komma nichts zum Orbit Hospital. Dort kann man sich in einer der Luftschleusen ohne Probleme mit der Befreiung eines solch großen Patienten näher befassen. Ich bin natürlich nicht der Experte auf dem Gebiet der extraterrestrischen Medizin, aber ich denke, wir sollten uns unverzüglich an die Arbeit machen. Die Tyrell lassen wir zur Suche nach weiteren Überlebenden hier, und wir selbst kommen so schnell wie möglich zur Behandlung der anderen Verunglückten wieder hierher zurück.“
„Nein!“ widersprach Conway entschieden.
„Ich verstehe nicht ganz, Doktor.“ Fletchers Gesicht war hinter dem Helmvisier knallrot angelaufen.
Conway beachtete ihn im Moment einfach nicht und wandte sich an Murchison und Prilicla. Der Empath war trotz der in diesem Bereichstarken emotionalen Ausstrahlungen näher gekommen. „Der Überlebende ist, soweit wir das beurteilen können, durch drei getrennte Schlauchpaare vermutlich mit einer Art Lebenserhaltungssystem verbunden“, sagte Conway. „Er befindet sich zwar in einem Zustand tiefer Bewußtlosigkeit, ist körperlich aber wohlauf. Außerdem verfügt das Schiff über Energiereserven, die bisher noch nicht angegriffen worden sind. Meine Frage ist nun, ob ich recht in der Annahme gehe, daß die beobachtete emotionale Ausstrahlung und das offensichtliche Fehlen äußerer Verletzungen darauf schließen lassen, daß sich dieses Wesen in einem winterschlafähnlichen Zustand befindet.“